Im Kino

Gartenzwerge am Beckenrand

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Michael Kienzl
10.01.2019. Sebastian Gutiérrez' faszinierender Science-Fiction-Thriller "Elizabeth Harvest" verstrickt sich in Doppelungen und Wiederholungen, die vielleicht gar keine sind. "Welcome Home" von George Ratliff ist hingegen kaum mehr als ein weiteres Indiz dafür, wie sehr das einst fruchtbare Genre des Erotikthrillers vor die Hunde gekommen ist.











Wenn Elizabeth (Abbey Lee) träumerisch aus dem Cabrio schaut, um für einen Augenblick ihre neue Rolle als Ehefrau zu genießen, wirkt das Bild plötzlich, als würde es aus einem Werbespot stammen - der Hintergrund zieht so unwirklich wie eine Rückprojektion vorbei, während das Licht auf Elizabeths Gesicht so grell ist, dass es ihr etwas Puppenhaftes verleiht. Ansonsten wirkt "Elizabeth Harvest" eher wie die etwas anständigere kleine Schwester eines hemmungslosen Giallos, zum Beispiel in der Art, wie die Kamera sich an Oberflächen weidet oder auch mal in die Schräglage kippt, wie die Bilder teilweise in ein kalten Blau oder unheilvolles Rot getaucht werden oder auch durch die Unbekümmertheit, mit der Hauptdarstellerin und Model Abbey Lee als Objekt der Begierde inszeniert wird. Wenn nun ausgerechnet in einem Film, der soviel Wert auf seinen Style legt, ein Moment so billig und auch irgendwie falsch aussieht wie die Szene im Cabrio, kann das kein Zufall sein.

Der Drehbuchautor ("Snakes on a Plane", "Gothika") und Regisseur ("Women in Trouble", "Elektra Luxx") Sebastian Gutiérrez inszeniert das frische Eheglück umhüllt von einer zauberhaft romantischen Aura. In dem modernistischen, einsam auf einem Hügel thronenden Glastempel ihres deutlich älteren, dafür aber auch einnehmend kultivierten, erhaben sleazigen und grotesk reichen Mannes Henry (Ciarán Hinds) darf sich Elizabeth wie eine frisch ernannte Prinzessin fühlen. Der Film spielt zunächst offensiv mit dieser märchenhaften Komponente, zeigt seine Protagonistin kindlich naiv und mit manierierten Bewegungen, während auf dem Soundtrack Cembaloklänge und ätherisch hauchende Frauenstimmen ertönen. Langsam erforscht Elizabeth ihr neues Reich, streift durch die langen Gänge, lässt sich vom undurchsichtigen Dienstpersonal bekochen, probiert Sachen aus ihrem neuen Kleiderschrank an, der eigentlich ein ganzes Zimmer ist, an und zieht ihre Bahnen im hauseigenen Pool. Dass dieses Umfeld nicht nur ein goldener Käfig ist, in dem man sich elegant zu Tode langweilen kann, sondern eine einzige Täuschung, das deutet schon eine geheimnisvolle Tür im Keller an, die Elizabeth auf Anweisung ihres Mannes auf keinen Fall öffnen soll. Was sie kurz darauf natürlich trotzdem tut.












"Elizabeth Harvest" verwendet Motive aus dem Blaubart-Märchen und zeichnet zugleich - ähnlich wie Alex Garlands "Ex Machina" (2015) - eine mit Science-Fiction-Elementen angereicherte Welt, in der sich das Konstruierte und das Echte nicht mehr exakt voneinander trennen lassen. Eine Metapher, auf die Gutiérrez mehrmals zurückgreift, ist die eines Hühnereis, das, sobald es einmal in die Pfanne geschlagen wird, seine Beschaffenheit ändert; also immer noch das gleiche Ei ist, aber eben doch auch etwas anderes. Dementsprechend ziehen sich Doppelungen und Wiederholungen durch den Film, die aber doch nicht immer welche sind. Nach nicht einmal zwanzig Minuten beginnt der Film etwa noch einmal von vorne, jedoch nur als Variation auf das bereits Geschehene. Noch komplexer wird die Erzählweise, wenn eine längere Rückblende beginnt, Wissenslücken zu füllen.

Auch wenn sich Gutiérrez im Schlussteil etwas in seiner ambitionierten Narration verheddert - während am Anfang das Ungewisse noch einen starken Sog entwickelt, ist der Film später zu sehr damit beschäftigt, alles eher umständlich zu einem einigermaßen schlüssigen Ende zu bringen - so sind die verschiedenen Erzählebenen doch kein bloßer Trick, um origineller zu wirken, sondern eine aus der Geschichte gezogene Konsequenz. Der Film kann schon deshalb keine klassische Chronologie haben, weil er von Menschen erzählt, die durch Traumata an die Vergangenheit gekettet und von einem nicht zu kurierenden Wiederholungszwang besessen sind. So geht es die meiste Zeit nur darum, ein vergangenens Glück, genauer gesagt die Euphorie einer konkreten Erfahrung, zu konservieren und immer wieder neu abzurufen.

In diese artifizielle Welt passt besonders der irische Schauspieler Ciarán Hinds sehr gut hinein, in dessen Gesicht - vermutlich bedingt durch einige kosmetische Eingriffe - jugendliche Glätte und großväterliche Jovialität eine so seltsame Mischung eingehen, dass es manchmal wie eine CGI-Animation wirkt. Wie sich sein Aussehen zu seiner Figur verhält, zeigt wiederum, dass man das Natürliche und das Künstliche hier nicht mehr so leicht auseinanderhalten kann. Gutiérrez geht dabei sogar so weit, dass sich überhaupt nicht mehr nachvollziehen lässt, warum Ersteres Letzterem eigentlich überlegen sein sollte. Damit erweist sich "Elizabeth Harvest" als wahrlich posthumaner Thriller, in dem sich der Mensch mit seinen perversen Obsessionen selbst zu Fall bringt, während im Synthetischen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft liegt.

Michael Kienzl

Elizabeth Harvest - USA 2018 - Regie: Sebastian Gutiérrez - Darsteller: Abbey Lee, Ciarán Hinds, Carla Gugino, Matthew Beard, Dylan Baker - Laufzeit: 105 Minuten.

"Elizabeth Harvest" ist ab dem 18.1. auf amazon prime verfügbar und erscheint eine Woche später auf BluRay und DVD.


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Die Videoüberwachungszentrale ist ein Motiv, von dem das Kino noch nicht ganz lassen möchte, auch wenn es eigentlich technik- und auch sozialgeschichtlich schon passé ist. In Zeiten der zentrumslosen Dispersion digitaler Bilder, der ortlosen "Wolke", die als amorphes, potentiell unendliches aber gleichzeitig unzuverlässiges Archiv des Sichtbaren dient, ist die Vorstellung eines einzelnen Mannes, der in einem tristen, eventuell sogar unterirdischen Raum vor einer Reihe übereinandergestapelter Fernsehbildschirme sitzt und dabei die Handlungen einiger anderer Menschen im Blick behält, selbst dann anachronistisch, wenn es empirisch noch jede Menge solcher Männer in Räumen mit übereinandergestapelten Fernsehbildschirmen gibt. Dass sie auch im Kino nach wie vor allgegenwärtig sind, überrascht andererseits auch nicht - schließlich ist eine Überwachungszentrale schon fast dasselbe wie ein Schneideraum. Anders ausgedrückt: In der Videoüberwachungszentrale figuriert der Film sich selbst, seine Montage- und Erzähltechniken und auch die paranoide Herrschaft des Films beziehungsweise seines Regisseurs oder seiner Regisseurin über die Bilder. Und gleichzeitig ist sie natürlich auch eine szenische Modellierung des voyeuristischen Aspekts der Schaulust, die uns alle ins Kino treibt.

Freilich laufen Überwachungsparanoiafilme zumeist, und auch im Fall von George Ratliffs "Welcome Home", darauf hinaus, dass die Herrschaft des Überwachungsdispositivs gebrochen werden muss. Die Videoüberwachungszentrale ist einerseits der Raum hinter dem Raum; aber gleichzeitig gibt es doch eine Kontinuität zwischen ihr und den Räumen, die von ihr aus überwacht werden. Um im paranoiden Psychokrieg das Gleichgewicht der Waffen wiederherzustellen, muss die Grenze zwischen beiden Räumen durchbrochen und der Überwachungsraum entzaubert werden. In "Welcome Home" fällt der Moment, in dem das Überwachungsdispositiv zusammenbricht, mit der einzigen Szene des Films zusammen, die sich an so etwas Ähnlichem wie Kinkyness versucht. Leider nicht, weil dem Film vor lauter Erregung die Drähte durchschmoren; eher hat man den Eindruck, dass er gar nicht so genau wissen will, was alles möglich wäre, wenn er sich auf die Blick- und Begehrensstrukturen, die in ihm angelegt sind, vollumfänglich einlassen würde.











Überwacht wird in "Welcome Home" eine von sanft geschwungenen, weinbergbewachsenen Hügeln umgebene Villa nahe der italienischen Kleinstadt Todi, in der sich Cassie (Emily Ratajkowski) und Bryan (Aaron Paul) für einige Tage eingemietet haben, um ihre kriselnde Beziehung zu kitten. Genauer gesagt hatte er sie beim Fremdgehen erwischt und kommt nicht darüber hinweg. Noch genauer gesagt: Bryan versucht ziemlich krampfhaft, Cassie wieder als Objekt seines eigenen sexuellen Verlangens wahrzunehmen, aber wenn es dann zur Sache gehen soll, funkt ihm die Erinnerung dazwischen und seine Lust ist dahin. Beziehungsweise eigentlich seine Erektion, aber da die im Mainstreamkino nicht gezeigt werden darf, muss sich das ganze Drama in Pauls Gesicht widerspiegeln, was manchmal ziemlich lustig ist, insbesondere wenn man die bekannteste Rolle des Schauspielers vor Augen hat: Der derangierte Methhead Jesse Pinkman aus "Breaking Bad" hat jetzt jede Menge Kohle und eine heiße, etwas schlacksige, ihn breit über ihr gesamtes schmales Gesicht hinweg verliebt angrinsende Freundin, blickt aber selbst immer noch genauso verbiestert, dauernervös, buchstäblich dünnhäutig (teils hat man das Gefühl, die Haut könne ihm jeden Moment ganz vom Antlitz abblättern und den darunterliegenden Schädel freilegen) und vom Leben chronisch überfordert in die Gegend wie damals in New Mexico. Einmal behauptet er, nachdem ein Sexversuch im Pool gescheitert ist, er könne nicht, solange ihn die Gartenzwerge, die einige Meter vom Beckenrand entfernt im Gras herumstehen, anblickten.

Am nächsten Morgen joggt Cassie durch die in den Außenszenen sehr grünen, eine Zeitlang durchaus angenehm anzuschauenden Breitwandbilder des Films. Im Wald stolpert sie, als gleich darauf ein rotes Auto an ihr vorbeifährt, knickt sie leicht theatralisch um und wird von Federico (Riccardo Scamarcio) aufgesammelt, der sich als Nachbar des Paars ausgibt und vehement in das Leben der beiden drängt. Und der, da verrät man nicht zuviel, natürlich auch der Mann vor den Überwachungsbildschirmen ist. Als verführerischer Charmeur ist Scarmarcio eine ziemliche Fehlbesetzung, selbst bei seinen wenigen ernsthaften Flirtversuchen schaut er so düster brütend drein, dass halbwegs vernünftige Menschen sofort reißaus nehmen würden. Nun ist Vernunft dünn gesät in diesem gegen Ende fast schon spektakulär schwachsinnigen Film; erotische Spannung aber dummerweise auch. Das Problem ist letztlich weniger Scamarcio als die grundsätzliche Prüderie im Gegenwartskino. Insbesondere ist "Welcome Home" ein weiteres Indiz dafür, dass der noch in den Neunzigerjahren in allen nur denkbaren Schattierungen des Begehrens aufblühende Erotikthriller heutzutage lediglich in der hausbackenen Direct-to-Video-Variante des Home-Invasion-Films überlebt. Der Niedergang des Genres schlägt sich in diesem Fall zum einen in der Abwesenheit der bei einem solchen Thema durchaus hilfreichen Nacktheit nieder; zum anderen und vor allem in der Tatsache, dass Sex nur noch als Mangel, als Objekt von Überwachung und als zu lösendes Problem präsent ist, nie hingegen als etwas, auf das man neugierig sein könnte.

Lukas Foerster

Welcome Home - USA 2018 - Regie: George Ratliff - Darsteller: Emily Ratajkowski, Aaron Paul, Riccardo Scamarcio, Katy Louise Saunders, Alice Bellagamba - Laufzeit: 97 Minuten.

"Welcome Home" erscheint am 10.1. auf BluRay.