Außer Atem: Das Berlinale Blog

Den Wellen und Wolken folgen: Filme aus dem südlichen Pazifikraum in der Reihe NATIVe

Von Thekla Dannenberg
08.02.2019.


Die Native-Reihe mit Filmen indigener Filmemacher widmet sich in diesem Jahr Produktionen aus dem südlichen Pazifik: Aus Indonesien und den Philippinen, aber vor allem aus Hawaii, Neuseeland und all den Gebieten Ozeaniens, die die Polynesier einst mit ihren Einbäumen erschlossen, indem sie den Wellen und den Wolken folgten. Es ist filmisch ein spannendes Gebiet, thematisch längst nicht so erschöpft wie etwa die Lebenswelt der Inuit, aber auch visuell mit seiner ganz eigenen Ästhetik der Totems und Gesichtstätowierungen faszinierend.

Eröffnet wird die Reihe am Freitag Abend mit einer Weltpremiere, der kollektiven Produktion "Vai", für die mehrere Regisseurinnen von Samoa, Tonga, Fidschi, den Salomonen und den Cookinseln das Leben von Frauen auf den Inseln des Südpazifiks porträtieren.



Die bisher bekannten Filme versprechen einen ergiebige Auswahl. Zum Beispiel Hepi Mitas Porträt seiner Mutter Merata Mita: Die Aktivistin und Dokumentarfilmerin setzte die Situation der Maori in Neuseeland mit einer Wucht und Unerbittlichkeit auf die Tagesordnung, dass sie stets mit einem Bein im Gefängnis und mit dem anderen auf den Festivalbühnen der Welt stand. "How Mum Decolonised the Screen" ist eher Hommage als Porträt, aber bei einer Person wie Merata Mita lassen sich die scharfen Kanten eh nicht wegbügeln: "I like the hard edge", lautete ihre Devise.

Merata Mitas Leben mit dem Film begann Ende der siebziger Jahre, da hatte sie schon lange als Lehrerin gearbeitet, war zwei Mal geschieden und Mutter von fünf Kindern. Im neuseeländischen Fernsehen beklagte sie das mangelnde Wissen der Maori-Frauen, die sich bei der Verhütung recht erfolglos auf Menschenfressertomaten verließen. Sie begann als Mitarbeiterin bei einer Doku über den Waitangi-Vertrag, mit dem den Maoris durch eine falsche Übersetzung die Rechte an ihrem Land abgeluchst worden war. Dann drehte sie ihre eigenen Filme, über die Besetzung von "Bastion Point" oder über die Polizeigewalt während der umstrittenen Rugby-Tournee der international geächteten Springboks aus Südafrika. Während sie in Europa als Filmemacherin gefeiert wurde und mit Auftritten auf dem Sundance Festival viele indianische Stimmen in den USA inspirierte, war sie für Neuseeland persona non grata. Die reinste Plage. Immer wieder versuchte die Polizei, ihr Material zu beschlagnahmen.

Ausschnitte aus ihren Filmen, Fernsehinterviews und Dokumentarmaterial zeigen die radikale Aktivistin, die sich Gesichtstattoos zulegte, Kompromisse als Kolonialismus ablehnte und keine Schwäche zuließ: "Fußsoldaten müssen mutig und entschlossen kämpfen." (Auf Youtube findet man ein 3-teiliges knapp 30-minütiges Interview mit ihr: hier, hier und hier). Bewegend sind die Interviews mit ihren Kindern, die alle eine typische Maori-Kindheit erlebt haben, in Armut, mit gewalttätigen Vätern und ständigem Ärger mit der Polizei. Ihnen allen merkt man an, dass sie den Preis für den Kampf ihrer Mutter zahlen mussten. Tapfer bekunden sie vor der Kamera, dass sie immer wieder dazu bereit wären. Und doch zeigt sich hier die große Ungerechtigkeit des Filmemachens gleich doppelt. Denn Hepi Meti, der Chronist und Archivar, war als jüngster Sohn ein später Nachzügler, der unbeschadet aus all den Schlachten hervorging, die seinen älteren Geschwister noch übel zugesetzt hatten. Er fängt in seinem Film das Leben seiner Mutter mit einer Versiertheit und Cremigkeit ein, die für die Branche typisch ist und immer wieder ins Floskelhafte kippt. Und doch ahnt man, dass er in seiner Unbekümmertheit auch der einzige ist, der überhaupt diesen doch beeindruckenden Film über seine Mutter drehen konnte.



Die Doku "Out of State" der amerikanischen Filmemacherin Ciara Lacey beschäftigt sich mit der Orientungs- und haltlosigkeit indigener Männer auf Hawaii. Wie die Maori in Neuseeland sind auch die Hawaiier polynesischer Herkunft, eindeutig erkennbar an den grandiosen Tattoos auf dem Körper und im Gesicht. Lacey erzählt eine Geschichte, die an bitterer Ironie nicht zu überbieten ist: Denn das schöne Hawaii mit seinem kosmopolitischen Honolulu und dem glamourösen Strandparadies Waikiki hat nicht genug Gefängnisse für all die indigenen Männer, die in Armut, Kriminalität und vor allem Gewalttätigkeit versinken. Deswegen werden sie nach Arizona geflogen und in einem privaten Gefängnis untergebracht. Zu dessen beliebtesten Programmen gehört die Unterrichtung in hawaiischer Kultur, vor allem in polynesischen Kampftänzen, die helfen sollen, die Kraft dieser Kolosse zu bändigen. Man weiß nicht, worüber man mehr staunen soll: Über die Leichtfüßigkeit, mit der die schweren Jungs im Hochsicherheitsknast von Eloy tanzen, oder über die Ernsthaftigkeit, mit der sie versuchen, ihre eigenen machtvollen Körper unter Kontrolle zu halten.

Lacey konnte im Gefängnis drehen, sie zeigt, wie sich die Männer Geschichte und Kultur ihrer Vorfahren aneignen oder auch die Schönheit und Kunstfertigkeit der Tattoos erlernen. Sie zeigt aber auch, wie wenig die Kultur am Ende ihren beiden Protagonisten, David und Hale, hilft, nach etlichen Jahren im Gefängnis in der Freiheit klarzukommen. Laceys Film ist ein wenig ungeschickt aufgebaut, zu schnell verschießt sie zu viel von ihrem Pulver. Doch "Out of State" ist ein wuchtiges und höchst irritierender Beitrag in der Debatte um kulturelle Identität und Emanzipation, Disziplinierung und Gefangenschaft.



Während man sich von Mita und Lacey noch viel mehr gewünscht hätte, mit der Bildlichkeit Polynesiens vertraut gemacht zu werden, ist Auraeus Solitos Films "Busong" von 2011 ein einziger ästhetischer Rausch, visuell und akustisch. Die Vernunft ist suspendiert. Solito arbeitet hier unter seinem indigenen Namen Kanakan-Balintagos und verknüpft verschiedene Erzählungen der Palawan, der Ureinwohner der Philippinen, zu einem hypnotisierenden Kaleidoskop. Er erzählt von Schamanen und Dämonen, Fischern und Holzfällern, vom betörend traurigen Gesang des Sabot-Vogel und dem tödlichen Gift des Steinfisches.

Zwei Geschwister ziehen durch einen verwunschenen Urwald, über geheimnisvolle Berge und an der paradiesischen Pazifikküste entlang, auf Heilung von der Krankheit hoffend, die den Menschen von innen auffrisst: Unglücklich, wer seinem Schicksal zu entkommen versucht! Grausam, wer Natur und Menschen zu beherrschen trachtet! Die schützenden Amulette versinken im Wasser. Die Wunden, die geschlagen werden, sitzen tief. Kann der Arzt in der Nickelmine helfen oder die Heilerin in ihrer Bambushütte? Lianen gleich schlängeln sich die Mythen und Legenden durch den Film, der weder linear noch realistisch erzählt. In diesem Reich herrschen Rangkatulung und Angkadang. Erinnerungen, Träume und Visionen verbinden sich mit den Schmetterlingen, den Wasserfällen und den weißen Stränden des Atolls zu einer einzigen betörenden Phantasmagorie.

Merata: How Mum Decolonised the Screen. Regie: Hepi Mita. Dokumentarische Form.
Neuseeland 2018, 87 Minuten (Alle Vorführtermine).

Out of State. Regie: Ciara Lacy. Dokumentarische Form. USA 2017, 79 Minuten (Alle Vorführtermine).

Busong - Palawan Fate. Regie: Kanakan-Balintagos (Auraeus Solito). Mit Alessandra de Rossi, Rodrigo Santikan, Clifford Banagale. Philippinen 2011, 93 Minuten (Alle Vorführtermine).