Außer Atem: Das Berlinale Blog

Humor in gelber Weste: Benoît Delépines und Gustave Kerverns "Effacer l'historique" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
24.02.2020.


Das französische Regieduo Benoît Delépine und Gustave Kervern hat sich auf einen Humor kapriziert, der zwischen charmanter Komödien und sozialer Groteske oszilliert. Gerard Depardieu spielte im schrägen "Mammuth" einen Schlachter, der in Rente geht und auf eine Tour de France durch sein gelebtes Leben aufbricht. Auch "Saint Amour" war ein poetisch-anarchisches Roadmovie, dessen Deadpan-Witz allerdings nicht immer zünden wollte. Mit "Effacer l'historique" haben sie nun eine Komödie vorgelegt, in der die Könige der echten Idioten den Kampf gegen die künstliche Intelligenz aufnehmen. Gelöscht werden soll nicht die Geschichte, sondern der Verlauf im Browser. Es ist ein echter Gelbwesten-Film, mit obligatorischem Cameo-Auftritt von Michel Houellebecq.

Marie, Christine und Bertrand haben die gute Zeit ihres Lebens hinter sich. Jetzt kämpfen sie gegen die Vorzüge des digitalen Lebens. Marie (Blanche Gardin) wurde von Mann und Sohn verlassen, sie hat so wenig Geld, dass sie auch noch die wenigen Möbel, die ihr geblieben sind, auf Ebay zu verticken versucht. Nachts wacht sie schweißgebadet auf, weil sie vergessen hat, eine Steuernummer einzugeben. Christine verlor über ihre Sucht erst ihren Mann, dann ihren Job im AKW, jetzt schlägt sie sich als Chauffeurin für eine Mietwagenfirma durch. Blöderweise bekommt sie in der Bewertung nie mehr als einen Stern, dabei rollt sie ihren Kunden sogar eine rote Yogamatte aus. Bertrand (Denis Podalydès) steht vor dem privaten Bankrott: Stolz präsentiert er ein meterlanges Karten-Leporello von all den Banken, bei denen er verschuldet ist. Seine Tochter wird auf Facebook gemobbt, er verspricht ihr, das zu regeln, und wenn er in Menlo Park selbst anrufen muss. Überhaupt ist auch er nicht der Hellste: Er sammelt Schneekugeln und CDs von Céline Dion und verknallt sich in die Stimme aus dem Call Center in Mauritius.

Die drei führen ein bescheuertes Leben, im existenziellen Clinch mit den Maklern des Telemarketing, den Boten von Alimazon und den Verkäufern von Verbraucherkrediten. Die Liste ihrer Passwörter, treibt sie in den Wahnsinn. Das bisschen Geld, das sie mit dem Vermieten ihrer Zimmer verdienen, geht für beknackte Online-Angebote wieder drauf. Nur wenn sie an einen Kreisverkehr kommen, schwingen sie wild ihre Gelben Westen. On est là! Als Marie nach einer feucht-verzweifelten Nacht von dem Typen mit einem Sextape erpresst wird, nehmen die drei den Kampf auf, gegen GAFA, die tyrannischen Mächte des digitalen Zeitalters. On est là!



Delépine und Kervern feuern die Pointen ohne Pause. Man muss Tränen lachen und weiß sich doch diesen Menschen sehr verbunden, die sich im digitalen Leben verheddert haben wie Ladegeräte im Kabelsalat. Allerdings feuern sie immer in dieselbe Richtung und immer aus dem gleichen Register. Das gibt ihrer eigentlich sehr lustigen Satire eine gewisse Selbstgefälligkeit. Aber wenn Marie es nach Palo Alto schafft, um in einem Rechenzentrum von Google selbst das erpresserische Sextape zu löschen, dann hallt ihr Schlachtruf durch das Silicon Valley: "Ich will mein Privatleben zurück. Ich will meinen Sex zurück. Ich will meine Muschi zurück." Dass Corinne Masiero bei der Pressekonferenz im Anschluss in einer gelben Weste erschien, war Ehrensache.

Effacer l'historique. Regie: Benoît Delépine und Gustave Kervern. Mit Blanche Gardin, Denis Podalydès, Corinne Masiero und anderen. Frankreich / Belgien 2019, 110 Minuten. (Alle Vorführtermine)