Im Kino

Aura des Endgültigen

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
08.03.2023. Walter Hill treibt Christoph Waltz in "Dead for a Dollar" die Tarantino-Manierismen aus. Überhaupt hat Hill einen Western von einer reduzierten Eleganz gedreht, der in seiner unaufdringlichen Schönheit und klugen Melancholie jedem Liebhaber des Genres die Tränen in die Augen schießen lassen dürfte.

Bevor sie die mexikanische Grenze überquert haben, reiten der weiße Kopfgeldjäger Max Borlund (Christoph Waltz) und der schwarze Soldat Alonzo Poe (Warren Burke) nicht Seite an Seite. Vorsichtshalber, denn ein gleichberechtigtes Nebeneinander unterschiedlicher Ethnien wird nicht gern gesehen im amerikanischen Süden des späten 19. Jahrhunderts; jener Zeit, in der das Western-Genre seine Geschichten zumeist ansiedelt und in der auch Walter Hills "Dead for a Dollar" spielt.

Einen noch einmal weitaus größeren Skandal stellt das Zusammensein der beiden Menschen dar, an deren Spur sich Borlund und Poe heften: Ein weiterer, mit Poe befreundeter schwarzer Soldat, Elijah Jones (Brandon Scott), ist aus der Armee desertiert und mit einer weißen Frau, Rachel Kidd (Rachel Brosnahan), gen Süden geritten. Eine Entführung, sagt Martin Kidd (Hamish Linklater), ihr Mann und Borlunds Auftraggeber. Schnell zeigt sich, dass das nicht stimmt. Es gibt niemanden zu befreien in Mexiko; seinen Auftrag auszuführen hieße für Borlund de facto, selbst zum Entführer zu werden.

Dem derart knapp und ökonomisch entworfenen, von einigen weiteren am Wohl oder meist eher Wehe des Kernpersonals interessierten Figuren nur unwesentlich verkomplizierten äußeren Konflikt entspricht ein innerer: Borlunds professioneller Ethos, demzufolge ein Auftrag ein Auftrag ist und ihn die Motive seines Auftraggebers nichts anzugehen haben, ist nur solange als Handlungsmaxime moralisch aufrecht zu erhalten, wie die Welt rational und fair eingerichtet ist. Dasselbe gilt für Poes Treue zur Armee der Vereinigten Staaten von Amerika, die ihm gebietet, bei der Bestrafung des Deserteurs Poe zu assistieren. Ihrem Auftrag untreu zu werden hieße demzufolge für beide, anzuerkennen, dass die Welt, in der sie leben, eben nicht immer und überall fair eingerichtet ist.

In einem staubigen mexikanischen Kaff unweit der Grenze spitzen sich beide Konflikte, der äußere und der innere, zu. Borlund und Poe haben die Ausreißer in ihre Gewalt gebracht, Martin Kidd ist auf dem Weg nach Süden, um seine Gattin und ihren "Entführer" gebührend in Empfang zu nehmen, ein lokaler Großgrundbesitzer sucht nach Mitteln und Wegen, aus der Lage Profit zu schlagen … und dann ist da noch Joe Cribbens (Willem Dafoe), gewissermaßen der Joker, das unberechenbare Element der Anordnung: ein Ex-Sträfling, der einst von Borlund dem Gesetz ausgeliefert wurde und sich nun, auf Rache sinnend, mit Whiskey und Prostituierten die Zeit vertreibt.


Die Szene, in der Cribbens im Hotelzimmer randaliert und lediglich durch einen glücklichen Zufall nur seinen Nachttischspiegel und nicht die nackte mexikanische Sexworkerin in seinem Bett zusammenschießt, ist die einzige, in der der Film über die Stränge schlägt. Ansonsten ist der Tonfall so nüchtern wie das Farbschema braun-bronze-staubig. Auch und gerade Gewalt wird bewusst und kontrolliert eingesetzt. Ganz besonders von Borlund. Christoph Waltz' Rolle mag zwar auf Tarantinos Exploitation-Western "Django Unchained" verweisen, in dem der Österreicher ebenfalls einen Kopfgeldjäger spielte. Aber mit diesem exaltierten Dr. King Schultz hat der in sich selbst ruhende Borlund nicht das Geringste gemein.

Hill treibt Waltz die Tarantino-Manierismen aus und macht ihn zu einem jener stoischen Westernhelden, die keine Bewegung zu viel ausführen und kein Wort zu viel aussprechen; und die eben deshalb jeder Bewegung, die sie doch ausführen und jedem Wort, das sie doch aussprechen, eine Aura des Folgerichtigen, Endgültigen beifügen. Wie Hill überhaupt einen Western von einer reduzierten Eleganz gedreht hat, die im Kino der letzten (mindestens) 40 Jahre kaum ihresgleichen kennt. Nicht umsonst ist "Dead for a Dollar" Budd Boetticher gewidmet, dem Großmeister des elegischen Western-Minimalismus. (Und auch: der Westernerzählung als moralischer Untersuchung).

Einen Film Boetticher zu widmen heißt, ein Gespräch mit der Vergangenheit zu führen. Freilich heißt, heute noch einen Western zu drehen, ohnehin nichts anderes. Das Großartige an Hills Film ist denn auch, dass er kein bisschen Gewese um seinen eigenen Anachronismus macht. Insbesondere versucht er nicht, die Vergangenheit um jeden Preis zu verlebendigen und das Archaische an ihr einem modernen Publikum als Attraktion zu verkaufen. Tatsächlich bleibt insbesondere die prototypische Westernstadt, in der die zweite Filmhälfte spielt, ausgestellt kulissenhaft. (Auch budgetbedingt natürlich, aber der Western war schon in seiner Hochphase ein Genre, in dem mit wenig finanziellen Mitteln viel zu erreichen ist - weil er die Welt nicht erweitert und ausschmückt, sondern modellhaft reduziert).

Genauso wenig wie es darum geht, die historische Differenz (zum Wilden Westen wie zum klassischen Western) zu ignorieren, geht es darum, sie zu forcieren. Inhaltliche Akzente, die auf gegenwärtige Diskussionen verweisen, setzt der Film zwar durchaus: Mit der starken, ihr Recht auf pursuit of happiness auch in sexuellen Angelegenheiten verteidigenden Rachel und den beiden ihre Rassismuserfahrungen auf jeweils unterschiedliche Art und Weise verarbeitenden schwarzen Soldaten etabliert Hill Figuren, die im klassischen Western zwar nicht komplett abwesend waren, ihre Interessen jedoch kaum jemals ähnlich offen artikulieren durften. Der Gestus, in dem dies geschieht, ist jedoch nicht der einer besserwisserischen Kritik, die, mit der Gnade der späten Geburt gesegnet, auf die Übel der Vergangenheit blickt. Hills Film füllt lediglich ein paar Leerstellen der klassischen Formel aus und überprüft, inwieweit sie im Jahr 2023 noch funktioniert. Was dabei entsteht, ist, gewissermaßen, ein Blick auf eine alternative Filmgeschichte. Gäbe es noch eine Normalität des amerikanischen Westerns, insinuiert dieser Film in seiner unaufdringlichen Schönheit und klugen Melancholie: so könnte sie aussehen. Als Liebhaber des Genres dürfen einem durchaus die Tränen kommen.

Lukas Foerster

Dead for a Dollar - USA 2022 - Regie: Walter Hill - Darsteller: Christoph Waltz, Willem Dafoe, Rachel Brosnahan, Warren Burke, Brandon Scott, Benjamin Bratt, Hamish Linklater - Laufzeit: 107 Minuten.

"Dead for a Dollar" hat in Deutschland keinen Kinostart erhalten. Der Film ist unter anderem bei iTunes und maxdome sowie auf DVD und Blu-ray verfügbar.