Mord und Ratschlag

Geld ist Liebe

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
30.06.2016. Freundschaft, Liebe, Vaterland: Olen Steinhauer spielt in seinem raffinierten Spionageroman "Der Anruf" den großen Verrat in all seinen Varianten durch. In Ross Thomas' Politthriller "Porkchoppers" werden Geschwerkschaftsfunktionäre höchstens ihren Idealen, ihren Frauen und sich selbst gegenüber untreu.
Olen Steinhauers neuer Roman "Der Anruf" ist gerade 270 Seiten schmal, das ist fast nichts für diesen Autor avancierter Spionagethriller. Doch in seiner kunstvollen Raffinesse ist der Roman ein echtes Kabinettstück. Er spielt fast ausschließlich in einem Restaurant in Carmel an der kalifornischen Pazifikküste, ein Paradies für Rentiers, das malerischer daherkommt als ein englisches Dorf bei Agatha Christie. Hier sind Supermarktkette ebenso verboten wie hohe Absätze.

In dieser unschuldigen Idylle trifft Henry Pelham nach fünf Jahren erstmals wieder seine einstige Geliebte Celia Favreau, mit der er für die CIA in Wien gearbeitet hatte. Der gemeinsamen Routine - muslimische Ausländer observieren, Koalitionsverhandlungen ausspionieren - setzte ein großes Attentat ein Ende: Ein Flugzeug mit 120 Passagieren an Bord war von Mitgliedern der islamistischen Terrortruppe Aslim Taslam entführt und - nach ergebnislosen Verhandlungen und einer geplatzten Erstürmung - in die Luft gesprengt worden. Celia hatte danach genug von Wien, dem Job und ihrem Kollegen, sie heiratete einen Ex-Manager von General Motors und ging mit ihm nach Carmel, um das Leben einer reichen Hausfrau und Mutter zu führen.

Ein Gefangener in Guantanamo, der zu den Drahtziehern der Entführung gehörte und bei einem Kommandounternehmen in Afghanistan gefasst wurde, hat nun eine peinliche Aussage gemacht: Die Entführer waren vor der geplanten Erstürmung des Flugzeugs gewarnt worden, und zwar durch einen Anruf von einem Informanten in der amerikanischen Botschaft. Henry will die Angelegenheit intern klären, eine offizielle Ermittlung kann sich der Geheimdienst schließlich nicht leisten.

In wahnsinnigen Twists entfaltet Steinhauer die persönlichen und politischen Verstrickungen der beiden. Mal scheint sich das Gewirr aus verletzten Gefühlen und verratener Treue zu lichten, dann wird es wieder undurchdringlicher. Und nie weiß man, ob die Unübersichtlichkeit der politischen Gemengelage, der Unehrlichkeit der Beteiligten oder dem Weinkonsum geschuldet ist. Steinhauer ist ein Meister darin, den Leser auf falsche Fährten zu locken und ihm Informationen vorzuenthalten. Ohne zu viel verraten zu wollen: Wenn der Roman nach knapp achtzig Seiten die Perspektive wechselt, geht einem die Kälte, mit der Celia spricht, durch Mark und Bein.

Doch so trickreich die Konstruktion ist, in der Geschichte selbst bleibt Steinhauer ungeheuer geradlinig. Fehler, selbst entsetzliche, und Verbrechen bleiben zwei unterschiedliche Dinge. Und sehr eindeutig lassen sich die fiktiven Begebenheiten um das Attentat von Wien vom realen politischen Hintergrund trennen, der seinen Ausgangspunkt im Moskauer Geiseldrama im Nord-Ost-Musical nahm, diesem großen, nie aufgeklärten Skandal in der jüngsten russischen Geschichte: Im Oktober 2002 nahmen 50 tschetschenische Islamisten 850 Menschen als Geiseln. Nach zwei Tagen pumpten die russischen Sicherheitskräfte Gas ins Theater und stürmten es. Alle Terroristen wurden getötet, aber auch 129 Geiseln. Die meisten starben, weil den behandelnden Ärzten nicht verraten werden sollte, welches Gas eingesetzt worden war. Eine Untersuchungskommission fand später auch heraus, dass der FSB einen Agent provocateur unter den Terroristen hatte. Der Mann starb bei einem Autounfall, der ermittelnde liberale Duma-Abgeordnete Sergej Juschenkow wurde ermordet, wie später auch Anna Politkowskaja und Alexander Litwinenko.

"Der Anruf" erzählt nicht die klassische Geschichte der zerrissenen Loyalität, wie sie seit Graham Greenes "Der menschliche Faktor" zum Repertoire der Spionageliteratur gehört. Nein, der Roman beleuchtet den Verrat in all seinen Facetten und Schattierungen. Den Verrat am Land, an der Liebe oder am Ideal, das politische Kalkül, das Verbrechen. Wie in einem Kaleidoskop fügen sich nach jeder Drehung die Steinchen zu immer neuen Mustern zusammen. Aber das lernt man bei der Ausbildung in Langley zuerst: "Entscheidend für die Bewertung sind immer die Fakten und nicht irgendwelche unterhaltsamen Spekulationen."

Olen Steinhauer: Der Anruf. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader. Blessing Verlag, München 2016, 267 Seiten, 19,99 Euro ()


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Die Titel von Ross Thomas' Politthriller sind oft schwer zu übersetzen, nicht nur weil das Deutsche selten so kurz und prägnant sein kann wie das Englische, sondern auch weil sich Thomas oft des Washingtoner Politjargons bedient, dessen Witz im Bonner oder Berliner Politbetrieb nicht einmal vorstellbar ist. In seinen verdienstvollen Neuübersetzungen für den Alexander Verlag behält Jochen Stremmel daher oft den englischen Originaltitel einfach bei oder behilft sich mit Kombinationen wie "Backup-Männer" oder "Yellow-Dog-Kontrakt". Der Titel "Porkchoppers" ist viel pointierter, aber nicht weniger enigmatisch, weswegen der Verlag die Erklärung gleich mitliefert: Porkchoppers sind im Gewerkschafter-Slang jene Funktionäre, die nicht aus Idealismus für die Sache streiten, sondern aus eigenem Interesse . Um sich sozusagen ein saftiges Stück der Schweinehälfte zu sichern.

Ein wunderbares Exemplar dieser Porkchopper-Spezies hat Ross Thomas mit Donald Cubbin geschaffen, den er in seiner ganzen Unvollkommenheit ausmalt: Cubbin ist Präsident einer Industriegewerkschaft, von der wir nur erfahren, dass sie mit knapp einer Million Mitglieder etwas kleiner ist als die der Autobauer, aber größer als die der Stahlarbeiter. Er ist ein heilloser Säufer, aber sein schauspielerisches Talent ermöglicht ihm im großen Washingtoner Schmierentheater einen Posten, der ihn, was Einkommen, Macht und Annehmlichkeiten angeht, einem Kabinettsmitglied gleichstellt. Weil Cubbin eine moderate Linie vertritt, legen das Weiße Haus und interessierte Wirtschaftskreise großen Wert auf seine Wiederwahl. Sein Rivale im gewerkschaftsinternen Machtkampf, der als Psychopath verschrieene Sammy Hanks, will mit Streiks eine Lohnerhöhung von dreißig Prozent durchsetzen. Anfang der siebziger Jahre war die Politik noch glücklich über zwanzig Prozent.

Thomas setzt eine Wahlkampfmaschinerie in Gang, die zwar klandestin arbeitet, sich aber niemals mit dem mangelnden Komfort eines Hinterzimmers zufrieden geben würde. Ganze Hoteletagen okkupieren diese Politgauner, die sich als Strategen, Strippenzieher und Finanziers darauf verstehen, ihre Skrupellosigkeit bis zur äußersten Grenze der Legalität auszureizen. Allerdings gibt es auch einige Player in diesem Spiel, die problemlos darüber hinausgehen.

So unverfälscht und in voller Länge ist "Porkchoppers" bisher noch nicht auf Deutsch zu lesen gewesen, dabei gehört er zu Ross Thomas' besten Romanen. Nicht unbedingt wegen seines Plots, bei dem sich eigentlich nur immer wieder fiese alte Männer zum Essen treffen, um eine neue Schweinerei auszuhecken. Großartig sind einfach die boshaften Charaktere, die Thomas hier gegeneinander in Stellung bringt. Wenn es für sie gut läuft, scheffeln sie Geld oder verschieben das Machtgefüge zu ihren Gunsten, doch wenn sie sich nicht vorsehen, müssen sie üble Niederlagen einstecken oder bewirken tatsächlich etwas Positives. Ross Thomas, der selbst Journalist und PR-Berater, Gewerkschaftsfunktionär und Alkoholiker war, schöpft hier aus den Vollen seiner Lebenserfahrung. Zynisch wird er dabei nie, denn bei aller Illusionslosigkeit bewahrt er sich eine große Zärtlichkeit für die wankenden Titanen, etwa wenn er Cubbin als jemanden beschreibt, der "am Bodensatz seiner Seele gekratzt" und den Ekel überlebt und nun von der "Erbärmlichkeit anderer nie mehr sonderlich betroffen" ist.

Man lernt von Thomas auch, dass man Macht niemals bekommt, wenn man nicht nach ihr strebt. Oder dass man ein bisschen Unmenschlichkeit braucht, um auf Baisse zu spekulieren. Seine Dialoge sind einfach herrlich maliziös. Etwa wenn die alte Schildkröte Coin Kensington, der im Sommer 1929 einen Haufen Geld scheffelte, weil er voll auf die Katastrophe setzte, einen jungen Unternehmer empfängt: "Wissen Sie, was Geld ist, Mr. Gammage? - Technisch gesehen? - Philosophisch gesehen. - Macht? Sicherheit? Habsucht? Geiz? Krieg? Hochverrat? - Sie sind auf der richtigen Spur, nur ein bisschen negativ. - Tut mir leid. - Geld, Mr. Gammage, Geld ist Liebe."

Ross Thomas: Porkchoppers. Roman. Aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2016, 305 Seiten, 14,90 Euro