Außer Atem: Das Berlinale Blog

Huldigt der Hebamme und hedonistischen Stiefmutter: Martin Provosts "Ein Kuss von Béatrice" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
15.02.2017.


Claire ist eine sympathische Frau, gewissenhaft und grundanständig. Sie isst kein Fleisch, trinkt lieber keinen Alkohol und parkt nicht im Halteverbot. Freunde braucht sie nicht, andere Menschen braucht sie nicht, will sie nicht, sie kommt bestens allein zurecht, vielen Dank. Ihren Sohn hat sie allein großgezogen, als Hebamme bringt sie Tag für Tag andere Menschen auf die Welt (wir erleben sie tatsächlich bei echten Geburten). Und wenn die Klinik, in der sie arbeitet, nicht einem ultraeffizenten Geburtszentrum weichen müsste, wäre sie rundum zufrieden in ihrem Kokon.

Doch dann rauscht Béatrice in ihr Leben, die einstige Lebensgefährtin ihres Vaters. Sie hat vor über dreißig Jahren die Biege gemacht, als Claires Vater aufs Land ziehen und eine Familie gründen wollte. Das war nichts für Béatrice. Lieber vagabundierte sie als ungarische Fürstentochter durch die Weltgeschichte, von Paris über Biarritz nach Buenos Aires. Sie nimmt vom Leben, was sie bekommen kann. Sie raucht, trinkt und freut sich schon mittags auf Kalbskopf. Verzichten? Weiß sie gar nicht, wie das geht.

Doch Béatrice ist in die Jahre gekommen, sie ist krank. Sie hat keine Angst vor dem Tod, wieso auch, sie hat ja das Leben geführt, das sie wollte. Aber sie braucht eine Bleibe, und hin und wieder einen Menschen, der sie aus dem Krankenhaus abholt. Vielleicht möchte sie auch jemanden etwas hinterlassen, bevor sie stirbt. Sie hat noch einen kostbaren Smaragd, einige ebenso wertvolle Lebenserfahrungen und den eisernen Willen, Claire auf die Sprünge zu helfen. Catherine Deneuve spielt die Béatrice hinreißend und ohne jede Übertreibung. Selbst halbbetrunken nach der Vollnarkose hat sie mehr Charme und Esprit als die langweilige Claire, im Hinterzimmer zockt sie lässig eine Pokerrunde ab. Claire tauscht mit dem Nachbarn ihres Gartens an der Seine jetzt immerhin schon Radieschen. Catherine Frot spielt die Claire wunderbar zerknittert.

Es ist eine charmante Konstellation, um die Martin Provost seinen Film ausgiebig kreisen lässt, der im Wettbewerb außer Konkurrenz läuft. Zwei Frauen fahren durch Paris, sprechen über die Liebe und das Leben und hören Brel, Brassens und Serge Reggiani. So war das schon immer im französischen Kino, nur dass die eine von ihnen inzwischen siebzig, die andere fünfzig ist. Und sie können auch nicht mehr in der Stadt selbst wohnen, sondern nur noch in der Banlieue. Ob es in Mantes-la-Jolie wirklich hübsch ist?, fragt die Deneuve. "Sage Femme" (Ein Kuss von Beatrice) huldigt unspektakulär, aber freundlich den Menschen, die einen ins Leben holen, der Hebamme, der weisen Fau und der hedonistischen Stiefmutter.

Sage Femme - Ein Kuss von Béatrice. Mit Catherine Deneuve, Catherine Frot und Olivier Gourmet. Regie: Martin Provost. Frankreich/Belgien 2017, 117 Minuten (Vorführtermine).