Vom Nachttisch geräumt

Die große Kunst und das schöne Geld

Von Arno Widmann
14.05.2018. Die gute Fee, die dem Künstler seine Wünsche erfüllt: Der Sammler Heiner Friedrich im Gespräch.
Es gibt Menschen, die lieben die Kunst, wollen aber mit den Künstlern nichts zu tun haben. Sie setzen sich lieber so lange vor ein schwarzes Quadrat, bis sie nichts mehr denken, als sich mit dem Künstler oder sonst jemandem darüber zu unterhalten. Ich bin einer von denen. Darum kann ich mit Vernissagen nichts anfangen, und ich verstehe mich auch nicht auf das Reden über die Kunst. Es gibt noch viele andere Spielarten der Liebe zur Kunst. Es gibt die, die gerne in einer kleinen Gruppe in eine Galerie gehen und den anderen zeigen, was ihnen ge- oder missfällt. Sie lassen sich auch gerne von den anderen hinweisen, auf das, was ihnen auffiel. Für diese Art Kunstliebhaber gehört das Gespräch über sie einfach zur Kunst dazu. Auf Gemälden des 18. Jahrhunderts sieht man oft solche Gruppen um die Bildwerke der Antike stehen.

Einen völlig anderen Blick auf die Kunst haben die, die die Künstler lieben. Ich habe den Verdacht, das ist eine Haltung, die ein großes Vermögen erfordert. Nur das schafft den Abstand, der einem die Nähe erlaubt. Paradox? Sicher. Ich habe gerade das Interview gelesen, das Corinna Thierolf, in der Münchner Pinakothek der Moderne zuständig für Kunst ab 1945, mit Heiner Friedrich führte. Heiner Friedrich wurde am 14. April 80 Jahre alt. Er ist Sammler, Händler, Museumsgründer. Heiner Friedrich erklärt in dem Interview, Kunst sei immer Gegenwart. Man müsse ihr nur den Raum geben, in dem sie sich entfalten kann. Für ihn bedeutete das nicht, Bilder zu kaufen und sie in Ausstellungshallen zu stecken - das tat er auch - , sondern es bedeutet, Künstlern die Möglichkeit zu geben, ihre Einfälle zu verwirklichen.


Walter De Maria, The Lightning Field, 1977. © Estate Walter De Maria. Foto: John Cliett

Heiner Friedrich und seine spätere Frau Philippa de Menil gründeten 1974 die Dia Art Foundation, eine Stiftung, die sich ausdrücklich vorgenommen hatte, Projekte zu unterstützen, die für andere Institutionen zu groß waren. Also zum Beispiel das "Lightning Field" in New Mexico von Walter de Maria oder seinen "Vertical Earth Kilometer" auf der documenta in Kassel oder Joseph Beuys' 7000-Eichen-Projekt. Das Verrückteste, Größenwahnsinnigste aber war sicher der Kauf eines Vulkankraters und des ihn umgebenden Geländes im Norden Arizonas, damit der Lichtkünstler James Turrell seinen Traum vom Roden Crater realisieren konnte. Wer davon noch nichts gehört hat, der setze sich an einen Computer und sehe sich in der ARD Mediathek den Film "James Turrell. Den Himmel auf Erden" von Armin Kratzert und Florian Holzherr an. Seit mehr als 40 Jahren arbeitet James Turrell, geboren 1943 im kalifornischen Pasadena, daran, aus einem erloschenen Vulkan die größte Skulptur der Weltgeschichte zu machen.

Turrell ist ein freundlicher, zurückhaltender, rationaler, aber natürlich völlig wahnsinniger Mann. Was ich erst jetzt bei der Lektüre des Interviews mit Heiner Friedrich verstanden habe, obwohl ich es längst hätte wissen müssen: Hinter den größenwahnsinnigen Künstlern stecken ihre mindestens ebenso verrückten Finanziers, die "Kunstsetzer". Wahrscheinlich sind in den Kunstmagazinen die zwei, drei, vier, fünf Handvoll von ihnen, die nach dem Zweiten Weltkrieg das zur Kunst machten, das heute Kunst ist oder doch beängstigend viel davon, längst aufgeführt oder vorgestellt worden. Aber mich hat der Interview-Band neugierig gemacht auf diese Subspecies von Homo sapiens. Als Heiner Friedrich noch ein junger Mann war und zwar nicht arm, aber noch weit davon entfernt war, über eine Pipeline zum Ölgeld der de Menils zu verfügen, da hatte er die von ihm, seiner damaligen Frau und seinem Freund Franz Dahlem betriebene Galerie bereits - das war 1968 - Walter de Maria zur Verfügung gestellt. Der schüttete sie mit Erde aus und schuf so seinen ersten "Earth Room". Im Oktober 1977 wurde in Soho in New York wieder einer eröffnet: 127.300 Kilogramm Erde verteilt auf 335 Quadratmeter in 56 Zentimeter Höhe. Den gibt es heute noch: 141 Wooster St, New York, NY 10012, USA. 20 000 Besucher im Jahr. In der Regel, so heißt es, verbringen Menschen hier bis zu 1,5 Stunden. Nur zum Vergleich: Das Einsteinhaus in Bern, der Ort, an dem die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie entwickelt wurden, also sicher einer der wichtigsten Orte des 20. Jahrhunderts, hatte 2017 65 000 Besucher.


Der erloschene Vulkan, in dem James Turrell seinen Roden Crater angelegt. Foto: © James Turrell

Heiner Friedrich hat natürlich sehr dezidierte Vorstellungen von dem, was Kunst ist. Sonst könnte er sich nicht so frei von Hemmungen engagieren. Ich kenne ihn nicht, alles, das ich sage, kommt aus diesem einen Interview. In dem es die großartige Stelle gibt, an der Heiner Friedrich sagt "Ich schweige jetzt einen Moment" und gleich danach folgt eine runde Klammer, in der steht: schweigt. Mir hat das gefallen. Nicht nur, weil ich viele Interviews geführt habe und oft fand, dass die Pausen ebenso beredt waren wie das Gesagte, sondern auch weil dieses Schweigen Friedrichs Bemerkung über das Schweigen des Kunstwerks folgte. Das spricht zwar zu uns, aber in seiner Sprache und nicht in der unseren. Das klingt jetzt vielleicht etwas gar zu mystisch, aber Friedrich erinnerte daran, dass man nicht beim Lesen redet, auch nicht beim Hören von Musik, einzig die Kunst scheinen wir nicht zu ertragen, wenn es uns nicht gelingt sie mit unserem Gerede zu übertönen.


Im Inneren des Roden Crater. Fotos: © James Turrell

Die Kunst, für die Heiner Friedrich sich einsetzt, ist die, die nicht auf den Markt geht. Er mag die großen, spirituellen Entwürfe, die sich gegen die Aufklärung wenden, "die nur auf Besitz aus war, den Menschen zum Maß aller Dinge" erhob. Das sind seine Worte und er fährt fort mit "es waren dann wichtige Künstler wie Jackson Pollock, Barnett Newman und David Smith, die aus diesem Denken wieder herausfanden". Friedrich sieht den Wald nicht vor lauter Bäumen nicht, sondern weil er selber der Wald ist. Die Künstler, von denen er sagt, sie stellten sich nicht auf den Markt ein, haben sich auf ihn und noch ein paar andere Sammler und Mäzene eingestellt. Das ist der Markt, auf dem schon Leonardo, Michelangelo und Raffael gegen einander antraten. Der Kunstmarkt ist eben nicht nur der, auf dem Galerien die Werke der von ihnen vertretenen Künstler anbieten. Der Kunstmarkt ist auch der, auf dem ein winziger Club großer Geldgeber sich um eine Schar von Künstler streitet und so zum beiderseitigen Nutzen die Preise hochtreibt. Daneben gibt es auch den Wettbewerb der Künstler um die Sinekuren, um jene Einrichtungen, die ihnen ihr Leben finanzieren. Einen Einblick in diese Welt verschafft das Interview mit Heiner Friedrich.

In dieser Welt geht es darum, das Materielle abzustreifen. Hier erst regiert das Geistige in der Kunst. Heiner Friedrichs Besessenheit von der Idee einer Kunst, die sich frei machen kann vom Streben nach Besitz, weil ihr alles geschenkt wird, hat wenig mit Kunst, umso mehr mit seiner Rolle bei der Schaffung von Kunstwerken zu tun. Er ist die gute Fee, die dem Künstler seine Wünsche erfüllt. Je besser ihm das gelingt, desto blinder freilich wird der Künstler für die Realität der Welt, in der wir alle leben, desto drängender wird die Frage nach Transzendenz und Spiritualität. Das Wort Spekulation kann hier seine ganze Vieldeutigkeit entfalten.

Ich will nichts über mich sagen. Es geht um die Kunst. - Heiner Friedrich im Gespräch mit Corinna Thierolf, Schirmer/Mosel, 112 Seiten mit zahlreichen s/w und farbigen Aufnahmen, 49,80 Euro