Im Kino

Spiegelbild ihres Gewissens

Die Filmkolumne. Von Patrick Holzapfel, Sebastian Markt
08.08.2019. Rainer Kaufmanns Trennungskomödie "Und wer nimmt den Hund?" fehlt der Witz. Das können auch Martina Gedeck und Ulrich Tukur nicht wettmachen. Das Berliner Zeughauskino eröffnet eine Reihe zur Schauspielerin Hedy Lamarr mit Edgar Ulmers "The Strange Woman", die Geschichte des Aufstiegs einer vielschichtigen Femme fatal.


Die gutbürgerliche deutsche Komödie ist schon seit ihrer Geburt eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Das liegt weniger an ihrer penetranten Omnipräsenz in der TV- und Kinolandschaft als daran, dass es trotz der schieren Flut an seichter Unterhaltungskunst und steigenden historischen Rehabilitierungsmaßnahmen wenige gelungene Beispiele gibt. Rainer Kaufmanns ironisch-klischeehaft betitelter Film "Und wer nimmt den Hund?", eine sogenannte Trennungskomödie, macht da keine Ausnahme. Ein Film, der bis zu seinem schablonenhaft vorgetragenen Emanzipationstwist (ja, so etwas gibt es; er funktioniert derart, dass eine progressivere Haltung bis zur letzten Sekunde verborgen bleibt, sodass sie wie eine kluge Überraschung ans Ende des Filmes gesetzt werden kann, wenn es eigentlich schon egal ist) so ziemlich jedes Klischee bedient, das bei drei nicht auf dem Baum war, ob nun ironisch oder nicht.

Martina Gedeck und Ulrich Tukur, keine Fremden in den nur sehr oberflächlich als bitterböse erscheinenden Welten von Kaufmann, spielen sich die Seele aus dem Leib, um nicht als Individuen, sondern als Stereotypen zu erscheinen. Es geht darum, dass man sich selbst in ihnen entdeckt. Gedeck wirkt dabei etwas lebendiger als Tukur, der besser ein Murmeltier geblieben wäre. Die Endlosschleife an ähnlichen Szenen hätte eigentlich einiges an Potenzial bereitgehalten. Jedenfalls spielen uns die beiden Gesichter deutscher Qualität eine Trennung vor. Viel sitzen sie auf Stühlen bei einer Trennungstherapeutin. Dort werfen sie sich allerhand Gemeinheiten an den Kopf, die sich in ihren 25 oder 26, sie sind sich da nicht ganz einig, Jahren Ehe angestaut haben. Man hört Vorwürfe wie: fehlende Zuneigung, die Luft ist raus, zu wenig Zeit.

Eine Affäre gibt es natürlich auch. Tukur, der den Leiter eines Aquariums spielt, hat sie mit der dort arbeitenden Doktorandin Laura. Beruhigend für die wohlerzogene Seele konservativer Gesinnung, ist die Affäre, auf die sich Gedeck später einlässt, nur eine Retourkutsche, um den Mann eifersüchtig zu machen. Tukurs Affäre selbst ist natürlich auch nur ein (das Wort kann man nicht genug überstrapazieren) gut gemeintes Missverständnis, eine männliche Verunsicherung, eine aufrichtig mit Liebe verwechselte Hormonexplosion mit dreißig Jahren Differenz. Dann gibt es noch zwei Kinder, die in ihrer Überzeichnung lustig sein sollen und den titelgebenden Hund, der sogar stirbt, um die Familie wieder zusammenzubringen. Ob das ironisch, womöglich gar auf einer Metaebene die Mechanismen des Genres bloßstellen oder für Mitgefühl sorgen soll, bleibt in der Schwebe. Man will es sich ja nicht mit dem Zuschauer verderben.



Der Charme einer Schlammschlacht mag nie entstehen, weil schon in den ersten Minuten Nahaufnahmen auf Gedeck dem womöglich beunruhigten Zuschauer vermitteln, dass sie ihren Mann eigentlich doch liebt. Unbeholfen lächelt sie über manche Bemerkung von ihrem Tukur. Sie kann sich nicht helfen, selbst wenn er sie nur wegen ihrer Nase liebt. Das traditionelle Bild von Familienzugehörigkeit wankt kaum, selbst wenn es am Ende den bereits angedeuteten, politisch-korrekten Selbstfindungsausbruch der Ehefrau gibt. Man muss nicht der Meinung sein, dass die Darstellung von Frauen in der deutschen Komödie mit Hilfe von narrativen Versatzstücken in eine bessere, weil selbstbestimmtere Zukunft blickt, aber wenn man es ist, dann muss man sich fragen, warum der Film die Tür zu einem traditionellen Beziehungsbild nie endgültig und konsequent abschließt. Frauen, schwingt da mit, sollen sich selbst finden und dann eines Tages wieder zurück in unsere starken männlichen Arme sinken.

Aber warum sich mit ideologischen Fragen aufhalten, wenn der Film formal so wenig bietet? Mal abgesehen von den uninspirierten Schuss-Gegenschuss-Dialogen und einer merkwürdig digitalen, an TV-Formate, in denen verschiedene sogenannte Prominente über bestimmte Themen sprechen, während im Hintergrund dazugehörige Clips ablaufen, erinnernden Ästhetik - die beiden Protagonisten adressieren den Zuschauer immer wieder direkt - fragt man sich, was es mit dem Paradox der Trennungskomödie auf sich hat. Zum einen fehlt dem Film für eine Komödie der Witz. Blasse Nebenfiguren und überkonstruierte Gags, die nie nur für sich stehen dürfen, sondern immer ein emotionales Gewicht mit sich bringen, sind verschenkt. Zum anderen folgt das eigentlich spannende Prinzip der Trennung als Komödie zu sehr dem (Wieder-)Zusammenkommen als Komödie. Wird zu Beginn noch mit der Idee gespielt, eine Beziehung ähnlich Michel Gondrys "Eternal Sunshine of the Spotless Mind"von hinten aufzurollen, verliert sich das bald im Bla-Bla eines zuzwinkernden Besserwissens.

Rainer Kaufmann ist nicht Charlie Kaufman. "Und wer nimmt den Hund?" fügt sich wunderbar ein in eine Filmografie, die klug genug ist, um einfallsloser Unterhaltungsrhetorik den Anstrich von Qualität zu geben. Es wird auch für dieses Team und die Produzentin Heike Wiehle-Timm Grund zum Feiern geben: die tollen Schauspieler, die Kinokasse, wie man ein Auto angezündet hat, der Hund ist nur im Film gestorben, nichts stört wirklich, wieder hat man es geschafft und einen Film gedreht. So lange solche Fernsehfilme auf die große Leinwand kommen, muss man sich um das Ende des Kinos keine Sorgen machen.

Patrick Holzapfel

Und wer nimmt den Hund? - Deutschland 2019 - Regie: Rainer Kaufmann - Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Tukur, Giulia Goldammer, Lucie Heinze, Marcel Hensema - Laufzeit: 89 Minuten.

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In Thomas Meinekes wunderlich unübersichtlichem, von maritimen Metaphoriken eingehegten Recherche-Korrespondenzroman "Hellblau" (2001) taucht irgendwo zwischen Detroit Techno und transatlantischem Sklavenhandel, zwischen der sozialen Konstruktion von Ethnien und U-Bootkrieg die Erzählung einer Schauspielerin auf, aus einer jüdischen Wiener Familie stammende Exgattin eines österreichischen Waffenhändlers und nachmalige Exilantin, die für eine Zeit als "schönste Frau der Welt" vermarktet wurde und die zusammen mit einem Komponisten auf einer Party das zur Torpedosteuerung gedachte Prinzip des Frequency Hopping entwickelt (und patentieren lässt), das zwar im Krieg gegen Nazi Deutschland keinen Einsatz mehr findet, aber eine Grundlage moderner Funktechnik bis zum Bluetooth wird.

Hedy Lamarr ist zwischen ihrem historischen Eintrag als erste nackte Frau der Filmgeschichte (in Gustav Machatýs "Ekstase" von 1933), zwischen Andy Warhols auschlachtender Starbildzerlegung und -vervielfältigung "Hedy" von 1966 und ihrem Tod im Jahr 2000 nach dem holprigen Verschwinden aus der Öffentlichkeit eine enigmatische, mythologische Größe der Popkultur geworden. Während der amerikanische Kabelsender Showtime gerade eine biographische Serie ankündigt, in der die geborene Hedwig Kiesler von Gal Gadot verkörpert werden soll, unternimmt eine Filmreihe im Berliner Zeughauskino den Versuch, den Blick zurückzulenken auf das Werk einer außergewöhnliche Schauspielerin.

Eröffnet wird die Reihe mit Edgar Ulmers "The Strange Woman" von 1946, dem ersten Film, in dem Lamarr nach ihrer Phase als Star unter Vertrag von MGM spielte. Dem Vernehmen nach hatte sie sich den ebenfalls aus Europa nach Amerika emigrierten Regisseur explizit gewünscht. Ulmer hatte in der Hochzeit des B-Movie-Kinos der 30er und 40er Jahre einige unebene Dutzend Filme gedreht, oft in nur einer Woche Drehzeit, mit minimalen Budgets; Filme, unter denen sich wahrhaftige Meisterwerke finden, die die Einschränkungen an Mitteln und Zeit nicht als Mangel sichtbar machen, sondern aus den schnellen Strichen eine einfallsreiche Form expressiver - oft düsterer - Gegenwartskunst entwickeln.

"The Strange Woman" bot ihm den für ihn ungewöhnlichen Luxus bekannter Stars, längerer Drehzeiten und eines größeren Budgets, einer, wenn man so will, größeren Leinwand, die er mit sichtlicher Freude zu nutzen wusste.



Die Erzählung beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts, in der Kleinstadt Bangor in Maine, bevor die seltsame Frau eine Frau geworden ist, mit einer Kindheitsepisode von emblematischer Grausamkeit und Verschlagenheit: Das Mädchen Jenny stößt einen Jungen, der panische Angst vor Wasser hat, in einen Fluß, und zieht ihn, als Erwachsene auf die Szene aufmerksam werden, selbst als Retterin heraus. Ein Jahrzehnt später ist aus dem Mädchen eine junge Frau geworden, die sich durch die Heirat mit einem deutlich älteren reichen Händler aus der Stadt dem Einfluss des saufenden Vaters entwindet. Dabei navigiert sie ein Terrain aus divergierenden Sehnsüchten, zwischen körperlichem Begehren und einem entschlossenen Aufstiegswillen.

Ausgerechnet jener Junge, den sie vor Jahren ins Wasser gestoßen hatte, ist der Sohn des Händlers, und ihr seit Jugendtagen verfallen, ein Flirt, den sie allzugerne bis zur Anstiftung zum Patrizid weiterspinnt. Der Händler stirbt durch einen Unfall beim Holzflößen, an dem der Sohn in seiner panischen Wasserangst sich schuldig fühlt und der ihn in den Wahn treibt. Die junge Witwe wiederum heuert John (George Sanders), den Verlobten ihrer besten Freundin, als Verwalter ihres Erbes an. In der Liebe zu diesem kommt sie fast zur Ruhe, bis der Auftritt eines theatralischen Wanderpredigers ihr ein Spiegelbild ihres Gewissens vorhält und das Melodram in seinen letzten Akt beschleunigt.

Das Bangor in Ulmers Vision ist eine nordöstliche Frontier, wo eine in ihrer Gesetzesmacht unsichere Oberschicht nach Kultiviertheit trachtet und mit der Etablierung einer sozialen Ordnung ringt. Ihre Gegenspieler sind die ungezügelten Holzarbeiter, auf die sie gleichzeitig angewiesen sind. Es ist weniger die äußere Natur, die bezwungen werden muss, als die eigene: Im Film sind die Fluten, die das Boot verschlingen und Jennys Ehemann das Leben kosten, ein Reimbild auf die Horde von Holzfällern, die marodierenden durch die nächtliche Stadt ziehen und aus deren Bedrängen Jenny ihre Jugendfreundin befreien kann. Zentral ist dabei Lamarrs Spiel: Auf Jennys präziser Mimik werden die Konflikte mit dem eigenen Gewissen Bild. In einem Drama, dass die fiebrige Parabel eines jungen Kapitalismus als Triebschicksal ausagiert, ist Lamarrs Jenny eine ausgesprochen vielschichtige Femme Fatal, die die Energien, die auf sie projiziert werden, gleichzeitig spiegelt und bricht, und deren Eigensinn zugleich etwas zurück hält, das opak bleibt, und verhindert, dass sie nur Funktion in einer Erzählung wird.

Sebastian Markt

The Strange Woman - USA 1946 - Regie: Edgar Ulmer - Darsteller: Hedy Lamarr, George Sanders, Louis Hayward, Gene Lockhart - Laufzeit: 100 Minuten.

Die Filmreihe "Fremder Star" zum Werk von Hedy Lamarr ist vom 8. August bis zum 16. September im Zeughauskino zu sehen.