Vom Nachttisch geräumt

Die Spuren der Vernichtung

Von Arno Widmann
10.02.2020. Der Fotograf Edward Burtynsky zeigt, was wir hinterlassen, wenn wir die Orte, von denen wir behaupteten, wir hätten sie zum Leben erweckt, verlassen.
Der 1955 als Kind ukrainischer Einwanderer im kanadischen St. Catharines geborene Edward Burtynsky ist berühmt für seine großformatigen Fotos, die von Menschen geschaffene Landschaften zeigen. Seine Bücher widmen sich meist einem großen Projekt, das er über Jahre verfolgt. Do entstanden zum Beispiel auch die Bände "Water" und "Oil". Wie diese wunderbaren Bildbände meist, brechen auch diese einem den Zeigefinger. Sie scheinen gedacht für Menschen, die nicht wissen wollen, was sie sehen. Wer doch wissen will, ob dieser hässliche, völlig verschandelte Badeort wirklich Benidorm ist, der muss hinten nachschlagen, wo all die riesigen farbigen Fotos noch einmal klein in schwarz/weiß zu sehen sind und daneben ein mal kurzer, mal längerer erläuternder Text.

Ich habe mit einem dicken DinA4-Blatt meinen Zeigefinger gerettet. Benidorm hatte ich richtig geraten. Aber das größte Fest der Hindus, ja das größte Fest der Welt, das Kumbh Mela, das einmal im Jahr u.a. in Allahabad gefeiert wird, mit mehr als 30 Millionen Besuchern, erkannte ich nicht. 2017 wurde es in die Liste der immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen. In Allahabad fließen Ganges und Yamuna zusammen. Und der unterirdische ganz und gar mythologische Fluss Sarasvati. Wer hier badet, kommt dem Heil näher. Angesichts der Menschenmassen wundert man sich, dass über Seuchenopfer und andere Tote so wenig zu hören ist.

Edward Burtynsky, Oil


Edward Burtynsky zeigt, wie Flüsse sich ihren Weg durch Felsen bahnen, wie sie angestaut werden. Er zeigt das aus den unterschiedlichsten Perspektiven. In Kalifornien wird Wüste zu fruchtbarem Land dank komplexer Bewässerungssysteme. Für den Reisanbau werden Felder unter Wasser gesetzt. In den Niederlanden wird Land, das unter dem Meeresspiegel liegt, beschützt von riesigen Dämmen, bebau- und bewohnbar. Wasser muss immer reguliert werden. Burtynsky führt uns vor Augen wie das getan wird und wie hilflos die menschliche Arbeit auch ist. Ein winziger Temperaturanstieg und nicht nur die größten Häfen Asiens wären unter Wasser wie heute die antiken Häfen des Mittelmeers, sondern auch die Niederlande verlören ein erhebliches Stück ihres Territoriums. Vom Schicksal Rotterdams zu schweigen. Das Benidorm-Foto ließe sich konfrontieren mit einer Aufnahme dieses Strandes aus den 50er Jahren. Damals standen dort ein Hotel und ein paar Häuser. Das war alles. Was so schnell in die Höhe schießt, dem traut man nicht zu, dass es lange hält. Wo immer Burtynsky die Macht der menschlichen Eingriffe zeigt, da wird gerade dadurch auch ihre Ohnmacht deutlich.

"Oil" endet mit dem Kapitel "The End of Oil". Ein abgeschlossenes Sammelgebiet. So schön es wäre, sicher können wir uns nicht sein. Ausgesaugte, verlassene Ölfelder, abgewrackte Schiffe, Flugzeuge, Autos und ganze Fabriken. Sie zeigen, was wir hinterlassen, wenn wir die Orte, von denen wir behaupteten, wir hätten sie zum Leben erweckt, verlassen. Es wird sehr lange dauern, bis dort wieder Leben einkehrt. Burtynsky zeigt eine Spur der Vernichtung. Natürlich hat er auch ein Buch über das Anthropozän gemacht.

William A. Ewing hat unter dem Titel "Essenz" einen Band veröffentlicht, für den Burtynsky-Fotos aus all seinen Serien zusammengebracht wurden. Er sei als eine Einstiegsdroge hier empfohlen. Er ist etwas kleiner im Format als die Steidl-Bände, knappe Erläuterungen stehen unter jeder Aufnahme und er ist auf Deutsch. Ein nicht zu vernachlässigender Vorteil, denn eine ganze Reihe der technischen Begriffe muss der Nicht-Techniker nachschlagen, um wenigstens zu wissen, wie der deutsche Begriff lautet, um den dann nachzuschlagen.

Es gibt dann noch etwas, das Ästheten reizen könnte. Ewing stellt eine Burtynsky-Aufnahme einer Kreisberegnungsanlage aus dem Jahre 2012 eine Burtynsky-Aufnahme aus dem Jahre 1999 gegenüber, auf der sich der kanadische Fotograf Borrominis Kuppel der Kirche des Sant'Ivo alla Sapienza in Rom annahm. Die Menschheit hat offenbar ein Faible fürs Radiale. Und nicht nur die. In Philip Balls noch immer nicht übersetztem "Patterns in Nature" kann man sich darüber kundig machen.

- Burtynsky: Oil, Steidl, Göttingen 2010, Englisch, Essays von Michael Mitchell, William E. Rees, Paul Roth, 215 Seiten, 98 Euro.
- Burtynsky: Water, Steidl, Göttingen 2013, Englisch, Essays von Wade Davis und Russell Lord, 227 Seiten,39,95 Euro. (Beim Verlag vergriffen)
- Burtynsky: Essenz, Prestel, München 2016, hrsg. und eingeführt von William A. Ewing und einem Essay von Joshua Schuster "Eaarth Art - eine neoplanetare Fotokunst, 202 Seiten, 19,95 Euro
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