Im Kino

Irritierende Moderne

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Michael Kienzl
03.06.2021. Daniel Minahan beweist in seiner Serie über den Modedesigner Halston ein Faible fürs Fragmentarische und für Klatsch. Hauptdarsteller Ewan McGregor bringt den Designer optisch mit einer Tube Bräunungscreme auf den Punkt. Hans H. König bewies 1952 mit "Rosen blühen auf dem Heidegrab" dass der deutsche Heimatfilm sehr viel ungemütlicher sein konnte als immer noch angenommen. 


Ein entschlossener Blick in den Spiegel leitet die Metamorphose ein. Der bisher nur als Hutmacher von Jackie Kennedy bekannte Roy Halston Frowick (Ewan McGregor) schlüpft eines Abends in einen hautengen, schwarzen Rollkragenpulli, kämmt sein mittellanges Haar zurück und bedeckt sein Gesicht mit Bräunungscreme. Vollendet wird der Look von einer großen, unnahbar wirkenden Sonnenbrille. Ed (Sullivan Jones) stellt langsam fest, wie ihm sein bisher nur mäßig bekannter Boyfriend entgleitet. Ob mit seiner blumigen Art zu sprechen oder der dramatischen Gestik - der nur noch unter seinem Mittelnamen bekannte Designer hat alles eliminiert, was an seine gewöhnliche Herkunft aus dem Mittleren Westen erinnert. Die neue Maxime heißt: Extravaganz! Das beginnt schon beim Namen, den man nicht einfach "hälstn" ausspricht, sondern so affektiert und glamourös wie auch der Mann ist, der ihn trägt: "haaalstn".

Ewan McGregor spielt den in Europa wenig bekannten US-Modestar exaltiert, tuntig und überheblich. Man meint ihm den Spaß bei dieser Darbietung anzusehen, aber sie gerät nie selbstgefällig oder karikaturhaft, sondern bleibt als konsequent durchgezogene Selbstinszenierung erkennbar. Das neue Image ist für den Designer teils Befreiungsschlag, teils Verleugnung, vor allem aber ein kommerzielles Erfolgsrezept. Ganz nach dem Motto: Ändere dein Äußeres und der Rest wird schon folgen. Zumindest in den 70ern, Halstons Glanzzeit, hat das gut funktioniert.

Auf den ersten Blick widmet sich die Netflix-Miniserie "Halston" recht klassisch verschiedenen Stationen in der Karriere des Titelhelden: seinem Aufstieg zum Inbegriff für minimalistische und moderne Luxusmode, seiner Rolle als Promiliebling, Berufsexzentriker und Stammgast im Studio 54 sowie schließlich seiner schweren Kokainsucht und AIDS-Erkrankung. Der von Netflix-Hansdampf Ryan Murphy ("The Assassination of Gianni Versace", "Pose") mitproduzierte und -geschriebene sowie von Daniel Minahan inszenierte Fünfteiler funktioniert jedoch weder wie ein verdichteter Spielfilm noch wie eine erschöpfende Serienerzählung. "Halston" ist vielmehr fragmentarisch, sprunghaft und anekdotisch. Selbst größere Nebenfiguren aus Halstons Entourage wie seine langjährige, immer wohlmeinende Freundin Liza Minelli (Krysta Rodriguez) lernt man nur zwischen Tür und Angel kennen.



Schön ist die Serie weniger wegen der manchmal etwas arg routinierten Aufstiegs- und Fallgeschichte, sondern wegen ihrer teils essayistischen Herangehensweise, ihrem Faible für Klatsch und Details und der wiederkehrenden Vorstellung von Mode als Emanzipation und schön verpackter Lüge. Nebenbei, aber präzise lässt "Halston" die Trademarks des Designers einfließen: etwa sein erstes, schnell improvisiertes Kleid für Minelli, das auf keinen ausgefeilten Schnitt vertraut, sondern allein darauf, wie der rote Stoff über den Körper der Sängerin fällt. Ziemlich witzig ist ein Verhandlungsgespräch über die phallische Bedeutung von Parfumflakons, nach dem man den Werbespot zu Halstons erstem Damenduft nicht mehr mit unschuldigen Augen sieht.

Überhaupt scheint eine besonders sinnliche und erotische Art die Welt wahrzunehmen das Geheimnis von Halstons Erfolg zu sein und der Schlüssel zu seiner Seele. Gemeinsam mit einer Parfumexpertin soll er ein Selbstporträt für die Nase schaffen. Allmählich tasten sich die beiden an die Gerüche vor, die Halston ausmachen: Leder, Orchideen, Tabak, ein vollgewichster Jockstrap seines neuen Lovers Victor Hugo (Gian Franco Rodriguez). Angesichts der vielen Sinneseindrücke bricht der Designer überfordert zusammen. Victor ist einer der wenigen, denen es gelingt, die perfekte Fassade des sarkastischen, über alles erhabenen Künstlers einzureißen. Die Serie zeichnet ihn als aufmerksamkeitssüchtig, besitzergreifend und auch ansonsten überraschend uncharismatisch. Aber: er hat einen sehr großen Schwanz (den Andy Warhol in einem Bild verewigt hat). Weil das offenbar sein einziges Feature ist, lockt er seinen On-Off-Boyfriend immer wieder damit, presst Halstons Kopf in seinen Schritt und bringt ihn dazu, gierig zu winseln.

"Halston" spielt mit dem Bild des Genies, das durch sein Studio wirbelt, kreative Neuerungen oft aus spontaner Intuition entwickelt und Models für den Laufsteg optimiert, indem er ihnen noch schnell eine Blume ins Haar steckt oder ein Kompliment ins Ohr flüstert. Und doch besteht nie Zweifel daran, dass dieses Bild auch Blendwerk und Mode ein kollaboratives Medium ist. Ein erfolgreicher psychedelischer Kaftan wird etwa als Batik-Entwurf des drogenabhängigen Assistenten und späteren Hollywood-Regisseurs Joel Schumacher (Rory Culkin) offenbart, an dem Halston nur noch ein wenig mit der Schere rumschnippelt. Und der asymmetrisch vasenförmige Flakon für Halstons Parfum basiert auf einer Halskette von Muse und Schmuckdesignerin Elsa Peretti (Rebecca Dayan). Es wirkt deshalb schlüssig, dass nicht nur Freunde und Kollegen mit der Zeit schwinden, sondern auch der Erfolg.

Die Serie erzählt von einem Namen, der zur Marke wird und von einer Kunstfigur, die ihrem Schöpfer zunehmend entgleitet. Der verlockende Zehnjahresvertrag mit dem freundschaftlich geduldigen Wirtschaftsführer David Mahoney (Bill Pullman) bringt Ruhm, Wohlstand und Sicherheit, erweist sich letztlich aber als Pakt mit dem Teufel. Durch das aufkommende Lizenzgeschäft wird Halston ausgepresst wie eine Zitrone und verliert langsam seine Identität. Immer neue Entwürfe für neue Segmente muss er liefern. Zahlreiche Halston-Klone wimmeln durchs Bild und preisen im selben Singsang ein jeweils andere Produkt an.

Halstons Drama besteht darin, dass sich seine romantische, eher altmodische Idee von Luxus und der kapitalistische Wachstumsdrang irgendwann nicht mehr vereinen lassen. Weil er seine Omnipräsenz nicht mehr steigern kann, macht er einen Deal mit der Warenhauskette J.C. Penney. Ausgerechnet er, der ein legendäres Wildlederkleid schneiderte, das nicht nass werden durfte und auch sonst das Außergewöhnliche immer dem Funktionalen vorzog, soll nun erschwingliche Kleider für alle machen? Es konnte nicht funktionieren. Halston selbst bringt es mit einem seiner blasierten Einzeiler auf den Punkt: "If everybody can have something, what's the point of having it?".

Michael Kienzl

Halston - USA 2021 - Regie: Daniel Minahan - Darsteller: Ewan McGregor, Rebecca Dayan, David Pittu, Krysta Rodriguezm, Gian Franco Rodriguez - Laufzeit: 5 Episoden, insgesamt 250 Minuten. "Halston" bei netflix.

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Zum westdeutschen Heimatfilm der 50er gibt es jede Menge Meinung, aber kaum konkrete Kenntnis. Ich selber nehme mich da nicht aus. Kitsch, Scholle, Idyll, Moderneskepsis - gängige Schlagworte, mit denen der zentrale Pfeiler des letzten wirtschaftlich florierenden Kinojahrzehnts der deutschen Filmproduktion in der Regel weggewischt wird. Wahrscheinlich auch aus Gründen der Distinktion: Will man sich nach Oberhausen, nach der Modernisierung des europäischen Kinos durch den Autorenfilm, nach der Blockbusterisierung des Kinos - kurz: will man nach allen bisherigen Reaktionen des Kinos auf seine seit den späten 50ern permanente Krise wirklich noch auf diese alten Schinken und Schmachtfetzen zurückblicken? Auf Filme aus der guten, alten Kinozeit, als zwischen dem Kino und der Bevölkerung tatsächlich noch auf breiter Ebene ein Nahverhältnis herrschte? Wie gesagt: Ich selber nehme mich da nicht aus.

Dabei sollte ein Blick auf das Kino eines Landes, das gerade aus einem Krieg hervorgegangen und mit viel Ach und noch mehr Krach postfaschistisch geworden ist, doch unmittelbar von Interesse sein: Wie denkt sich das Land in seiner Traummaschine neu? Wohin treiben seine Fantasien? Welche Konfliktstellungen allegorisiert das Kino? Ist die Sehnsucht nach den Bergen, nach Kinofarbe, nach heiler Welt - sicher nicht auf einer historisch-moralischen, aber zumindest auf der rein menschlichen Ebene - nicht fast schon legitim, wenn weite Teile der Städte gerade noch in Trümmern lagen?

In Hans H. Königs "Rosen blühen auf dem Heidegrab" von 1952 stößt ein solches Erkenntnisinteresse auf anregende Denkanstöße - gerade und besonders, weil der Film spätestens seit seiner Wiederentdeckung in den 90ern durch Münchner Kritikerkreise als Querschläger gilt, der ein filmutopisches Fenster in eine alternative Realität öffnet, in der ein anderer Heimatfilm hätte möglich sein können (Königs zweiter großer Heimatfilm - "Heiße Ernte" - ist sogar vom Neorealismus inspiriert).

Es fängt schon bei der Farbe an: Aschgrau, düster dräuend ist dieser Schwarzweißfilm, so schwarzweiß wie die 40er schon in den heimatfilmfarbenen 50ern gewirkt haben müssen. Weit und breit keine Berge, dafür viel flaches Land, ein struppiges Moor, ein vereinzelter Heidebaum, dessen buschige Krone sich aus der planen Landschaft vor dem grauen Himmel abzeichnet wie ein behaarter weiblicher Schambereich. Hat man das bemerkt, steht das düstere sexuelle Begehren dieses Films buchstäblich in der Landschaft - in Gestalt des bärig-knorrigen Bauers Dietrich (Hermann Schomberg), der der jungen Dorothee (Ruth Niehaus) nachstellt, sie auf offenem Feld bedrängt, zum äußersten gehen würde, wenn da nicht eine alte Frau des Weges käm'.



Nicht nur will Dorothee sehr energisch und mit allem Recht nicht, sie ist auch verliebt, in ihren Jugendfreund Ludwig (Armin Dahlen), der aus der Stadt zurückkehrt, wo ihm als Innenarchitekt eine lukrative Stelle in Aussicht steht. Ludwig gestaltet moderne Zweiraumwohnungen für junge Paare, die im Kontrast zu den verwinkelten Bauernzimmern hier in diesem Heidedorf stehen. Ein Schlafzimmer ist nicht vorgesehen ("so viel Platzverschwendung"), man behilft sich mit ausklappbaren Sofas in den zwei Zimmern. Wie man da miteinander schlafen soll? "Auf solche Fragen kann auch nur eine Frau kommen", lacht er.

Draußen im Moor steht das titelgebende Heidegrab: Es erinnert an den Dreißigjährigen Krieg, als die Schweden brandschatzend und vergewaltigend durchs Land zogen - an dieser Stelle, erzählt der Film in einer skurril stummfilmartig anmutenden Sequenz, soll eine Bäuerin ihren Vergewaltiger ins Moor gelockt haben und dort mit ihm untergegangen sein. Ob das Publikum des Jahres 1952 darin ein chiffriertes Angebot erkannte, sich selbst als eigentliches Opfer des soeben verlorenen Krieges umzudeuten?

Mit diesem Heidegrab wird's jedenfalls mystisch, Freud'scher Wiederholungszwang steht im Raum, der geisterhafte Alb der unerlösten Geschichte, die sich wiederholt: Dietrich stellt Dorothee weiterhin nach, vergewaltigt sie schließlich. Sie, fortan gespenstisch neben sich stehend, lockt ihn, der seine Frau zum Teufel jagt und nach der Vergewaltigung offenbar ein bizarres Nahverhältnis mit Dorothee eingegangen zu haben glaubt, ins Moor, als würden ihr fremde Stimmen was flüstern - passend weht und bläst der Moorwind fortlaufend auf der Tonspur. Diese letzte Sequenz - Dorothee geisterhaft entrückt, Dietrich wie im Bann ihr erlegen - ist brillant ekstatisch, dem realistischen Register komplett enthoben, ein Gedicht der filmischen Ausdrucksmittel, mit allem Brimborium, das dazu gehört: Doppelbelichtung, irres Licht, groteske Großaufnahmen, Schnittstaccato.

Nennen wir es German Gothic, ein Film über die dunkelsten Abgründe des Begehrens, in die man beim fasziniert-irritierten Umherirren im westdeutschen Nachkriegskino immer wieder stürzt. In Harald Reinls "Hinter Klostermauern" (1952) etwa oder in Frank Wisbars "Barbara - Wild wie das Meer", einem Heimatfilm-Nachzügler von 1961. Notiz am Rande: Königs Regieassistent Walter Boos kennen Bahnhofskino-Vollprofis natürlich von seinen zahlreichen Softporno-Komödien Marke "Schulmädchen-Report" aus den 70ern. Die teils spekulativen Szenen in den "Rosen" deuten diesen filmhistorischen Vektor bereits an.



Hochinteressant aber, wie quer dieser Film tatsächlich zu seiner filmhistorischen Gegenwart steht, nicht nur, weil er im Finale ein waschechter Horrorfilm ist. Dem genretypischen Scholle-, insgeheim vielleicht sogar noch "Blut und Boden"-Denken erteilt König eine Absage: Nicht nur weil er keinen Zweifel daran lässt, dass der urwüchsig-bäuerlich gezeichnete Dietrich der Quell allen Übels ist, sondern auch weil dieser bildpolitisch von Anfang an als im Land verwurzelt gezeigt wird, wenn er sich hinter Büschen herumdrückt, mit denen er einmal in einer fantastisch-deliranten Doppelbelichtung sogar komplett verwächst.

Auch das Moment der Einzug haltenden, aber irritierenden Moderne - ein gängiger Kniff des Heimatfilms, um dramaturgisch entweder Konflikt oder Komik zu erzeugen - ist hier, in Form von Ludwig, der aus der Stadt nach Hause kommt, ein dankbar empfangener Fremdkörper innerhalb der traditionellen Lebensgemeinschaft. Ludwigs Lebensentwurf steht für den Fortschritt, die Erlösung in ein besseres Leben - in eine Welt, die ansonsten wirkt wie aus dem 18. Jahrhundert, dringt er mit dem Auto ein, dessen Reifen Dietrich, dem in einigen Szenen auffällig Pferde als Symbol der Vorgestrigkeit beigestellt werden, einmal besonders heimtückisch platt sticht.

Und dann natürlich das gefräßige Moor: die Erde, das Land als Gefahr. Der Druck einer unerlösten Geschichte. Aus beidem rettet nur eins: Aufbruch, der Fortschritt, die Stadt, neues Heim - ohne -at hinten dran. Die moderne Zweiraumwohnung mag kein Schlafzimmer haben - aber immerhin verschlingt einen darin nur selten der Boden.

Vielleicht ja doch kein Wunder, dass ein Film mit dieser Motivlage seinerzeit an den Kassen gefloppt ist. Umso interessanter und vielschichtiger wirkt er heute. Dass das DVD-Label Filmjuwelen diese lange gesuchte Rarität nun in einer sehr passablen Edition zugänglich gemacht hat, ist ein Grund zur Freude.

Thomas Groh

Rosen blühen auf dem Heidegrab - BRD 1952 - Regie: Hans H. König - Darsteller: Ruth Niehaus, Hermann Schomberg, Armin Dahlen, Gisela von Collande - 82 Minuten. "Rosen blühen auf dem Heidegrab" auf DVD