Vom Nachttisch geräumt

Ich bin Viele

Von Arno Widmann
19.03.2018. Eine Figur im Cinemascope-Format: Der Getreidehändler Felix Weil, Marxist und Financier der Kritischen Theorie.
Bertolt Brecht soll im kalifornischen Exil erzählt haben, ein reicher Weizenhändler habe ein paar Intellektuelle aufgefordert, sie sollten doch nach den Ursachen für Ausbeutung und Unterdrückung forschen, Hauptsache, es käme nicht dabei heraus, dass der Weizenhandel eine wichtige Rolle dabei spiele.

Das war als eine süffisante Kritik an der vom argentinischen Weizenhändler Felix Weil (1898-1975) finanzierten Frankfurter Schule gedacht. Fast nichts daran ist wahr. Es gab den reichen argentinischen Weizenhändler, und es gab die Intellektuellen. Aber das Spiel zwischen den beiden verlief ganz anders.

Man kann das jetzt in einem Band von Jeanette Erazo Heufelder nachlesen. "Der argentinische Krösus" heißt er und trägt den Untertitel "Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule". Es ist eines der wichtigsten Bücher über die Bedingungen, unter denen die Kritische Theorie entstand und denen sie ihre Erhaltung verdankte. Alles begann lange vor dem Ersten Weltkrieg in Argentinien. Damals teilten sich drei Unternehmen achtzig Prozent des gewaltigen argentinischen Getreideexports. Eines davon war "Hermanos Weil". Die beiden anderen Firmen "Bunge & Born" und "Louis Dreyfus", beide keine argentinische Firmen. Chef der Firma war Hermann Weil (1868-1927). Sein Sohn Felix wuchs zusammen mit einer Schwester auf. Mit der Mutter sprachen sie deutsch, mit den Kindermädchen und Hauslehrerinnen französisch und englisch. Miteinander sprachen sie spanisch in dem großen Haus in der Avenida Alvear in Buenos Aires. Als Felix neun Jahre alt war, schickten die Eltern ihn nach Frankfurt/Main zur Mutter seiner Mutter. Er ging ans Goethe-Gymnasium. Ein lateinischer Aufsatz von ihm wurde im deutschen Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1910 ausgestellt als hervorragendes Produkt deutscher Reformpädagogik. Felix Weil war kein kapitalistisches Dummerchen, das von ein paar schlauen Linken über den Tisch gezogen wurde.


Felix Jose Weil, gemalt von George Grosz 1926

Weil lernte später Marxismus bei Karl Korsch, der auch der Lehrer Bert Brechts wurde. Felix Weil hatte im Juli 1917 seinen Vater ins Große Hauptquartier nach Bad Kreuznach begleitet. "Dort empfing sie der Kaiser zu einem Mittagessen, dem sich ein frühes Abendessen mit Hindenburg und Ludendorff anschloss, die sich wie schon der Kaiser auch für ein persönliches Gespräch Zeit nahmen."

Im November 1918 stellte Felix Weil sich dem revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung. Seine Weltkenntnis übertraf die der Kritischen Theoretiker bei weitem. Er war - das macht Jeanette Erazo Heufelder deutlich - keineswegs ein reicher Mann, der in linken Verlagen, bei linken Künstlern und linken Denkern sein Geld ablieferte und sich ansonsten um seine Geschäfte kümmerte. Felix Weil tanzte lange auf allen Hochzeiten. Er galt als Mitglied der neu gegründeten KPD, wurde aus Württemberg, wo er studierte und eine Dissertation zum Thema "Sozialisierung" - einer der zentralen Begriffe im Deutschland der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts - zu schreiben begonnen hatte, ausgewiesen. Felix Weils Schwester hatte dem Vater Hermann Weil schon Sorgen gemacht: "'Meine Tochter ist mit einem Kommunisten durchgebrannt, was soll ich tun?' fragte er einen Vertrauten. 'Schenk ihm 100.000 Mark, dann ist er kein Kommunist mehr', antwortete der kluge Mann." Ein Rezept, das nicht so richtig aufgehen wollte. Felix Weil schloss im Frühjahr 1920 seine Dissertation in Frankfurt am Main bei Alfred Weber ab, heiratete im Oktober desselben Jahres die Tochter von Freunden Clara Zetkins.


Erste Marxistische Arbeitswoche, 1923. Stehend von links nach rechts: Hede Messing, Friedrich Pollock, Eduard Ludwig Alexander, Konstantin Zetkin, Georg Lukács, Julian Gumperz, Richard Sorge, Karl Alexander (Kind), Felix Weil, unbekannt; sitzend: Karl August Wittfogel, Rose Wittfogel, unbekannt, Christiane Sorge, Karl Korsch, Hedda Korsch, Käthe Weil, Margarete Lissauer, Bela Fogarasi, Gertrud Alexander. Foto: Wikipedia/marxists.org

Der Finanzier der Kritischen Theorie stand der KPD und dem kommunistischen Weltbewegung stets deutlich näher als die, die er finanzierte. Das Institut entfernte sich immer mehr von dem, was er damit vorgehabt hatte. Es wurde eine Einrichtung, die es ein paar Menschen ermöglichte, sich über Verfolgung und Exil hinweg weitgehend unabhängig die Gedanken zu machen, an denen sie Interesse hatten. Felix Weil ging zurück nach Argentinien, kümmerte sich um die Firma, aber auch um ganz andere Geschäfte. Er war unter dem Decknamen "Lucio" "Sinowjews Mann in Argentinien". Grigori Jewsejewitsch Sinowjew (1883-1936) hatte zusammen mit Kamenew und Stalin nach Lenins Tod ein Triumvirat gebildet, dessen zentrales Ziel gewesen war, Trotzki aus dem inneren Machtzirkel herauszuhalten.

Nein, nein, es hat keinen Sinn, in die mörderischen Finessen der sowjetischen Diadochenkriege einzusteigen. Ich muss jetzt aufhören. Dabei sind das nur die ersten vierzig Jahre des Lebens von Felix Weil. Die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg. Es sind Jahre, in denen er eine Weile einen Gutteil des Weltgetreidehandels im Griff hatte und gleichzeitig am Juggernaut-Rad der Weltrevolution drehte. Wir hatten ihn übersehen. Dabei war Felix Weil eine Figur im Cinemascope-Format. Lesen Sie dieses Buch. Lesen Sie vom Durchhaltevermögen des Felix Weil und von seinem Scheitern. Dass aus diesem Leben erst jetzt ein Buch wurde!

Jeanette Erazo Heufelder: Der argentinische Krösus - Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule, Berenberg Verlag, Berlin 2017, 208 Seiten, 24 Euro.