Mord und Ratschlag

Das Saint Tropez der Bretagne

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
04.10.2017. Tanguy Viel lässt in seinem Roman "Selbstjustiz" einen bretonischen Arbeiter zum Mörder ohne schlechtes Gewissen werden. Mit "Ein Job für Delpha" besteht Lisa Sandlin im Texas der siebziger Jahre auf eine zweite Chance.
Es gibt einfach Sätze, mit denen besiegeln Menschen ihren Untergang. Ganz wie Marie-Antoinette. Bei Antoine Lazenec ist es das gönnerhafte Angebot: "Kermeur, das ist mein erster Hummer, den schenke ich Ihnen." Lazenec macht es auf einer Fahrt mit seiner neun Meter langen, 400 PS starken Merry-Fisher-Jacht dem arbeitslosen Martial Kermeur. Der ist gar nicht dankbar. Er wirft den herablassenden Typen über Bord und lässt ihn im kalten Wasser acht Kilometer vor der bretonischen Küste ertrinken.

Es ist ein sehr französischer Mord. Beherzt und reuelos. So ließ Claude Chabrol in seinen Filmen das Provinzbürgertum morden, heute macht das Tanguy Viel, der bretonische Meister der Intrige. Mit dem bösen Tod auf der Jacht beginnt er seinen Roman "Selbstjustiz", unaufgeregt, beiläufig fast, doch in aller Klarheit. Von Anfang an wissen wir, was geschehen ist. Wir wissen nur nicht, wie es dazu kam. Was sich für Dramen abgespielt haben auf der Halbinsel gegenüber von Brest, wieviel Bitterkeit und Beschämung sich aufgestaut.

Doch nun sitzt Martial Kermeur vor seinem Richter und gesteht. Er redet und redet ohne Unterbrechung, und er erzählt: Wie in Brest die Marinebasis abgewickelt wurde, sein Leben in die Brüche ging, seine Frau davonlief, und er seinen Sohn Erwan allein großzog. Und wie dann der Investor kam, Antoine Lazenec, in spitzen Schuhen und einem elfenbeinfarbenen Sportwagen, "mit grundsolidem Gesichtsausdruck und irgendwie rechtwinkligen Sätzen". Wenn einer der verarmten Region aus der Patsche helfen kann, dann er mit seiner Energie und Vision, dachten die Bewohner. Lazenec versprach ihnen das Blaue vom Himmel: Ein Seebad auf der Halbinsel vor Brest! Das Saint Tropez der Bretagne! Da, wo heute nicht ein einziges Restaurant steht. Wie Ertrinkende streckten sie ihm ihre Hände entgegen und gaben ihre Ersparnisse und ihre Abfindungen dran: "Es gab einen Riss in mir", seufzt Kermeur, "und Lazenec drang hinein wie der Wind".

Ein ganzer Ort wird sich von dem Windhund Lazenec hypnotisieren lassen, allen voran der Bürgermeister. Im Laufe der Erzählung werden Menschen ihr Leben verlieren, ihre Zukunft und ihre Hoffnungen. Hin und wieder überzeichnet er. Doch Tanguy Viel ist ein Virtuose des angekündigten Unglücks: Man ahnt, nein, man weiß von vornherein, was passieren wird, und doch trifft es einen mit erschreckender Wucht. 

Sehr feinsinnig und sprachlich sehr elegant zeichnet Viel das Bild dieses kollektiv beschämten Küstendorfs. Zugleich erzählt er auf schlanken 170 Seiten die Tragödie eines verzweifelten Mannes, der zum Mörder wird, mit Gewissen, aber ohne schlechtes. Viel legt Wert darauf, seinen Roman nicht als Kriminalroman, sondern als Noir zu bezeichnen. Doch der Roman ist nicht düster und schon gar nicht hoffnungslos. Er hat bei aller Ungerechtigkeit ganz helle, freundliche Seiten. Ein bisschen wie Brest, diese traurige Hafenstadt im Finistère mit ihrer weißen, lichten Architektur. Meisterhaft.

Tanguy Viel: Selbstjustiz. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Wagenbach Verlag, Berlin 2017. 168 Seiten, 20 Euro.


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Lisa Sandlins Krimidebüt "Ein Job für Delpha" spielt in den siebziger Jahren in Beaumont, im Südosten von Texas, unweit der Grenze zu Louisiana und nah am Golf von Mexiko. In diesen ziemlich entspannten Ort kehrt Delpha Wade zurück, die vierzehn Jahre im Frauengefängnis von Gatesville verbrachte, weil sie als junges Mädchen einen ihren Vergewaltiger erstochen hatte. In unbestreitbar exzessiver Notwehr. Endlich in Freiheit, will sie so schnell wie möglich einen Job, besser zwei, und ein Zimmer, in dem sie die Tür hinter sich zumachen kann.

Auf ihrer Suche nach Arbeit gerät sie an den noch jungen Privatdetektiv Tom Phelan, der im Vietnamkrieg seine Jugend und auf einer Bohrinsel einen Finger verlor. Ein heilloser Anfänger in seinem Metier, aber ein gutmütiger Kerl und fest entschlossen: "Nichts in der Welt kann Beharrlichkeit ersetzen." Delpha heuert bei ihm als Sekretärin an, sie strotzt vor Tüchtigkeit, und zusammen stolpern die beiden in sympathisch freundschaftlicher Verbundenheit durch ihre ersten Fälle: Ein vermisster Junge, ein nerviger Nachbarshund, eine gestohlene Beinprothese und ein Ehemann auf Abwegen. Routinekram. Lappalien. Bis sich herausstellt, dass nicht nur der Ehemann, sondern auch Delpha und ihr Chef von ihrer vornehmen Auftraggeberin hereingelegt wurden. Und schon ermitteln die beiden in einem echten Komplott der texanischen Ölindustrie.

Sandlin entspinnt diese Intrige mit einer gewissen Unbekümmertheit, heiter, manchmal auch überdreht. Die Paranoia der siebziger Jahre liegt ihr völlig fern, aber auch die Nonchalance eines Jim Rockford. Überhaupt setzt sie das zeitliche Kolorit äußerst sparsam ein. Aus dem Radio tönen hin und wieder Creedence Clearwater Revival, in Washington kämpft Richard Nixon um sein politisches Überleben und Hank Aaron macht sich im Baseball daran, die legendären 714 Homeruns von Babe Ruth zu übertreffen.

Und doch leuchtet einem sofort ein, warum die 1951 geborene Sandlin, die in Nebraska Creative Writing lehrt, ihr Krimidebüt in den siebziger Jahren spielen lässt: Das Leben ihrer Figuren ist völlig unkoventionell und unvorhersehbar, nicht nach allen Seiten abgesichert und festgezurrt wie ein Karriereplan. Das macht den Roman so erfrischend. Bei Sandlin gibt es liebenswerte Polizisten, hassende Witwen, großzügige Köche und eben eine Straftäterin, der die Leute eine Chance geben. Und schließlich gönnt Sandlin ihrer Heldin Mitte dreißig auch noch eine hinreißende Affäre mit einem zwanzigjährigen Studenten. Undenkbar heute. Man fühlt sich an die Barock-Künstler erinnert, die auf die Antike rekurrieren mussten, um Sinnlichkeit in ihre Werke bringen zu können.

Lisa Sandlin: Ein Job für Delpha. Kriminalroman. Suhrkamp, Berlin 2017, 351 Seiten, 9,95 Euro. ()