Wo wir nicht sind

Die Zeit des Krokodils

Eine Kolumne zur Weltliteratur. Von Thekla Dannenberg
02.03.2023. Der großen afrikanischen Bibliothek der Verzweiflung fügt die simbabwische Autorin NoViolet Bulawayo ihre Romansatire "Glory" hinzu. Sie erzählt vom Aufstieg des Krokodils nach dem Sturz des Alten Pferdes.
Viele große afrikanische Autoren haben bereits versucht, Misswirtschaft, Korruption und Eigennutz der Eliten in ihren Ländern mit großen Romansatiren zu bannen: Die galligen Werke von Ousmane Sembène, Ngugi wa Thiongo, Wole Soyinka und Tsitsi Dangarembga fügen sich zu einer veritablen Bibliothek der Verzweiflung, voller Wut und Enttäuschung. Es ist bitter zu sehen, wie sie anwächst.

Die simbabwische, in den USA lebende Autorin NoViolet Bulawayo reiht sich mit ihrer Satire "Glory" umstandslos in diese Reihe ein. Sie erzählt darin vom Ende der Macht Robert Mugabes, der 2017 nach dreißigjähriger Herrschaft von seinem Vize Emmerson Mnangagwa aus dem Amt gejagt wurde. Es war erschütternd, wie der einstige Revolutionsheld Mugabe, der den Guerillakrieg gegen den Kolonialstaat Rhodesien geführt hatte, das unabhängige Simbabwe heruntergewirtschaft hatte. Noch schockierender war, wie Emmersin Mnangagwa dem Land Hoffnung auf demokratische Erneuerung machte, nur um sich wenige Tage später als noch brutaler und schamloser zu erweisen.

Die politische Groteske, die sich in Simbabwe tatsächlich abspielte, lässt sich satirisch nicht übertreffen. Bulawayo tut es auch nicht, sie verfremdet nur, indem sie ihre Satire in das fiktive "Jidada", ein von Pferden, Kühen, Ziegen, Katzen und Hunden bevölkertes Farmland verlegt. Es liest sich ein bisschen wie George Orwells "Farm der Tiere", ist aber keine Parabel, sondern ganz nah an den historischen Tatsachen entlang geschrieben.

Der Roman beginnt mit der großen Kundgebung am Unabhängigkeitstag, an dem der Vater der Nation das Volk mit seinen berühmten endlosen Reden beglückt. Das Alte Pferd ist schon ein wenig vergesslich und senil geworden, aber seine Anhänger bewundern noch immer seine poetische Eloquenz und eine Aura, die Feuersbrünste und Heuschreckenschwärme umlenken, trockene Flüsse überquellen und die Sonne heller scheinen lassen kann. Bisher regierte seine Partei nahezu unangefochten, doch allmählich treten in Verwerfungen zu Tage. Als eine Gruppe von Waipchen, die "Schwestern der Verschwundenen", splitternackt aufs Podium stürmt, werden sie von den Defendern brutal in die Mangel genommen. Die Defender sind ein Rudel von Hunden, die mit Zähnen, Klauen und schnalzenden Nilpferpeitschen die Revolution verteidigen. Das Alte Pferd denunziert die Protestierenden, ungerührt weiter salbadernd, als Agentinnen des Westens. Und natürlich: "Ehe dieser Westen uns Demokratie und Wandel vorschreiben will, muss er erst mal alles wieder rausrücken, was er uns geklaut hat", höhnt das Alte Pferd: "Wo wäre der Westen ohne Afrikas Rohstoffe? Afrikas Gold? Afrikas Diamanten? Afrikas Platin? Afrikas Kupfer? Afrikas Zinn? Afrikas Öl? Afrikas Elfenbein?" Es nicken der Revolutionsminister, der Ordnungsminister, der Minister für Dinge, der Minister für Nichts, der Minister für Homophobe Angelegenheiten, der Desinformationsminister und der Plünderungsminister. Seinen Segen gibt auch O.G. Moses, Gründer und Oberhaupt der Prophetischen Kirche aller Kirchen der Soldaten Christi. Ein Schweinepriester.

Doch die Tage des Alten Pferds sind gezählt, "nichts als Wut und gutes Englisch hatte er gegen das Alter aufzubieten." Seine fünfzig Jahre jüngere Frau, die habgierige Eselin Marvelous, weiß das nur zu gut. Sie lässt sich gern Doktor Sweet Mother nennen, allerdings droht sie ihrem Kontrahenten im Kampf um die Nachfolge des Alten Pferds eher ordinär und auf Shona: "Wenn du Ohren hast, dann hör besser auf meinen Rat, denn alles, was du tust, ist Wackersteine schlucken, und wir werden ja sehen, wie groß dein Arschloch ist, wenn diese Steine wieder ausgeschissen werden wollen." Sie hat nicht an der Revolution teilgenommen, mit der die weiße Herrschaft über Jidada beendet wurde. Sie hat sich hochgearbeitet und hochgeschlafen und dabei viel gelernt, auch dass die bewunderten Schlachtrösser der Revolution kümmerliche Kröten waren, ohne Anstand, Prinzipien oder Mitgefühl: "War sie enttäuscht? Brach es ihr das Herz? Tholukuthi nein: Marvelous war mit einem popligen Plastiklöffel im Mund zur Welt gekommen und hatte sich vom Leben nichts weiter erhofft als einen richtigen Löffel." Thlukuthi ist der Ausspruch, der sich durch das Buch zieht. Er entstammt einem populären Song und bedeutet so viel wie "echt", "wirklich" oder "Du wirst sehen".

Doch Doktor Sweet Mother hat keine Chance gegen den Vizepräsidenten, der als ehemaliger Gewaltminister die Verteidiger der Revolution hinter sich hat, die Defender-Hundetruppen. Seine Gefolgsleute setzen das Alte Pferd ab, geben sich als Freunde des Volkes und inthronisieren den nur wenig jüngeren Gaul Tuvius Delight Shasha, genannt Tuvy, der Erlöser, Herrscher der Nation und Veteran des Befreiungskriegs.

Erst nach diesem Machtwechsel und vor den ausgerufenen Alibiwahlen #FairFreiGlaubwürdig führt Bulawayos ihre Heldin Destiny ein, eine empathische Ziege, die nach zehn Jahren im Exil in ihr Heimatland zurückkehrt. Dort lebt ihre Mutter immer noch im Township Lozikeyi. Die Schafe, Hühner und Katzen, die sich hier in einem Netzwerk des Überlebens zusammenfinden, heißen Precious, Moreblessing, Witness, Choice oder Nevermiss. Namen sollen Bedeutung haben. Destiny Lozikeyi Khumalo wurde von ihrem Großvater so genant, auch er ein Kämpfer der Revolution: Ihr Schicksal sollte mit dem der neuen Nation verbunden sein. Und Lozikeyi nach der großen Königin der Ndebele.

Bulawayo wechselt nun die Perspektiven und die Tonlagen. Die allwissende und recht sarkastische Erzählerin wird abgelöst von einer emotionaleren Erzählung mit dem Fokus auf Destiny oder einem kollektiven Wir. Immer wieder baut Bulawayo auch einen Twitterfeed ein, in dem sich die Jidader mit viel Witz und Scharfsinn gegen Personenkult, Desinformation und tribalistische Zündeleien des Regimes behaupten. Doch gegen den Unverstand, die Misswirtschaft und die Gewalt, die mit der Neuen Ordnung des Erlösers Einzug halten, sind sie machtlos. In dem leicht utopisch angelegte Lozikeyi beginnt ein Riesenkrokodil Schrecken zu verbreiten: "'Keine Sorge, ich bin lieb und sogar weich wie Wolle', sagte es. 'Selbst meine Zähne sind gar keine echten Zähne, sondern falsche, und außerdem bin ich sowieso Vegetarier'." Wenn die Kinder zu viel Angst vor ihm bekommen, dann belegen sie es mit Spottliedern. Das Krokodil wurde ihnen von Tuvy, dem Erlöser geschickt. Sie müssen ihn provoziert haben: "Den Jidadiern ist natürlich klar, dass ein Kind nach Lust und Laune mit den Brüsten seiner Mutter spielen darf, aber nie, niemals mit den Hoden seines Vaters."

Die Mutter erzählt Destiny in einer bewegenden Passage, die das Satirische ausspart, die Geschichte ihrer Familie und baut dabei die Erinnerung an das reale Massaker von Gukurahundi ein. 1983 ließ Robert Mugabe von einer in Nordkorea ausgebildeten Miliz zur Bekämpfung von Missmut" Tausende von Ndebele ermorden, die er für Unterstützer der Opposition hielt. Gukurahundi wird der frühe Regen genannt, der vor dem Frühling die Spreu wegspült. Destiny reist dorthin, um das Dorf ihrer Familie zu besuchen, Bulawayo, heißt es. In dem Roman erfahren wir, dass Bulawayo so viel bedeutet wie der Ort, an dem getötet wird. Die Autorin hat sich selbst nach ihrem Herkunftsort benannt. Geboren wurde sie 1981 als Elizabeth Zandile Tshele, NoViolet heißt auf Ndebele "Mit Violet", ihrer Mutter.

Nach ihrem Erfolgsroman "Wir brauchen neue Namen" wurde NoViolet Bulawayo von ihrem britisch-nigerianischen Schriftstellerkollegen Helon Habila vorgeworfen, sie befördere mit einer "Caine-Prize-Ästhetik" das Klischee des korrupten und gewalttätigen Afrika. Das tut sie nicht. Auch wenn ihre Kritik an postkolonialer Ausbeutung etwas pflichtschuldig und der Bezug zu #BlackLivesMatter konstruiert daherkommt, legt Bulawayo in "Glory" erkennbaren Wert darauf, die Jidadier in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu zeigen, mit dem ganzen Reichtum afrikanischer Tradition, lebendiger Kultur und politischen Diskussionen. Aber klar: Wer wissen will, wie westliche und chinesische Konzerne noch immer Afrikas Rohstoffvorkommen plündern und dabei mit afrikanischen Eliten kollaborieren, muss den Report "Fluch des Reichtums" des Financial-Times-Reporters Tom Burgis lesen. Die heutigen Geschäftspraktiken hätte sich der Oberimperialist Cecil Rhodes nicht besser ausdenken können, der mit seinem Diamantenkonzern DeBeers schon ziemlich tiefe Maßstäbe gesetzt hatte.

Trotzdem bleibt die als Hoffnungsträgerin angelegte Destiny als Hauptfigur ein wenig blass. Die freundliche Ziege kann kaum bestehen neben all den Pferden, Schweinen und Hunden, denen sich Bulawayo mit so viel Einfallsreichtum, Spott und Witz entgegenstellt. Es sind keine geringen Gegner, die sich einst voller Träume und Groll gegen die Kolonialisten aus den verarmten Dörfern Simbabwes an die Macht kämpften und schließlich voller Selbstherrlichkeit und Habgier blutige Geschichte schrieben.

NoViolet Bulawayo: Glory. Roman. Aus dem Amerikanischen von Jan Schönherr. Suhrkamp, Berlin 2023, 460 Seiten, 25 Euro (Bestellen)