Vom Nachttisch geräumt

Agbogbloshie und Umgebung

Von Arno Widmann
01.08.2018. Wo unser Müll landet, wächst kein Gras mehr: Kai Löffelbeins Fotoband "CTRL-X " über die Elektroschrottdeponien von Agbogbloshie, Guiyu und in Indien.
Der 1981 in Siegen geborene Kai Löffelbein ist einer der bekanntesten deutschen Dokumentarfotografen. Der Steidl-Verlag hat mit "CTRL-X" einen Band vorgelegt, der die Arbeiten Löffelholz' zum Thema "Elektroschrott" sammelt (hier ein Auszug aus dem Band). Er beginnt in Agbogbloshie, einem Stadtteil von Ghanas Hauptstadt Accra. Dort leben etwa 50 000 Menschen und nehmen die aus Europa hierher verfrachteten Herd- und Kühlschrank-, Computer- und Fernseher-Ruinen auseinander. Am Ende wird alles verbrannt. Schwermetalle, Dioxin und hochgiftige Dämpfe sind überall - im Boden, in der Luft. Agbogbloshie ist einer der verseuchtesten Flecken unseres Planeten. Die Ausfuhr von Elektroschrott ist in Deutschland zwar verboten, aber dennoch findet man in Agbogbloshie viel von ihm wieder. Wer mag, kann sich darüber zum Beispiel auf Youtube eine Reportage des Bayerischen Rundfunks ansehen.



Es sei auch hingewiesen auf Jacopo Ottavianis Reportage "Die Elektroschrott-Republik" bei Spiegel Online.

Das Buch informiert nicht. Es zeigt. Löffelbein war mit seinen Kameras auch in Indien und China. Es sind Aufnahmen darunter, die man schnell überblättert, weil man das Gefühl hat, man atmet die giftigen Dämpfe ein. Andere dagegen zeigen, wie kleine Teile in verschiedene Schalen sortiert werden. Das hat etwas Beruhigendes. Da kümmert sich jemand. Auch noch um das Kleinste. Man sieht Frauen in einem dunklen Raum an Tischen sitzen, umgeben von auf dem Boden sich stapelnden Schaltkreisen. Was sie an ihren Tischen tun, ist nicht zu erkennen.

Ein Foto, heißt es, sage mehr als 1000 Worte. Das ist - man sieht es an diesen Aufnahmen wieder sehr gut - Unsinn. Fotos zeigen etwas. Um es zu begreifen, werden wir auf Worte, auf Zahlen zurückgreifen müssen. Fotos sind Stopper. Sie fordern uns auf anzuhalten, um uns etwas genauer anzusehen. Zum Beispiel das grüne Wasser, in dem der Elektroschrott schwimmt und sich auflöst. Wie hoch ist der Bleigehalt dieses Wassers? Wie hoch ist die Krebsgefahr? Antworten bietet das Buch nicht. Es stachelt unsere Neugierde an. Ich hatte zunächst nur Löffelbeins Aufnahmen vor mir auf dem Küchentisch. Inzwischen haben sich Bücher und Ausdrucke auf dem Stuhl daneben angesammelt.

Agbogbloshie


Ich bin schlauer geworden. Nicht durch die Bilder. Aber animiert von ihnen habe ich mich auf die Suche gemacht nach dem, das sie zeigen. Da fällt zum Beispiel auch auf: In Afrika und Indien sieht man nur Männer und Jungen. In China sind auch Frauen mit dem Elektroschrott beschäftigt. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist, oder ob Löffelbeins Fotos, was das angeht, einen realistischen Einblick in die Zusammensetzung der Schrottarbeiterschaft bieten. Bei meinem flüchtigen Durchblättern der Literatur stieß ich auf keinen Zahlenvergleich. 50 Millionen Tonnen Elektroschrott werden derzeit jährlich produziert. Sie sollen Rohstoffe im Wert von 55 Milliarden Dollar enthalten. Ein Riesengeschäft mit zum Teil gigantischen Gewinnspannen. In einem gigantisch wachsenden Markt. Je weiter China und Indien sich entwickeln, desto mehr Elektroschrott werden sie dazu legen.

Noch zwei Hinweise: In der ZDF-Mediathek gibt es noch bis zum 1. September einen 40-minütigen Film über Agbogbloshie zu sehen: "Toxic City" und am 2. August kommt "Welcome to Sodom" in die Kinos, ein Dokumentarfilm über Europas größte Müllhalde: Agbogbloshie.

Karl Löffelbein: CTRL-X - A Topography of E-Waste, Steidl Verlag, Göttingen 2017. 192 Seiten, 29,99 Euro