Im Kino

Irgendeine Epiphanie

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Patrick Holzapfel
17.01.2019. Cornelius Schwalm inszeniert in seinem Regiedebüt "Hotel Auschwitz" eine feel-bad-Komödie vor dem Hintergrund des Vernichtungslagers. Zu lachen gibt es wenig. Eine Wiederentdeckung ist der Stummfilm "White Shadows in the South Seas" von W.S. Van Dyke und Robert J. Flaherty: Eine überraschend konsequente Dystopie über den Verlust einer Welt.


Das Auffälligste an Cornelius Schwalm ist seine Frisur, beziehungsweise die Abwesenheit einer solchen. Seine Halbglatze wird von einigen Büscheln Resthaar gekrönt, die sich allen Versuchen, ihnen eine stabile Form zu verleihen, zu entziehen scheinen, mal in diese, mal in jene Richtung entschwirren wollen. Ich kenne (und schätze) Schwalm vor allem aus einigen Filmen Rudolf Thomes, wo er eine dieser Haarpracht gemäße, sympathisch-verspulte, aber auch souveräne Schluffigkeit zelebrierte: Wenn meine Haare machen, was sie wollen, dann lasse ich selbst mich erst recht von nichts und niemand aus der Ruhe bringen. In seiner ersten eigenen Regiearbeit "Hotel Auschwitz", in der er selbst auch die Hauptrolle übernimmt, ist von dieser zenartigen Gelassenheit wenig übriggeblieben. Im Gegenteil: Das Unangepasste an seiner Kinopersona schlägt um in offene Asozialität und Destruktivität. Auch was Äußerlichkeiten angeht, kennt Schwalm keine Hemmungen und legt seine Figur vom gleich mehrmals unter dem Hemd hervorlugenden Bauchansatz her an.

Schwalm spielt Martin, einen Theaterregisseur, der an einer Inszenierung von Peter Weiss' "Die Ermittlung" arbeitet und zur Vorbereitung mit zweien seiner Darsteller eine Fahrt nach Auschwitz unternimmt. Was er sich davon erwartet, weiß er selbst nicht so recht und das ist vielleicht das Obszönste an der ganzen Sache: In Auschwitz, davon ist Martin überzeugt, wird sich schon, durch den bloßen Besuch des ehemaligen Vernichtungslagers, irgendeine Epiphanie einstellen, die dann irgendwie zurückfließen soll in die künstlerische Arbeit. Anders ausgedrückt: Auschwitz wird von Martin und seinen Mitstreitern nicht einfach nur instrumentalisiert, sondern als eine Art Universalschlüssel benutzt, um im von diskursiven Hohlformeln beherrschten Feld des Regietheaters (das in den ersten Minuten des Films mithilfe weniger, präziser Szenen als ein kleingeistiges Schlachtfeld der Eitelkeiten beschrieben wird) zu punkten. Zumindest ist das die Idee.

Dass die direkte Begegnung mit den materiellen Spuren des Schreckens eben gerade nicht dazu geeignet ist, das windige intellektuelle Fundament des eigenen Schaffens ("das mit Auschwitz als Spitze des Kapitalismus finde ich eigentlich ganz gut") infrage zu stellen, steht von Anfang an fest. Es geht dann aber eh vorrangig um andere Dinge. Martin und die anderen Figuren scheitern weniger an Auschwitz als aneinander. Mit von der Partie ist zum einen Sabine (Franziska Petri), mit der Martin eine Anlehnungsbeziehung unterhält, aus der, wenn es nach ihm geht, gerne mehr werden kann; sie hat allerdings gleichzeitig eine Affaire mit Holger (Patrick von Blume), der ebenfalls den Auschwitztrip antritt. Damit ist die zentrale Dreieckskonstellation etabliert; unter Spannung gehalten wird sie allerdings weniger durch erotisches Begehren als durch ein Machtgefälle: Holger und Sabine lassen sich auf Martins Übergriffigkeiten nur ein, weil sie auf lukrative Anschlussaufträge spekulieren. (Überhaupt ist Sex denkbar unsexy in "Hotel Auschwitz"; genuin sinnlich ist nur eine einzige Szene, in der Sabine sich, mit einem wenig verhüllenden Oberteil bekleidet, über einen Fluss treiben lässt, für einmal die Anspannung und auch das Kalkulieren von sich abwerfend).



Noch deutlicher wird die Durchökonomisierung zwischenmenschlicher Beziehungen, die in Schwalms Film eine nicht hinterfragbare Grundvoraussetzung sozialen Handelns darstellt (und die auch alle Ansätze von Humor - nominell ist "Hotel Auschwitz" eine Komödie, zu lachen gibt es nicht viel - in einen depressiven Fremdschammodus überführt), anhand zweier Figuren ausbuchstabiert, die in der Hackordnung tiefer stehen: Regieassistent Matti (Jörg Kleemann) und Fahrer Bronski (Oliver Bigalke). Die müssen sich in Auschwitz ein Hotelzimmer teilen und starten gleich in der ersten Nacht einen rasch eskalierenden Kleinkrieg. Wenn Martin dann auch noch auf die glorreiche Idee kommt, eine aus guten Gründen misstrauische jüdische Schauspielerin, der seine Reisegruppe am Set eines Trashfilmdrehs begegnet, in sein Weiss-Projekt zu integrieren, ist endgültig klar, dass die ganze Unternehmung in einem Debakel mindestens mittlerer Größenordnung enden wird. Das sich dann auch vollzieht, in zwei Stufen: Zunächst werden, im Gefolge eines abendlichen Hotelbesäufnisses, die privaten Ambitionen mit Vollgas an die Wand gefahren; und tags darauf die künsterischen.

Der doppelte Payoff nimmt ein gutes Drittel der angenehm knappen Laufzeit von 75 Minuten in Anspruch und in seiner allseitigen, exzessiven Schamlosigkeit entschädigt er doch ein wenig für einigen Leerlauf vorher. Freilich stellt sich die Frage, warum ausgerechnet das Vernichtungslager als dramaturgischer Katalysator für allerlei weitgehend universelle feel-bad-Dynamiken herhalten muss. Zu viel Alkohol, schlechten Sex und noch schlechteres Regietheater gibt es schließlich überall, dafür muss nun wirklich niemand nach Auschwitz fahren.

Lukas Foerster

Hotel Auschwitz - Deutschland 2018 - Regie: Cornelius Schwalm - Darsteller: Cornelius Schwalm, Franziska Petri, Patrick von Blume, Oliver Bigalke, Jörg Kleemann - Laufzeit: 75 Minuten.

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Als der berühmte schottische Romancier Robert Louis Stevenson auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1890 verkündete, sich permanent auf Samoa niederlassen zu wollen, war die literarische Welt geschockt. Dieser Schock hielt an, als seine fiktionalen und nichtfiktionalen Texte aus der Südsee nicht von der romantischen Abenteuerlust eines britisch-imperialistischen Denkens, sondern von einer äußerst scharfen und subtilen Kritik am Kolonialismus geprägt waren. Er legte ein faszinierendes Zeugnis einer zukünftig postkolonialen Welt ab.

Der Konflikt zwischen verlockenden Traumwelten, endlosen Stränden und den letzten Abenteuern auf der einen und den Erzählungen von weißer Ausbeutung, brutaler Ökonomie und Unterdrückung auf der anderen Seite schlägt auch im Herzen von "White Shadows in the South Seas", einem Projekt von Produzentenikone Irving Thalberg aus dem Jahr 1928. Es war die Zeit in Hollywood, in der man die Lust am Exotischen mit dem schlechten Gewissen der weißen Unterdrückung verbinden wollte. Spektakel und Kritik; das wohl berühmteste Beispiel jenes Kinos ist bis heute Murnaus "Tabu". "White Shadows in the South Seas" ist ein Film betörender Bilder. Sie entstehen gleichermaßen aus dem fiktionalen Interesse der Überwältigung und dem dokumentarischen Interesse an fremden Welten. Kameramann Clyde De Vinna, der den Oscar für die Arbeit an diesem Film bekam, hat Bilder für die Ewigkeit geschaffen. Man spürt das Salz in der Luft, das Flirren der Sonne, den Sand und das tropische Fieber, das durch das 35mm-Material weht.

Vorlage für Thalbergs polynesisches Abenteuer war nicht etwa eine Geschichte von Stevenson, sondern ein Bestseller des beliebten Reiseerzählers Frederick O'Brien (man geht inzwischen davon aus, dass die eigentliche Schreibarbeit von Rose Wilder Lane ausgeführt wurde). Das Buch erzählt zwischen den Bildern nackter Inselbewohnerinnen und polynesischer Exotik von der Zerstörung eines Paradieses. Etwas arg vereinfacht könnte man das Aufeinanderprallen von Spektakel und Kritik anhand der beiden Regisseure auffächern, die Thalberg für sein Unternehmen gewann. W. S. Van Dyke, später Regisseur von "Tarzan the Ape Man" und Robert J. Flaherty, Regisseur von "Nanook of the North". Ein Konflikt war in dieser Konstellation vorprogrammiert. Wie im Fall von "Tabu" verließ Flaherty das Projekt. Als Grund dafür gab er unter anderem an, dass Mitarbeiter unter Kokospalmen herumlagen und Musik aus dem Coconut Grove hörten. Er empfand dieses Verhalten als zutiefst beleidigend gegenüber den polynesischen Gemeinschaften, die im Film portraitiert werden.



Wer vertraut mit der Arbeit Flahertys ist, dürfte dennoch leicht erkennen, welche Sequenzen im Film noch von ihm gedreht oder zumindest angeleitet wurden. Unter anderem eine atemberaubende Szene, in der Männer nach Perlen tauchen und dabei fast ihr Leben verlieren, ist klar im Kino von Flaherty zu verorten. Die Mischung aus dokumentarischer Ethik und Hollywood-Melodram geht letztlich mit oder ohne Flaherty voll auf. "White Shadows in the South Seas" ist eine überraschend konsequente, ambivalente Dystopie. Es gibt kaum Auswege aus der Verbitterung, die Dr. Matthew Lloyd, ein dem Alkohol in ungesunder Manier zugeneigter Doktor gegenüber den Verhaltensweisen seiner weißen Landsleute auf den polynesischen Inseln empfindet.

Diese wollen ihr lasterhaftes Luxusleben in einer Welt, in der nur sie den Wert von Perlen kennen beziehungsweise in Perlen einen Wert sehen, ungestört weiterleben und verbannen den Mann auf ein Todesschiff mit Sterbenskranken. Seinem eigentlich sicherem Tod entkommt der Arzt mit viel Glück. Er wird am Strand einer Insel angespült, auf der noch keine Weißen eingefallen sind. Dort beginnt nicht nur ein romantisches Abenteuer für den nach und nach geläuterten Lloyd, sondern auch ein innerer Konflikt, der in der kapitalistischen Gier des weißen Mannes wurzelt. Es ist die klassische Geschichte. "Pocahontas", "The Last Samurai", "Dances with Wolves", sie alle erzählen sie, aber kaum je so verbittert und brutal wie Van Dyke und Flaherty.

Der weiße Schatten des Titels ist eine Metapher für die Ausbeutung und Gier im Angesicht der glitzernden Perlen. Einmal zeigt ein Inselbewohner dem Doktor wie er aus gesammelten Muscheln Angelhaken produziert. Als er eine Perle in der Muschel findet, schaut er sie gleichgültig an und schleudert sie in den Sand. Sie hat keinen Wert für ihn. Doch in den Augen des Doktors blitzt ein teuflisches Licht auf. Heimlich steckt er die Perle in seine Tasche und entfacht ein wortwörtliches Feuer, das Zerstörung und später unwiderrufliches Bedauern hervorruft. "White Shadows in the South Seas" schafft etwas, das Hollywood in seinen großen Tagen auszeichnete. Die amerikanisierten Emotionen und der unbedingte Glauben daran, ermöglichen das geschichtliche Bewusstwerden von Ungerechtigkeit. Es ist ein Film über den Verlust einer Welt, beinahe so etwas wie ein letzter Blick auf eine Unschuld, die man selbst zerstört hat.

Der Stummfilm wurde im Rahmen der Schau "Forever Film. 80 Jahre Internationale Filmarchive" im Österreichischen Filmmuseum von einer wunderschönen, hervorzuhebenden 35mm-Kopie aus dem George Eastman Museum gezeigt. Während des dritten Aktes, in dem der Doktor Fayaway einer geschützten Frau der Gemeinschaft, in der er lebt, näher kommt, konnte man die Handlung aufgrund des sich zersetzenden Nitratmaterials kaum mehr erkennen. Mehr als einmal wirkte es so, als könnte der Film jeden Augenblick auseinanderfallen. Das Ende einer Zivilisation verbündete sich so in außergewöhnlicher und berührender Weise mit dem drohenden Verfall einer Filmkopie. Die Filmgeschichte wurde derart ganz und gar lebendig.

Patrick Holzapfel

White Shadows in the South Seas - USA 1928 - Regie: W.S. Van Dyke, Robert J. Flaherty - Darsteller: Monte Blue, Raquel Torres, Robert Anderson, Renee Bush - Laufzeit: 88 Minuten.
Disclosure: Patrick Holzapfel ist Mitarbeiter des Österreichischen Filmmuseums.