Im Kino

Teil des Spiels

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Patrick Holzapfel
20.04.2016. "Gods of Egypt" erzählt in bunter Fabulierlust - inklusive einer Art antiken Multitasking-Wikipedia - vom Kampf einer bunten Götterwelt gegen den Monotheismus. in "Chevalier" überwachen nicht der Staat oder Kameras die konkurrierenden Männer - sie tun es von selbst.


Auf dem Papier ist "Chevalier" von Athina Rachel Tsangari eine High-Concept-Komödie. Die Filmemacherin, die zusammen mit ihrem Landsmann Yorgos Lanthimos derzeit das griechische Kino vermittels deformierter Sozial- und Sexualwelten definiert, beobachtet eine Gruppe von Männern auf einer hochmodernen Jacht. In einer Nacht kommen die diversen Musterexemplare ihres Geschlechts auf die Idee, ein Spiel zu spielen. Ab sofort wollen sie sich gegenseitig bewerten, um herauszufinden, wer von ihnen der Beste ist. Das beginnt bei offensichtlichen Dingen wie dem Zusammenbauen eines Ikea-Regals oder der Penislänge, setzt sich aber auch in die subtileren Facetten der männlichen Existenz fort. Der Sieger erhält einen Ring mit dem Namen "Chevalier". Das Spiel beginnt, und mit ihm die finale Offenlegung eines Denkens, das es auch ohne das Spiel geben würde.

Wieder einmal entfaltet sich eines der perfiden Spiele des griechischen Kinos (die eng mit der Feder des Drehbuchautors Efthimos Filippou zusammenhängen) in voller, wenn auch oft forcierter Absurdität. Mal wagt Tsangari den offensichtlichen Gag eines Hahnenkampfes, mal klärt sie gar nicht auf und zeigt, dass es ihr im Kern nicht um eine gute Pointe geht, sondern um das prinzipielle Gefühl von Absurdität und Identitätsangst. Wer der Beste ist, ist keine Frage, sondern ein innerer Antrieb oder eine Verzweiflung. Die eigentliche Frage ist: Was ist, wenn man nicht der Beste ist? Es geht um Heuchelei und Isolation, und nicht nur die letzte Einstellung erinnert daran, dass auch der Film selbst Teil des Spiels ist.

"Chevalier" ist von einer derart präzise beobachteten Kontroll- und Überwachungsfantasie getrieben, dass die Unterscheidung zwischen Rollenspiel und Ehrlichkeit ab einem gewissen Zeitpunkt obsolet wird. Nicht der Staat oder Kameras überwachen die Männer, sie tun es von selbst. Aus Langeweile, aus Sozialdruck, aus Angst, weil sie es nicht anders kennen? Es ist nicht klar, es kommt von innen, ist etwas Tiefes und Lächerliches zugleich. Die Jacht mit ihren merkwürdigen Durchsagen, die den Tagesablauf der Männer regulieren, bietet ein perfektes Setting für etwas entrückt Kontrollierendes, dass doch sehr nahe scheint. Tsangari verlässt ihre in bisherigen Arbeiten meist von Frauen dominierten Welten, um sich einem Blick auf Männlichkeit zu verschreiben. Die Frage, die sich dabei unweigerlich stellt, ist, ob Tsangari einen Mann filmt und dabei versucht, etwas über Männer zu erzählen oder ob sie Männer filmt und dabei etwas über Individuen erzählt. Man kann diese Frage nicht mit letzter Eindeutigkeit beantworten, weil es einen Widerspruch zwischen dem ambivalenten Drehbuch auf der einen, sowie der grandiosen Besetzung und der entblößenden, sezierenden Inszenierung auf der anderen Seite gibt.



Tsangari legt die Schichten unter der Oberfläche, den Ritualen und dem Posieren zwar frei, aber viel mehr geht es ihr darum zu zeigen, wie diese Oberflächen wieder erneuert werden. Egal wie tief ihre Männer fallen, sie wollen immer ihr Gesicht wahren. Nach und nach werden alle gesichtlos und trotzdem fliegt ihr Selbstbild nicht davon. Erstaunlicherweise können sie sich in die Augen sehen, auch wenn die Kamera in manchem Blick die Heuchelei erahnt. Das Loben anderer ist eine Form der Selbstabsicherung, in vielen Szenen gibt es eine Zuneigung, die helfen soll, sich selbst zu spüren. Es gibt ja schließlich einen Ring zu gewinnen.

Beständig rückt Tsangari eine Erwartungshaltung in ihren Film. Sei es durch die etwas unbeholfenen Slider-Fahrten auf der Jacht, die pulsierende Musik zu Beginn oder die Konflikte, die sich langsam hochschaukeln. Etwas wird kommen, eine Eskalation droht. Der Film beginnt mit einer Felswand, vor der Taucher in schwarzen Neoprenanzügen erscheinen. Eine raue, verlassene Küste. Man hört nur die Wellen und das Geschrei von Möwen. Aber man darf sich nicht täuschen lassen, denn ebenfalls zu Beginn des Films eröffnet die Filmemacherin eine ganz andere Agenda. Die Männer helfen sich gegenseitig aus den Anzügen und darunter ist lediglich die Haut. Das Loswerden dieser Anzüge ist das eigentliche Problem und sie brauchen ihre Freunde, um das zu schaffen.

Die enttäuschte Erwartung ist ein Kern dieses Männerbildes. "Chevalier" ist ein Film der Frustration. Es gibt nicht nur einen durchgehenden Schwanzvergleich, sondern auch eine Enttäuschung, die sich sowohl vor dem Ich der Figuren als auch für den Zuseher einstellt. Sie zeigt das Scheitern einer anvisierten Perfektion, die keiner dieser Männer haben kann, die auch das aalglatte Boot und die feinjustierte Inszenierung nicht erreichen können. Der Ring steht für mehr, als erreichbar ist.

Man sieht Figuren, die vor ihren eigenen Unzulänglichkeiten davon laufen. Das beginnt mit Fitnesswahn und endet in ihren Sexualitäts- und Liebeswelten. Eine Gesellschaft, die einen Qualitätsstandard an Körperlichkeit und Liebe legt, muss eine Gesellschaft der Enttäuschung und Frustration sein. "Chevalier" ist gleichermaßen ein Film der Verweigerung und des Auslebens. In dieser Spannung, so scheint Tsangari vorzuschlagen, finden sich nicht nur die Männer auf diesem Boot, sondern alle (Männer), die nach diesem Ring trachten. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass Tsangari vielleicht nur spielen will.

Patrick Holzapfel


Chevalier - Griechenland 2015 - Regie: Athina Rachel Tsangari - Darsteller: Giannis Drakopoulos, Kostas Fillipoglou, Yiorgos Kendros, Panos Koronis, Vangelis Mourikis - Laufzeit: 105 Minuten.

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Eigentlich ein Jammer, wie sehr Computer Generated Imagery (CGI) - im Grunde genommen ja ein Geschenk für jeden visionären Filmemacher - doch immer wieder auf eine Ästhetik reduziert wird, die bei allem Spektakelwert die Rückbindung an den Realismus sucht. Wenn Captain America, Superman und Godzilla in den Metropolen ihre Muskeln spielen lassen, soll es doch immer beglaubigend darum gehen, dass diese Erzählwelt sehr gewiss mit unserer Alltagswelt in Verbindung steht. Auch Science-Fiction- und Fantasyfilme folgen eher einer Beglaubigungslogik: Die gezeigte Welt soll, bei allen fantastischen Inhalten und zumindest was grundlegende Parameter betrifft, immer doch auch als Extrapolation (ob nun vorwärts oder rückwärts auf der Zeitachse) unserer Welt denkbar bleiben.

Ganz frei davon ist auch Alex Proyas' neuer Film "Gods of Egypt" leider nicht. Doch legt der Regisseur, der sich mit FIlmen wie "Spirits of the Air, Gremlins of the Clouds" (1989), "The Crow" (1994), "Dark City" (1998) und "I, Robot" (2004) einen Namen als Spezialist für liebevoll durchgestyltes, fantastisches Kino gemacht hat, darin eine beeindruckende Lust an der hemmungslosen Durchgestaltung den Tag, geradezu als gelte es, einen Horror Vacui zu bewältigen. Proyas und sein Team entwickeln hier eine Welt voller Schnörkel, Arabesken und Details, im Großen und wie im Kleinen, haben dabei stets auf ziemlich schöne Weise nichts als "Awesomeness" im Blick und fürchten dabei auch den Kitsch der ausschweifenden Cover alter SF-Pulpromane nicht: In den USA wurde der Film für diese Spielfreude bereits so heftig angegangen, dass der Regisseur sich dazu genötigt sah, seine Arbeit in öffentlichen Statements gegen die Vorwürfe (Computerspielästhetik et cetera) zu verteidigen. Schade, dass auf einen Film, der eines der menschenfreundlichsten Versprechen des Unterhaltungskinos - zwei Stunden lang naiv träumen und sich spielerisch in andere Welten denken zu dürfen -, so eingedroschen wird: Realitätsfanatiker am Werk.

Dabei stellt ja schon die Geschichte einen tollen Rückgriff aufs klassische fantastische Kino dar, man könnte sich fast an die alten Harryhausen-Filme erinnert fühlen: In einem mythischen Ägypten leben die Götter als hünenhafte, monarchische Wesen mitten unter den ihnen anvertrauten Menschen in einer durchpoetisierten, prunkvollen Welt, die vom göttlichen Wesen und Walten ganz durchwirkt ist. Doch eine Intrige des Gotts der Dunkelheit (Gerard Butler als Set) zielt darauf, das Göttergeschlecht nicht nur auszurotten, sondern auch die Bevölkerung unter dem Kult des Monotheismus zu versklaven und die farbenfrohe Pracht dieser Welt buchstäblich zu verwüsten. Gemeinsam mit dem Dieb Bek (Brenton Thwaites) sucht der gestürzte, um seinen Thron gebrachte Gott Horus (Nikolaj Coster-Waldau) nach einem Weg, die Katastrophe abzuwenden.



Von Homer über Robert E. Howard und J.R.R. Tolkien bis hin zu Harryhausen: Nach alter Väter Sitte führt das episodisch erzählte Epos in exotische Regionen, wo sich der (kontinuierlich wachsenden) Gruppe Prüfungen, Konflikte und Abenteuer bieten.

Inhaltlich sympathisch altmodisch, ästhetisch aber (zumindest einigermaßen - "Gods of Egypt" ist schon auch ein Blockbuster aus der zweiten Reihe) auf dem Stand der Dinge fabuliert Proyas hier eine klassische Abenteuergeschichte, die sich herzlich wenig darum schert, in irgendeiner Hinsicht eine Allegorie auf die Gegenwart darzustellen. Stattdessen darf das Fantasykino mit mythologischer Rückbindung hier einfach nur nach Herzenslust fantastisch und eskapistisch sein: Über das Duell mit den Riesenschlangen über einer Ruinenlandschaft darf man genauso staunen wie über eine Begegnung mit dem Gott der Weisheit Thoth (Chadwick Boseman), der als eine Art antike Multitasking-Wikipedia ganz wunderbar in Szene gesetzt ist.

Was im übrigen aber alles nicht heißen soll, dass "Gods of Egypt" bloß Monstren, Mumien, Sensationen präsentiert: Mehr als einmal lässt der Film durchscheinen, dass es sich bei dem so größenwahnsinnigen wie eifersüchtigen Usurpator Set um den Gott der großen monotheistischen Religionen der Gegenwart handelt. Gar nicht mal unklug erisinnt sich "Gods of Egypt" damit selbst eine Art Mythos, wie der Wüstengott sein monotheistisches Franchise an Stelle des Polytheismus (und damit eines poetischeren, ästhetisch reicheren Modells der prä-szientifischen Welterklärung) gesetzt hat - und welche kataklysmischen Folgen das gehabt haben könnte. Die Reise führt dabei von den tiefsten Tiefen zu höchsten Höhen - man begegnet dem Tod, dem Weltenschöpfer am Firmament, umspannt eine fantastische Welt als Ganzes.

Im gegenwärtigen Blockbusterkino ist "Gods of Egypt" damit mehr oder weniger ein Solitär. Dass er nicht mit der Wucht eines Film gewordenen Großkonzerns, dessen Budget höher ist als das Bruttosozialprodukt vieler Nationen, den Markt angeht, sondern sich auf fast schon verlorene Tugenden des großen Unterhaltungskinos besinnt und diese einem ästetischen Update unterzieht, macht ihn heute, auch wegen seiner hemmungslos zur Schau getragenen Freude am Fabulieren einer fantastischen, wenig kalkuliert wirkenden Geschichte, zum sympathischen und verteidigenswerten Querschläger innerhalb einer zusehends im Zynismus des Fan-Service erkaltenden Industrie. Nicht zuletzt darf man in "Gods of Egypt" auch von einem abenteuerlustigeren Blockbusterkino träumen.

Thomas Groh

Gods of Egypt - USA 2016 - Regie: Alex Proyas - Darsteller: Brenton Thwaites, John Samara, Courtney Eaton, Nikolaj Coster-Waldau, Elodie Yung, Rachael Blake, Gerald Butler, Emma Booth - Laufzeit: 127 Minuten.