Außer Atem: Das Berlinale Blog

Mit Menschenliebe gemacht: Sabine Herpichs Doku "Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist" (Forum)

Von Ekkehard Knörer
26.02.2020.


Werkgruppe Hahn: Da bleibt keine*r verschont, die Mona Lisa nicht, auch Maurizio Cattelans kniender Hitler nicht, alle blicken sie nun mit Hahnenkopf in die Welt, wie Suzy von Zehlendorf (rechts im Bild) sie sieht, die vom Jesuskind und seiner Mutter von der Henne und ihrem Küken spricht. Werkgruppe Hass: Auf das Berliner Bode-Museum fokussiert, das die Künstlerin von ganzem Herzen verabscheut, das Gebäude und alles darin, traurig, nur traurig, das Ganze. Aus dem Bode-Katalog ist der Bode-Titel geschnitten, die Bode-Skulpturen sind mit Tüchern und Stoffen verhängt, sie kann gar nicht mit ansehen, was sie da baut.

Outsider-Art sagen die Insider zu dem, was Suzy von Zehlendorf produziert, oder Adolf Beutler, der über achtzigjährige Star der Kunstwerkstatt Mosaik, dessen penible All-Over-Gemälde (mit dazugehörigen, einbezogenen, ihrerseits mit farbigen Strichen überzogenen Blöcken) mit der Kunst der Insider mithängen dürfen, weil sie mithalten können, obwohl der Künstler sicher nicht den Kunstbegriff von Akademie und Kunsttheorie und Kunstbetriebt teilt. Mit Begriffen ist es ohnehin so ein Sache, Adolf Beutler spricht kaum, weint öfter, hat allen Grund dazu. Den eugenischen Wahn hat er, 1935 geboren, man weiß nicht wie überlebt, danach wurde er vierzig Jahre in die Psychiatrie eingesperrt, kam erst Ende der Achtziger Jahre raus, und entdeckte die Kunstwerkstatt, die den großartigen Künstler, von dem er wohl selbst nicht wusste, dass er in ihm steckte, entdeckte.

Sabine Herpichs Film "Die Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist" bewegt sich die meiste Zeit aus den Räumen der Kunstwerkstatt Mosaik in Berlin-Spandau nicht hinaus. Sie stellt ihre Kamera hin, kadriert unaufdringlich genau, ist noch viel weniger aufdringlich mit gelegentlichen Fragen präsent, beobachtet die Künstler beim Setzen von Strichen, beim Sprechen mit der Leiterin der Werkstatt Nina Pfannenstiel, die übrigens ihre Sache großartig macht: als Beraterin, Bewunderin, Betreuerin, Trösterin. Sie trifft stets den richtigen Ton. Wären alle wie sie, denkt man, so sehr am richtigen Platz da, wo sie sind, wäre die Welt ein sehr viel besserer Ort.

Die Künstler der Kunstwerkstatt Mosaik sind Menschen mit Behinderungen, wie man so sagt. Im Stockwerk darunter werden Papierkörbe produziert. Aber auch mit der Kunst will die Einrichtung sich refinanzieren, was in Teilen durchaus gelingt. Ein guter Beutler kostet 800 Euro im regulären Kunstmarktbetrieb. Ohne sie zu stellen, stellt Herpichs Film sehr interessante, einfache schwierige Fragen: Was macht die eine Kunst toll, sagen wir: Werkgruppe Hahn, sagen wir: die Beutler-All-Overs, während anderes eher nur bunt ist? Ist das Werk die Kunst, oder verlangt das Werk doch die Zurechenbarkeit auf Absichten, die an die Geschichte der Kunst anschließen wollen.

So sehr der Betrieb der Theorie und Kritik auf Begriffe und Konzeptualisierbarkeit setzt, und so sehr dieser Zugang durch die Begriffslosigkeit der Künstler*innen hier vielleicht nicht blockiert, aber doch deutlich erschwert ist, so sehr ist beim Anblick des einen oder anderen Werks evident: Das ist sehr gute Kunst, lustig, erhaben, crazy auf eine Art, wie auch Insider-Kunst crazy sein kann.

Es geht Herpich aber nicht nur, noch nicht mal primär um den Anblick von Kunst, sondern um den Anblick von Menschen. Ihre Filme sind nüchtern, verzichten auf jede Angeberei, reduzieren den dokumentarischen Blick auf die Dinge, die wesentlich sind: eine vorurteilslose Zugewandtheit, ein feines Gespür für die Situation und die Person, die sie filmt: Ihre Filme sind mit Menschenliebe gemacht. Weil ihnen das Pathos, das ein solcher Satz produziert, völlig fremd ist, weil sie einfach nur genau und offen und aufmerksam sind, haben sie bislang kaum Festivalkarrieren gehabt. Man kann nur hoffen, dass sich das mit der Einladung ins Forum nachhaltig ändert.

Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist. Regie: Sabine Herpich. Mit Adolf Beutler, Suzy van Zehlendorf, Gabriele Beer, Till Kalischer, Nina Pfannenstiel u.a., Deutschland 2020, 106 Minuten. (Alle Vorführtermine)