9punkt - Die Debattenrundschau

Die Dimension des Skandals

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.03.2021. Korruption in der CDU: Eine seltsame Woche im Superwahljahr neigt sich dem Ende zu: CDU-Abgeordnete machen sich für Aserbaidschan stark, damit Menschenrechtsverletzungen nicht thematisiert werden. Und es fließt Geld, berichten taz und FAZ. Und wie soll man die SZ-Meldung bewerten, dass der CSU-Politiker Peter Gauweiler in seiner Zeit im Bundestag als Anwalt Honorare in Höhe von mehr als elf Millionen Euro beim Milliardär August von Finck abgerechnet hat? Der neue Stand bei den Benin-Bronzen ist, dass er nicht so neu ist.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.03.2021 finden Sie hier

Europa

Der SPD-Bundestagsbgeordnete Frank Schwabe ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Dort hat er erlebt, wie Parlamentarier Kritik an Aserbaidschan verhinderten, einige davon von der CDU. In ganz Europa sind offenbar Abgeordnete von dem reichen Ölland geschmiert worden. Seltsamerweise tut die CDU dagegen recht wenig, und die Empörung ist bisher nicht sehr groß. Schwabe wirft der Unionsfraktionsführung im Gespräch mit Sabine am Orde von der taz vor, dass "sie die Dimension des Skandals entweder nicht verstanden hat oder nicht aufklären" wolle. "Natürlich ist die Maskenaffäre schlimm, aber auf der anderen Seite sitzen Menschen in Kerkern und hoffen, dass der Europarat ihnen zu Hilfe kommt. Und diese Leute tun das Gegenteil davon und lassen sich dafür schmieren. Das ist das Schlimmste, was Abgeordnete dem deutschen Parlamentarismus antun können."

Ebenfalls in der taz berichtet Barbara Oertel über Gewalt gegen Frauen in Aserbaidschan - und die Unterdrückung des Protests dagegen: "Gewaltsames Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Demonstrationen regimekritischer Kräfte ist in Aserbaidschan Routine. Der autokratische Staatspräsident Ilham Alijew und sein Klan haben die Südkaukasusrepublik mit zehn Millionen Einwohnern, die mehrheitlich muslimisch sind, seit 2003 fest im Griff. Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. NGOs, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, haben jedoch noch gegen ganz andere Widerstände zu kämpfen. Ihre Forderungen stoßen auch in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch auf Unverständnis bis hin zu totaler Ablehnung."

Die Korruption in der CDU scheint unter anderem bei dem Thema Aserbaidschan manifest zu sein. In der FAZ schreibt  Reinhard Veser, dass dem CDU-Bundestagabgeordneten Axel Fischer und der verstorbenen CDU-Abgeordnete Karin Strenz vorgeworfen wird, "als Teil eines ganzen Netzes von Parlamentariern aus mehreren EU-Staaten daran mitgewirkt zu haben, dass in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats systematisch Posten so besetzt und Abstimmungen so beeinflusst wurden, dass in Resolutionen Kritik an Menschenrechtsverletzungen und Wahlmanipulationen in dem Land im Südkaukasus blockiert oder wenigstens abgemildert wurde."

Schön auch diese Meldung der Süddeutschen über den CSU-Politiker Peter Gauweiler: "Der Rechtsanwalt und CSU-Politiker Peter Gauweiler hat während seiner Zeit im Bundestag als Anwalt Beraterhonorare in Höhe von mehr als elf Millionen Euro beim Milliardär August von Finck abgerechnet. Gauweiler schickte von 2008 bis 2015 regelmäßig Rechnungen über ein 'vereinbartes Pauschalhonorar' an Finck."

Zwischen der russischen Zivilgesellschaft und dem Staat herrscht "praktisch ein offener Bürgerkrieg", schreibt Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum in der SZ mit Blick auf die friedlichen Proteste der vergangenen Monate. Dazu komme der "Kampf gegen die russische Ausprägung des Spießbürgers, den all diese Proteste und jede Aktivität der Zivilgesellschaft aus dem Gleichgewicht bringen. Der 'Mann der Mitte' blendet schlechte Nachrichten über die russische Führung aus - ein psychologischer Schutzmechanismus. Vermutlich deshalb stieg nach den jüngsten Protesten der Anteil der Menschen, die Nawalnys Tätigkeit missbilligen, von 50 auf 56 Prozent; das sagen jedenfalls die Zahlen des Lewada-Zentrums, eines unabhängigen Meinungsforschungsinstituts. Der wichtigste Oppositionelle stört offenbar das Weltbild der Konformisten, die sich als Mitte der Gesellschaft verstehen. (…) Solch ein 'Mann der Mitte', der die Behörden nicht mag, aber ihnen gehorcht und sein Misstrauen gegenüber allem Liberalen äußert, widersetzt sich der modernen Zivilgesellschaft. Er bleibt die Stütze der Mächtigen, weil er, wenn er ins Wahllokal kommt, mechanisch das Ritual der Loyalität erfüllt und für die regierende Klasse stimmt."

Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben den Trend, der unter dem Slogan "Personen statt Programme" gefasst wird, bestätigt, meint der Politikwissenschaftler Emanuel Richter im Aufmacher des FR-Feuilletons. Er befürchtet "eine demokratische Aushöhlung": "Es entsteht der falsche Eindruck, dass bei der Wahl unmittelbar über die Besetzung exekutiver Spitzenämter abgestimmt wird. Der zwischengeschaltete Wahlakt im Parlament gerät ins Hintertreffen. Das Parlament als das Repräsentationsorgan des Volkswillens wird zum Erfüllungsgehilfen herabgestuft. Die Tendenz zur Personalisierung behindert damit die programmatische Profilierung der Parteien und die Würdigung der Parlamente als Organe, in denen wichtige Entscheidungen getroffen werden, unter anderem über die Regierungsbildung. Das passt zur Beobachtung einer schleichenden Entparlamentarisierung. Die Regierungen reißen zu viel gesetzgeberische Macht und Entscheidungshoheit an sich, während die Parlamente zu Stationen der Billigung exekutiver Entscheidungen entwertet werden. Die politischen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung haben dafür einen drastischen Anschauungsunterricht geliefert."
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Religion

Jan Feddersen schreibt in der taz den Nachruf auf die linke Theologin und Friedensbewegte Uta Ranke-Heinemann, die im Alter von 93 Jahren gestorben ist: "Alles, was an Misere in puncto Katholizismus heutzutage offenliegt, die Kameraderie, das Bigotte, das Bedürftige an Herzlichkeit, die fehlende Barmherzigkeit im Hinblick auf echte Nöte - das hatte Uta Ranke-Heinemann in ihren agilsten Jahren im Blick, das machte sie öffentlich populär und durchaus streitbar."
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Geschichte

Anlässlich der 60. Jährung des Eichmann-Prozesses erinnert der Historiker Norbert Frei in der SZ auch daran, was der Prozess für Israel bedeutete: "Die politischen Prämissen, unter denen Israel nach Eichmanns Ergreifung agierte, waren sehr klar: Die Welt sollte akzeptieren, dass sich der junge Staat als die alleinige und rechtmäßige Vertretung aller Juden verstand. Aber der Prozess bot auch Gelegenheit, das Narrativ der zionistischen Staatsgründung zu erweitern, in dem das Schicksal der europäischen Juden bis dahin kaum eine Rolle gespielt hatte. Jetzt sprach Premierminister David Ben-Gurion von der 'historischen Pflicht gegenüber sechs Millionen Angehörigen unseres Volks, die ermordet worden sind'."
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Ideen

Noch weniger als mit dem Gendersternchen kann der Linguist Tim Hirschberg in der Welt mit dessen mündlicher Entsprechung, dem Glottislaut anfangen: "Gerade der Laut, der im Deutschen am wenigsten mit Bedeutungen zu tun hat, soll auf einmal für eine unabschließbare Menge an realen und potenziellen Geschlechtsformen einstehen. Darauf ließe sich erwidern, dass eben diese Unberührtheit den Glottislaut dafür prädestinieren könnte, offen für Neuzuschreibungen zu sein. Doch der Einwand läuft ins Leere, denn das deutsche Sprachsystem hält für den Glottislaut sehr wohl eine festgelegte Funktion bereit - er dient zusammen mit einer kleinen Pause als Grenzsignal. Er trennt etwa die zwei Wortteile von Spiegelei, so dass wir wissen, es ist von einer Speise die Rede. Ohne den Glottislaut wäre ein Streich gemeint, die (Eulen-)spiegelei."

Bald wird es Software geben, die Texte automatisch gendern, aber auch automatisch "entgendern" kann, freut sich der Volkswirtschaftswissenschaftler David Stadelmann in der Welt: "Derartige Innovationen erlauben es, die Bedürfnisse aller weitgehend zu befriedigen. Jene, die gerne gendergerechte Texte produzieren möchten, können dies automatisiert. Jene, die Text nur in weiblicher (oder nur männlicher) Form nachfragen, werden diesen nach ihren Vorlieben entgendert lesen können. Alle können gemäß individueller Sprachpräferenz schreiben und lesen. Damit erledigen sich auch abstrakte Diskussionen, inwieweit Sprache ein Herrschaftsmittel sei. Dank automatischem Gendern und Entgendern erlangen alle selbst Herrschaft über ihre jeweils präferierte Sprachausdrucksform."

Die Kölner Stadtverwaltung ist unterdessen angehalten, künftig von Zufußgehenden zu sprechen, notiert Jürgen Kaube in der FAZ: "Ob daraus dann auch Zufußgehendenzonen und -ampeln folgen, dürfte vom Bedürfnis der entsprechenden Beauftragten abhängen, sich weiter wichtig zu machen."
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Kulturpolitik

In der Diskussion um die Benin-Bronzen in dieser Woche ist doch etwa gründlich schiefgegangen. Andreas Kilb erzählt die komplizierte Geschichte auf knappem Raum in der FAZ. Am Montag hatte Hartmut Dorgerloh, der Intendant des Humboldt-Forums in Berlin, in einem Telefonat mit der Süddeutschen Zeitung von Rückgabe gesprochen (unser Resümee). Und dann passierte folgendes: "Die Zeitung machte daraus eine Meldung, in der die baldige Restitution aller deutschen Benin-Bronzen angekündigt wurde. Die postkoloniale Internetblase, vor allem die pressure group um den Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer, jubelte, doch dann folgte die Ernüchterung: Die Meldung wurde gelöscht, der Sachverhalt korrigiert. Der Satz von Dorgerloh allerdings blieb stehen." Kilb annonciert einen längeren Prozess der Verhandlungen vor allem zwischen Museen - und empfiehlt dem Humboldt Forum unterdessen, die provisorische Ausstellung der Bronzen in die Hände eines nigerianischen Kurators zu geben.

Die Schauspielerin Katharina Kwaschik gehört zu den Initatorinnen einer Petition, die die Kultur im Grundgesetz verankert sehen will. Hintergrund  ist die existenzielle Not vieler Künstler in der Coronakrise. Im Gespräch mit Susanne Messmer sagt sie in der taz: "Uns geht es um den Schutz von Kunst und Kultur, den wir im Grundgesetz verankert wissen wollen. Die Freiheit der Kunst ist ja im Grundgesetz formuliert und stellt damit ein Grundrecht dar. Die Kunst kann aber nur frei sein, wenn ihrer Entfaltung nichts im Wege steht, ihr Achtung und Akzeptanz entgegengebracht werden und sie durch die Kulturpolitik geschützt wird. Bislang ist etwa die Kulturförderung eine freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen."

In der Welt sind Rainer Haubrich die ganzen Debatten um das Humboldt Forum entschieden zu "woke". Die Benin-Bronzen können ruhig zurück nach Nigeria, aber dann sollte das Projekt bitte gefeiert werden, meint er: "Es ist erstaunlich, wie es den Kritikern in den Medien gelungen ist, diesen - ohne Zweifel wichtigen - Teilaspekt zum alles beherrschenden Thema rund um das Humboldt Forum zu machen. (…) Anstatt dieses Wunderwerk nun mit Begeisterung zu vermarkten, halten die Macher des Humboldt Forums rund um Generalintendant Hartmut Dorgerloh das Haus im Würgegriff der 'Wokeness'. Sie schämen sich förmlich dafür, hinter Barockfassaden zu arbeiten, und versuchen gar, den Begriff 'Berliner Schloss' systematisch zu tilgen."
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Gesellschaft

In der Berliner "Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus" sitzen wohl auch einige Mitglieder, die islamistischen Organisationen nahestehen, berichtet Frederik Schindler in der Welt. Es geht um die Vereine Inssan und Claim, die unter anderm Berichte zu "Islamophobie" herausbringen: "Welt-Recherchen zeigen, dass Inssan und die genannten Personen Bezüge zu islamistischen Organisationen aufweisen, die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet wurden oder werden. Dennoch wird Inssan seit Jahren mit hohen Beträgen aus Bundes- und Landesmitteln gefördert. Gegründet wurde der Berliner Verein im Jahr 2002, nach eigenen Angaben verfolgt er das Ziel, 'die Entwicklung eines deutschsprachigen Islam zu fördern'."
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