Außer Atem: Das Berlinale Blog

Kreist um einen Fixstern des New Yorker Literaturlebens: Philippe Falardeaus "My Salinger Year" (Berlinale Special)

Von Thekla Dannenberg
20.02.2020.


Kann man sich Sigourney Weaver für die Eröffnungsgala entgehen lassen? Diese große Schauspielerin, die mit ihren 1,80 Meter allein schon körperlich eine enorme Kraft und Coolness ausstrahlt. Die durchaus verführen kann, aber ihr Gegenüber meist doch eher in die Knie zwingt. In der "Alien"-Saga führte sie einen langen und unerbittlichen Kampf mit dem kosmischen Urmonster, in Ang Lees "Eissturm" macht sie ihren Liebhaber mit einem Achselzucken fertig: "Bitte, keine Geschichten aus dem Büro. Ich habe schon einen Ehemann."

Zur Eröffnung der Berlinale ist Weaver jetzt also in Philippe Falardeaus "My Salinger Year" zu sehen, nicht im Wettbeweberb, sondern in der unedifinierten Reihe "Berlinale Spezial". Weaver ist selbst im Straucheln noch reine Eleganz und Überlegenheit. Weaver spielt die Literaturagentin Margaret, die etwas altmodisch, aber resolut über die Geschicke ihres New Yorker Büro wacht. Es ist das Jahr 1995, und E-Mails gelten an der Ostküste noch als digitaler Klimbim, mit dem sich die Leute Nachrichten verschicken, die niemand braucht. Computer kommen der Dame nicht ins Haus, sie machen mehr Arbeit als sie abnehmen. Doch oberstes Gebot dieser Agentur ist die bedingungslose Treue und Verschwiegenheit zum verehrtesten aller amerikanischen Schriftsteller, zu J. D. Salinger, den hier alle nur Jerry nennen. Niemand gibt seine Adresse heraus, und niemand behelligt den Autor, der von der Welt in Ruhe gelassen werden will.

Margaret stellt die junge Joanna ein, um der unzähligen Briefe Herr zu werden, die über die Agentur an Salinger geschrieben werden. Joanna - liebenswert, großäugig und zielstrebig gespielt von Margaret Qualley - ist eigentlich nach New York gekommen, um Schriftstellerin zu werden. Aber wenn die Agentur ihre Gedichte noch nicht einmal lesen will, dann heuert sie eben als Sekretärin an. Ihr Job wird es, die Fanpost an Salinger kühl, formell und vor allem unpersönlich zu beantworten. Egal wie traurig und verzweifelt die deprimierten Jugendlichen klingen, die in ihrer Not Verständnis von Salinger erhoffen, ihre Briefe sollen geschreddert werden. Es muss nur vorher sicher gestellt werden, dass von den Absendern keine Gefahr ausgeht. Der Attentäter, der John Lennon ermordete, wurde gefasst, als er den "Fänger im Roggen" las.



Falardeaus Film beruht auf den Erinnerungen der New Yorker Journalistin Joanna Rakoff, die in ihrer Zeit bei der legendären Literaturagentur Dorothy Olding ein paar Mal Salinger begegnete, bevor sie kündigte und doch lieber ihre eigene schreiberische Karriere in Angriff nahm. Viel hat sie von Salinger allerdings nicht mitnehmen können. Dass ausgerechnet dieser Kauz ihr den Allerweltsrat gegeben haben soll, jeden Tag zu schreiben und sei es nur für fünfzehn Minuten, mag man gar nicht glauben. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ihr Erfolg als Autorin auf diesem einen Jahr beruht.

Weil der Einsiedler Salinger so wenig hergibt, und auch die Auftritte der Staragentin bemessen sind, trudelt der Film mit Joanna durch das Leben literarischer AspirantInnen. Aus der Beziehung mit dem begabten Musiker in die Arme des Untergrunddichters. Von der Lobby des New Yorker zu Elaine's, dem Edelrestaurant an der Upper East Side. Von den angesagten Cafés im Greenwich Village zu den Open-Mike-Bühnen im East Village, dem der revolutionäre Spirit so nachhaltig ausgetrieben wurde, dass der Film nicht mal versuchen kann, ihn einzufangen. Aber auch die anderen Fixsterne des Literaturlebens strahlen hier eher farblos. Voice-Over, Sepia-Farben und New-York-Evergreens sorgen für Nostalgie.

Bizarrerweise geht es auch immer wieder ins Waldorf Astoria, mit dem Joanna von Kindheit an die Vorstellung von literarischer Noblesse verbindet. Woher sie die hat, fragt man sich besonders, wenn die Gesellschaft dort bei Kaffee und Kuchen mit den livrierten Portiers zu tanzen beginnt. Ob dies das Galapublikum in Stimmung bringt? Oder doch Sigourney Weaver, die selbst als technikfeindliche Literaturagentin mit Dreiecksbeziehung für Klasse und Modernität sorgt.

My Salinger Year. Regie: Philippe Falardeau. Mit Sigourney Weaver, Margaret Qualley, Douglas Booth und anderen. Kanada, Irland 2020, 101 Minuten (Alle Vorführtermine)