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Wie wir überleben: The Survival of Kindness von Rolf de Heer (Wettbewerb)

Von Patrick Holzapfel
17.02.2023.


In seiner nicht an Pathos geizenden Endzeitparabel zeigt Rolf de Heer eine junge unbenannte Frau, die auf der Suche nach ein bisschen Zwischenmenschlichkeit oft nur ein paar neue Schuhe findet, die sie auf ihrer Reise durch trockene Wüstenlandschaften allerdings gut brauchen kann. Anhand dieser wechselnden Schuhe lässt sich so manches erkennen über eine Daseinsform, die letztlich nur danach trachtet, weiter gehen zu können und dabei jedwede Empathie verliert.

"The Survival of Kindness" zeigt eine dystopische Welt, in der die herrschende weiße Klasse in Gasmasken Jagd auf alle Anderen macht. Irrstes und eindrücklichstes Bild dieser Welt ist eine Einstellung, die einige Gasmaskenträger an einer Bushaltestelle neben einer Landstraße zeigt, wobei nur wenige Meter weiter Sklaven in einem Käfig stehen. Dass nicht klar wird, warum das so ist, trägt wiederum zur Kraft der Bilder bei. De Heer hält sich nicht mit Erklärungen auf, die zeigen würden, wie es so weit kommen könnte. Ein Endzeitfilm braucht derlei Erklärungen nicht, es ist klar, dass es hier um Rassismus und kapitalistische Machtstrukturen geht.

Die Heldin des Films, sie ist eine wahre, in ihrer aufrechten Menschlichkeit geradezu übermenschliche schwarze Heldin, wird zu Beginn des Films in einem Käfig in der Wüste ausgesetzt. Nachdem sie mit eiserner Beharrlichkeit ausgebrochen ist, macht sie sich auf die Reise durch eine Welt, in der alle nur noch ans eigene Überleben denken. Dass eine tödliche Krankheit unter den Verfolgten und Ausgesetzten umgeht, verstärkt den Egoismus und man darf den Film in Anbetracht der jüngsten Menschheitsgeschichte durchaus auch als Allegorie auf den von sozialer und geografischer Ungleichheit geprägten Umgang mit dem Coronaimpstoff verstehen.



In einer Szene reicht die Heldin einem erkrankten Mann Wasser auf einem Spaten, um dessen Schuhe zu bekommen. Sie trifft auf zahlreiche röchelnde, blutende Gestalten, für die es bereits zu spät ist, und sie schenkt allen so viel Wärme und Fürsorge wie nur irgend möglich.

Sieht so ein Kino aus, das an eine bessere Welt glaubt? Allegorisch ist der Film bis zum Anschlag, jedes Bild, egal ob es Ameisen, Käfige, den Nachthimmel oder Fabrikanlagen zeigt, weist über sich selbst hinaus. Drohnenbilder, extreme Nahaufnahmen und ein aufdringliches Sounddesign verstärken den quasi biblischen Eindruck, dass es hier um mehr geht, als ein individuelles Schicksal. Die titelgebende Freundlichkeit erstrahlt am stärksten in den Szenen, in denen plötzlich gelacht oder gelächelt wird, aber de Heer denkt lieber philosophisch. Das nimmt dem Film einiges von seiner durchaus vorhandenen Wucht. Die ethische Frage, die unter allem liegt: Was bedeutet es, zu überleben? Genügt es, einfach weiter zu atmen oder sollte man Liebe schenken?

Dass hier eine, die jeden Grund hätte, anders zu handeln, mit Selbstverständlichkeit für Empathie eintritt, hält der herrschenden Klasse einen notwendigen Spiegel vor. Das ist durchaus eine Leistung in einem Survivalfilm. Die Frage ist nur, ob der sphärische Blick des Filmemachers nicht vorbei geht an den realen Umständen, die gutes Handeln erschweren. Anders formuliert: Gerade, dass es der Heldin so leicht zu fallen scheint, das Richtige zu tun, macht sie unmenschlich. Aber diesen Widerspruch muss man aushalten in einer dystopischen Utopie.

Patrick Holzapfel

The Survival of Kindness. Regie: Rolf de Heer. Mit Mwajemi Hussein, Deepthi Sharma, Darsan Sharma u.a., Australien 2022, 96 Minuten. Vorführtermine