Außer Atem: Das Berlinale Blog

Altmodische Jugendlichkeit: "Le Sel des Larmes" von Philippe Garrel (Wettbewerb)

Von Thierry Chervel
22.02.2020.


Der Film strahlt so etwas wie eine betagte Jugendlichkeit aus. Philippe Garrel, Jahrgang 1948 und vor etwa hundert Jahren der Lover von Nico, war immer eine der diskreteren Figuren des französischen Autorenkinos. Zum engeren Kreis der Nouvelle Vague gehörte er nie, aber seine Filme lassen sich der Tradition zurechnen. Mit "Le sel des larmes" hat er einen Film vorgelegt, den er ebensogut im Jahr 1975 hätte drehen können. Man könnte es schon von den Requisiten herleiten. Von Zeit zu Zeit haben die Protagonisten ein Buch in der Hand (immer nur die Männer, Luc, der Kunsttischler werden will, und sein Vater, wenn man's recht überlegt). Das französische Cinéma d'auteur hieß nicht von ungefähr so - sie kamen aus der Literatur. Godard und Truffaut verdankten so einiges den heute vergessenen Hussards, einer antikommunistischen Autorenclique - aber so etwas ist heute vergessen.

Sie halten die Bücher bei Garrel aber etwas ratlos. Nie wird über sie geredet. Zugleich ist allerdings auch das Handy, das heute so viele Dramaturgien steuert, in diesem Film ein völlig nebensächliches Ding. Der Film ist, wie gesagt, von einer seltsamen, irgendwie in den Siebzigern verankerten Zeitlosigkeit. Und dass er in Schwarzweiß gedreht ist, trägt zu diesem sanft nostalgischen, aber nie selbstverliebten oder durch Anspielungen erzeugten Fluidum bei.

Es ist auch die Geschichte, die so altmodisch autorenkinohaft ist. Dem jungen Luc, der nie ein rechtes Profil in diesem Film gewinnt (anders als der sanfte Riese André Wilms, der seinen Vater spielt), fallen die Mädchen nur so zu. Und diese sind so spektakulär-unspektakulär hübsch, wie es nur das französische Kino immer hinkriegte. Es liegt vielleicht an dem Spiel, das immer so minimal, so wenig chargierend ist, dass der Zuschauer alles in diese Gesichter hinein projizieren kann. Am besten ist dieses Kino immer, wenn es so sehr wie möglich loslässt, so wenig wie möglich erzählen will. Aber Garrels Film hat die Nonchalance nicht mehr, die dieses Kino in den sechziger oder siebziger Jahren ganz selbstverständlich mitbrachte.

Die Mädchen verlieben sich in Luc, weil er sie im Grunde nicht respektiert. Sie sind ihm nicht wichtig, das macht es ihm leicht, sie anzusprechen oder fallen zu lassen. "Le sel des larmes" ist am Ende natürlich eine moralische Erzählung, so wie einst ein kleiner Roman von Maupassant, "das Salz der Tränen" ist am Ende das der eigenen. Eine im Grunde redundante Off-Stimmer rahmt die Sequenzen, und der Film fällt einem entgegen wie eine Sammlung Vignetten bei einem Bouquinisten an den Quais der Seine. Für einen Wettbewerb, der auf 18 Filme reduziert ist, wirkt "Le sel des larmes" doch etwas unheutig.

Le Sel des Larmes. Regie: Philippe Garrel. Mit Logann Antuofermo (Luc), Oulaya Amamra (Djemila),  André Wilms (Lucs Vater),  Louise Chevillotte (Geneviève), Souheila Yacoub (Betsy). Frankreich 2019, 100 Minuten. (Alle Vorführtermine)