Mord und Ratschlag

Große Lügen, kleine Lügen

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
16.06.2017. Was ist härter: Showbiz oder das Herz von Detective Kathy Mallory? In ihrem neuen Roman "Es geschah im Dunkeln" bringt Carol O'Connell einen echten Killer von einer Kriminalkomödie am Broadway heraus. Sophie Hénaff besingt mit ihrem Krimi "Kommando Abstellgleis" die Blindgänger von Paris.
Seltsam, wie wenig Aufhebens der Verlag um seine Autorin Carol O'Connell macht. Alle paar Jahre bringt Random House einen neuen Roman von ihr als Taschenbuch heraus, und kaum einer bekommt es mit. Dabei gehören O'Connells höchst kunstvoll versponnene Romane zum Besten, was das Krimi-Genre zu bieten hat. Sie sind allerdings so überbordend und fantastisch, dass sie sich unmöglich nacherzählen lassen - in ihrem ersten Leben war O'Connell surrealistische Malerin. Außerdem tummeln sich in ihren Romanen mehr bizarre und verrückte Figuren als im ganzen New Yorker Polizeipräsidium am One Police Plaza.

Geradezu gemeingefährlich ist jedoch Detective Kathy Mallory von der Special Crime Unit, eine umwerfende Schönheit von brillanter Intelligenz, die auch im elften Roman der Reihe um kein einziges Jahr gealtert und keinen Deut milder oder liebenswerter geworden ist. Sie ist ein Soziopath, herzlos und herablassend, und auch Gehässigkeit ist ihr nicht fremd. Zum Glück zeigt sie ihr kaltes Lächeln nur, wenn sie jemanden in die Enge getrieben hat: "Große Lügen, kleine Lügen, sie liebte sie alle." Die toxische Mallory ist umgeben von einem ganzen Cordon sanitaire an wohlwollenden Kollegen, die sie gegen die Umwelt abschirmen. Allem gesunden Menschenverstand zum Trotz sind sie ihr mit Haut und Haar verfallen, würden sie ihr niemals Avancen machen: "Wenn Mallory überhaupt Sex hatte, dann würde sie niemals jemanden am Leben lassen, der das bestätigen könnte."

In "Es geschah im Dunkeln" ermittelt Kathy Mallory am Broadway. Denn das Stück, das im Herzen des Theater District gegeben wird, ist ein echter Killer: Bei der Premiere stirbt eine Frau an Herzversagen, vielleicht auch vor Entsetzen. Am zweiten Abend muss der unglückliche, mit allen verfeindete Autor noch erleben, was aus seinem Stück gemacht wurde, dann rafft es ihn ebenfalls dahin. Und schließlich wird auch der Regisseur die Premierenabende nicht überstehen. Aber weil niemand ernsthaft glaubt, dass die Literatur solch eine immense Wirkung auf das Leben haben kann, steht bald das Theater unter Verdacht, und mit ihm der niederträchtige Kritiker, die koksenden Schauspielstars, der ehrgeizige Inspizient, der liebenswürdige Laufbursche und die im Showbiz gestählte Garderobiere: "Nichts für ungut, Kleine", wird sie Mallory an einer Stelle lässig übertrumpfen, "aber Hollywood ist ein härteres Pflaster als New York City". Nur Anwälte in die Flucht schlagen, das können die Cops besser.

Carol O'Connells Blick auf New York ist ein wenig aus der Zeit gefallen, in dieser Stadt schaffen es noch immer nur die Besten und Toughesten, aber am Abend sitzen sie alle, Schauspieler, Politiker und Polizisten, vereint in der Bar bei einem Manhattan. Auch der Broadway hat hier kaum an Glanz verloren, höchstens etwas Staub angesetzt. Aber O'Connell interessiert sich nicht für künstlerische Ermattung, Touristenmassen und Luxusverödung. Sie will an die große Trickkiste. Sie erzählt ihre übermütige Kriminalkomödie in drei Akten und setzt dabei alle Kunstgriffe ein, die das Theater zu bieten hat: Doppelte Böden und Falltüren, Ghostwriter und Kreidetafeln, Magie und Slapstick. Die Wendungen sind halsbrecherisch und so zahlreich wie die Neurosen der beteiligten Theaterkünstler. Und auch die Motivlage ändert sich mit jeder Szene: Hingabe an die Kunst, Habgier, Drogengeschäfte, Copyrightfragen und schließlich ein lange zurückliegendes Massaker in Nebraska.

Vor allem aber erzählt O'Connell mit einer diebischen Freude an den menschlichen Makeln ihrer Charaktere und wechselt so skrupellos vom Komödiantischen ins Tragische, dass man sich ständig beim Lachen an den unpassendsten Stellen ertappt. Oder auch über Kalauer: "Lass dich nie dabei erwischen, wie Du einen Reporter k.o. schlägst... Außerdem ist es unhygienisch. Man weiß nie, wo sich dieser Abschaum vorher rumgetrieben hat."

Carol O'Connell: Es geschah im Dunkeln. Roman Aus dem Amerikanischen von Judith Schwab. btb, München 2017, 478 Seiten, 9,99 Euro.


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Sophie Hénaffs Roman mit dem tollen Titel "Kommando Abstellgleis" ist dagegen absolut pariserisch: Commissaire Anne Capestan blickt mit unerschütterlicher Heiterkeit von ihrem Küchenfenster aus dem anbrechenden Sommertag entgegen. Nach einem Anfall von Schießwut ist sie erst vom Dienst suspendiert, dann von ihrem Mann verlassen worden. Seit einem halben Jahr sitzt sie in ihrer Wohnung und vertreibt sich die Zeit mit den Chansons von Georges Brassens. Der Kater liegt schnurrend in der Sonne und draußen plätschert die Fontaine des Innocents. Plus français tu meurs.

Nun, nach einem halben Jahr in Quarantäne darf sie zurück. Sie soll ihre zweite Chance bekommen, sogar eine eigene Brigade unterstellt. Doch ihre Chefs spielen ein übles Spiel. Ganz wie sie es von der Politik gelernt haben, schaffen sie eine Bad Bank: "Wir säubern die Behörde, um die Statistiken aufzupolieren. Wir stecken alle Alkoholiker, Schläger, Depressiven, Faulpelze und so weiter, alle, die unsere Abteilungen behindern, aber nicht gefeuert werden können, zusammen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Unter Ihrem Kommando."

Anne Capestan bekommt eine Brigade der Blindgänger, eine Einheit der Verstoßen, die Abteilung Schandbullen, wie sie vergnüglich mault, und die ungelösten Fälle der vergangenen zehn Jahre werden ihr gleich kartonweise mitgegeben. Ihr Chef ist nämlich ganz schlau: "Grob gesagt liegt damit die Aufklärungsrate der Polizei der Ile-de-France bei annähernd hundert Prozent und Ihre bei null. Eindämmung ist das Zauberwort."

Zu Capestans Truppe aus mehr oder weniger dienstuntauglichen Polizisten gehören der Säufer Merlot, der Unglücksbringer José Torrez, der etliche Partner bei den unwahrscheinlichsten Unfällen verloren hat. Commandant Lebreton, der selbst für die Unsympathen von der obersten Dienstaufsicht zu unverträglich war. Und Eva Rosière, eine Furie von einer Frau, die keinerlei Angst vor Aufmerksamkeit hat und nur noch im Dezernat auftaucht, um Stoff für ihre Fernsehserien zu bekommen. Doch aus den alten Akten ziehen sie die spannendsten Fälle: Etwa den Mord an einer alten Dame, die sich geweigert hatte, ihr kleines Häuschen an ein Immobilienkonsortium zu verkaufen. Oder den Tod eines Offiziers der Handelsmarine, der einem Reeder in Saint Nazaire vorgeworfen hatte, die untergangene Fähre nicht ausreichend gesichert zu haben.

Das kennen wir aus Grimms Märchen ebenso wie aus den Romanen von Fred Vargas: Wenn sich besonders seltene Talente zusammentun, werden sie unschlagbar. Und auch die Gurkentruppe von Capitaine Capestan mausert sich zu einer schlagkräftigen Spitzenmannschaft. Hénaff erzählt ihren Roman mit viel Panache. Charmant, heiter, beschwingt. Ohne vorgetäuschten Tiefgang, dafür mit einem Faible fürs Skurrile und großer Liebe zu Paris, das Hénaff als langjährige Cosmopolitan-Kolumnistin in Szene zu setzen versteht: Hier trägt sogar der Polizeichef Anzüge von Lanvin.

Sophie Hénaff: Kommando Abstellgleis. Ein Fall für Kommissarin Capestan. Roman. Aus dem Französischen von Katrin Segerer. Carls Books, München 2017, 352 Seiten, 14,99 Euro.