Mord und Ratschlag

Männer liegen ihr zu Füßen

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
30.03.2020. In Oyinkan Braithwaites "Meine Schwester, die Serienmörderin" laboriert eine Krankenschwester in Lagos an den Wunden, die familiäre Dysfunktionalität schlägt. Liz Moore erzählt in ihrem Roman "Long Bright River" von den Verheerungen der Opioid-Krise in Philadelphia und einer jungen Polizistin, die sich um ihre drogenabhängige Schwester sorgt.
Cover: Meine Schwester, die SerienmörderinWas für ein Cover! Man wird geradezu hypnotisiert von seiner knalligen Coolness. Und seinem Witz: Die Augen der Frau haben sich zu tödlichen Schlitzen verengt, in den Gläsern der Sonnenbrille spiegelt sich das verhängnisvolle Messer, mit dem eine andere zusticht. Es ist eine grandiose Verbildlichung schwesterlicher Komplizenschaft, von der Oyinkan Braithwaite in ihrem Roman erzählt. In natura leuchtet das Grün allerdings viel heller.

"Meine Schwester, die Serienmörderin" ist das Debüt der nigerianischen Autorin, und im Titel steckt alles drin. Das ist nicht nur ein Vorzug. Aber mit seinen originellen Figuren, dem außergewöhnlichen Setting und einem Schuss schwarzem Humor liest sich das recht vergnüglich: Ayoola ist eine mit allen Vorzügen ausgestattete, umwerfend flamboyante Frau. Sie lebt von ihrer Schönheit und der Liebe der Männer, die sie mit Geld, Schmuck und Luxus überhäufen. Man könnte sagen: Sie liegen ihr zu Füßen, erst voller Bewunderung, dann voller Blut. Denn Ayoola hat einen Knacks und ein Messer, das sie stets in ihrer Handtasche mit sich führt.

Aber sie hat auch ihre Schwester Korede, deren Begabungen eher praktischer Natur sind. Aus ihrer Sicht ist der Roman erzählt. Also konsequent aus der Untersicht des hässlichen Entleins auf den schönen Schwan: "Ayoolas Hautfarbe ist irgendetwas zwischen Creme und Karamell, meine dagegen ist die einer Paranuss vor dem Schälen." Sie ist Oberschwester im Krankenhaus von Lagos, sie kann organisieren und leckeren Kuchen backen. Korede ist zur Stelle, wenn ihre Schwester Hilfe braucht. Sie weiß, wie man die Kacheln im Badezimmer reinigt und wann man am besten die Bleiche einsetzt. Und weil sie kräftig ist, kann sie auch hervorragend Leichen in einen Kofferraum stopfen und von der Third Mainland Bridge aus im Atlantik entsorgen.

Ayoola und Korede sind seit Kindertagen ein eingespieltes Team, um genau zu sein, seit jenem Moment, als der prügelnde Vater versuchte, die vierzehnjährige Ayoola an einen Chief zu verhökern, von dem er sich geschäftliche Vorteile versprach. Aber Koredes schwesterliche Loyalität kennt Grenzen, und Ayoola reizt sie verdammt weit aus, als sie ihr den Arzt Tade wegschnappt, dem die unglückliche Korede seit Monaten hinterherschmachtet.

Braithwaite startet ihre blutige Komödie mit einigem schrägen Witz, hält aber nicht lange auf diesem unkonventionellen Level durch. Sie verliert den Biss. In dem Moment, wo sich Korede mehr darum sorgt, dass Ayoola ihr einen Typen ausspannt, als dass sie ihn umbringt, gleitet der Roman ins Schmonzettige ab. Am Ende löst sich der makabre Humor in einem Gewirr aus Liebesschnulze, psychologisierender Traumageschichte und Frauen-Power-Hurra auf wie eine Leiche in der Lagune von Lagos.

Oyinkan Braithwaite: Meine Schwester, die Serienmörderin. Roman. Aus dem Englischen von Yasemin Dinçer. Blumenbar Verlag, München 2020, 236 Seiten, 20 Euro (Bestellen).

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Cover: Long Bright River Liz Moore erzählt von einer jungen Polizistin, die in Philadelphia einen Serienmörder jagt. Man mag nicht glauben, dass jemand einer solch abgegrasten Weide noch Blüten abgewinnen kann, aber der amerikanischen Autorin gelingt es. Das liegt daran, dass sie die Geschichte dezidiert nicht als Krimi oder als Police Procedural erzählt, sondern als Drama. "Long Bright River" ist ein hoch emotionales Familiendrama, in dem Prostitution und Drogenabhängigkeit nicht nur die Übel sind, die ein Stadtviertel zerstören oder einen Fall besonders deprimierend machen. In diesem Roman sind sie der Stoff, der eine Familie über Generationen hinweg zerstört.

Aber Liz Moore erzählt auch eine großartige Schwesterngeschichte. Die alleinerziehende Michaela Fitzpatrick, genannt Mickey, wacht als Streifenpolizistin mit strenger Fürsorglichkeit über ihr Viertel Kensington, das mit der Stahlindustrie seinen langen und quälenden Niedergang erlebte. Dann hat die Opioid-Krise das Viertel verheert. An den Hauptstraßen halten sich noch Nagelstudios, Handyshops und Minimärkte, doch ein Drittel der Läden hat aufgegeben, viele Fronten sind verrammelt, und in einigen leerstehenden Häusern haben sich Obdachlose und Junkies einquartiert. Einige Coffeeshops deuten schon darauf hin, dass die Developer das Viertel entdeckt haben, aber Mickey scheut sich vor den Pionieren der urbanen Schickeria: Sie trinkt ihren Kaffee lieber bei Alonso, der lässt sie während ihrer Streife wenigstens auf die Toilette.

Mickey kennt jeden Dealer, jeden Junkie und jede arme Seele, die sich auf der Kensington Avenue verkauft. Sie ist hier aufgewachsen, mit einigen der Gestrandeten ist sie zur Schule gegangen. Außerdem hängt ihre jüngere Schwester Kacey an der Nadel. Mickey möchte sie im Auge haben, aber sie hat sie aus den Augen verloren. Gerade jetzt, wo bereits mehrere Prostituierte im Viertel ermordet wurden, ist Kacey seit über einem Monat verschwunden.

Mickey ist kein Detective, sie ist nicht direkt mit den Ermittlungen betraut, sie ist emotional involviert, aus Sorge um ihre Schwester und um die anderen Frauen, die sie schon so lange kennt. Überhaupt hat Mickey zu keinem Beteiligten ein professionelles oder auch nur sachliches Verhältnis. Fast jede Beziehung hat auch einen private, oft heikle Ebene. Allen voran die zum Vater des Kindes, mit dem Mickey verbandelt ist, seit sie vierzehn ist. Er arbeitet ebenfalls für die Polizei, aber zum Glück in einem anderen Revier, denn Mickey will nichts mehr mit ihm zu tun haben, seit er die Unterhaltszahlungen eingestellt hat.

Der Sohn, Thomas heißt er, nimmt viel Raum ein. Die Sorge um ihn treibt Mickey Tag und Nacht an, weil sie ihn nicht vernünftig untergebracht bekommt, weil die Babysitterin so unzuverlässig ist, weil sich der Nachbarin zufolge ein fremder Mann nach ihm erkundigt hat. Hier droht die Erzählung mitunter ins Gefühlige zu kippen, doch Liz Moore ist eine strategische Erzählerin. Mickeys Verbundenheit zu Thomas wird sich aus der Familiengeschichte erklären, die überhaupt das Zentrum der Geschichte ist. Als großen Gegenpol zu Mickey entwirft Liz Moore die Großmutter, bei der Mickey und Kacey aufgewachsen sind, weil schon die Mutter an ihrer Drogensucht zugrunde ging. Die Großmutter ist eine harte Frau. Sie hat erlebt, wie ihre Tochter ins Elend rutschte, sie kann es nicht noch einmal durchstehen, sagt sie und wirft die junge Kacey gnadenlos raus, als sie bei ihr dahinter kommt. Schleichend nur lässt Liz Moore bei der verständnisvollen Mickey einen Verdacht aufkommen: Kann es sein, dass nicht die Drogen die Großmutter hart gemacht haben, sondern die Härte der Großmutter die jungen Frauen an die Nadel gebracht hat?

Liz Moore wechselt gekonnt zwischen den verschiedenen Zeitebenen, nicht jedoch die Perspektive. Sie bleibt bei ihrer jungen Polizistin, die ebenso einen Fall aufklären muss wie ihre eigene Familiengeschichte, ihr Verhältnis zu Männern und ihr eigenen Lebensvorstellungen. Moore baut ihren Roman geschickt auf, sie erzählt packend und aufwühlend. Ihre sprachliche Kraft und der einfühlsame Blick auf das Leben einer Polizistin machen "Long Bright River" zu einem aus dem Genre hinausragenden Roman.

Liz Moore: Long Bright River. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. C.H. Beck Verlag. München 2020, 411 Seiten, 24 Euro (Bestellen).