Im Kino

Ganz spezielle Starkörper

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh, Ekkehard Knörer
05.05.2010. Ausnahmsweise diesmal Hinweise auf gleich drei Filme: Jon Favreaus "Iron Man 2" bietet mehr als Teil eins der Superheldensaga und ist dennoch oder deshalb weitaus weniger amüsant. George A. Romero liefert mit "Survival of the Dead" ehrliches Zombie-Handwerk mit starkem Western-Einschlag. Und dann war da in der letzten Woche ein Film von Jim Field Smith, den Sie sehen sollten, obwohl er den Titel "Zu scharf, um wahr zu sein" trägt.
Unser Blick in die Kinosäle der Republik hat heute ausnahmsweise drei Teile. Kurz etwas zum leider verunglückten zweiten "Iron Man", länger etwas zu George Romeros jüngsten Parerga und Paralipomena zur Zombie-Frage und dann noch eine notwendig gewordene Nachholeaktion: Unter den Neustarts der letzten Woche hatte sich ein kleines Komödien-Juwel hinter seinem dämlichen deutschen Titel "Zu scharf, um wahr zu sein" (Original: "She's Out of My League") erfolgreich vor uns versteckt.

I



"Iron Man", der Superheldensagaverfilmung erster Teil, war gegen manche Wahrscheinlichkeit ein eher erfreuliches Werk. Was am Heldendarsteller Robert Downey Jr. nicht zuletzt lag, der dem waffenproduzierenden Vigilante-Reaktionär Tony Stark mit Hilfe eines recht geistreichen Buchs einen Twist ins Unernste gab. "Iron Man 2" erweist sich nun aber als Aufrüstungsversuch, der nach hinten los geht. Dem eisernen Amerika-Mann steht ein elektropeitschenschwingender Russland-Mann gegenüber (Mickey Rourke - harter Körper, harter Akzent - als Gordon Matta Clark des Formel-1-Betriebs). Und der bringt, in prekärer Kooperation mit dem gegnerischen Vertreter des Waffenproduktionsduopols (Sam Rockwell: duracellhaseneifrig), gegen das Eisenmannindividuum Stark geklonte Dronen ins Spiel. Die verstehen keinen Spaß, was merkwürdigerweise diesmal auch auf Tony Stark zutrifft, der sich erst rühmt, den Weltfrieden privatisiert zu haben, dann ohne rechten Schwung siecht, zuletzt routiniert dronenbekämpfend durch die Gegend düst und zwischendurch stimmt die Chemie weder mit Pepper Potts, der er die Firma überschreibt, noch mit einer neuen Mitarbeiterin namens Natalie. Die ist zwar eindeutig Scarlett Johansson, ansonsten aber nicht, wer sie scheint, und schlägt, von einer turnerisch begabten Stuntfrau tatkräftig unterstützt, gegen Ende in einem lichten Gang langbelockt das fünfte Rad am Wagen. Der Schauspieler Jon Favreau stellt als Regisseur unter Beweis, dass weder Mise-en-Scene noch Schnitte noch Rhythmen noch die Darstellerführung sein Forte sind. Bleiben: Outrierende Prota- und Antagonisten, ein paar wenige schön blöde Sprüche und dumpfes Waffengetöse, während soundtrackseits Heavy-Metal-Lärm aufs Trommelfell und die Nerven geht. Unterm Strich entschieden zu wenig für einen kuscheligen Abend im Multiplex nebenan.

Ekkehard Knörer


II - George Romero



Zombies, weiß heute auch jedes Provinzfeuilleton, sind nicht einfach nur blutrünstige Untote, sondern Metaphern. Sie stehen wahlweise für den Identitätsverlust in der Massengesellschaft, für die Bedrohung durch den Konformismus, den Kommunismus, den Kapitalismus. Mal sind sie die Wiederkehr des Verdrängten, dann ein Sinnbild für den hirntoten Konsumenten, und ganz grundsätzlich Subtext-Konvolut. Eines jedenfalls sind sie nie: Nur einfach Zombies.

Dass gerade George A. Romero, der mit "Night of the Living Dead" (1968) das Horror-Subgenre des apokalyptischen Zombiefilms begründete und es mit den hierzulande staatsanwaltschaftlich beschlagnahmten Fortsetzungen "Dawn of the Dead" (1978) und "Day of the Dead" (1984) ikonografisch arrondierte, den Zombie nur ganz er selbst sein lässt, ist vielleicht nur folgerichtig: Kein anderer Filmemacher genießt eine derartige Hoheit über Sein und Wesen der populärsten Revenants. Und eigentlich interessiert sich Romero für die Zombies ohnehin meist nur am Rande - und spätestens ab "Day of the Dead" stellt sich bei ihm mit jedem Film drängender die Frage, ob womöglich nicht doch die Zombies die besseren Menschen oder nicht wenigstens die Menschen die schlimmeren Bestien seien.

In "Survival of the Dead", seinem nun mehr sechsten Zombiefilm, stellen die Zombies denn auch wirklich nur noch das Hintergrundrauschen einer, im Grunde genommen, Westernstory dar: Auf einer Insel vor der Küste Delawares stehen sich seit Generationen zwei verfeindete Clans gegenüber. Mit dem Ausbruch der Zombieapokalypse stellt sich ihnen die Grundsatzfrage, wie mit den Wiederkehrern zu verfahren sei: Pragmatisch-irisch ist die Option der einen, puritanisch-gottesfürchtig die der anderen Seite.



Eine Gruppe Soldaten, nach einigem Hin und Her auf die Insel gelockt, sorgt schlussendlich für das Quentchen eskalativer Sprengkraft - stilecht auf der Farm zwischen Scheune und Koppel. Und wenn am Ende ein Überlebender des abschließenden und sinnlosen Massakers gallig bemerkt, dass in einer Welt, in der der eine seine Flagge aufstellt und ein anderer sie durch seine ersetzt, am Ende keiner mehr weiß, worauf der Konflikt sich gründet, da es am Ende nur noch um diese Flaggen geht, so hört man in diesem Epilog einen auch mit 70 Jahren noch immer zornigen Romero das Wort erheben.

Bei solch alttestamentarisch-grimmigem Existenzialismus gerät der Zombie rasch ins Hintertreffen. Eher ist er eine jämmerliche Kreatur: Wenn er nicht von einer Gruppe Rednecks fürchterlich gequält wird, ist er entweder Kanonenfutter oder gleich konkretes Experimentierfeld für kreative Tötungsarten: Mal wird er mit Löschschaum zum Platzen gebracht, dann mit einer Leuchtkugel von innen zum post-menschlichen Zigarettenanzünder umfunktioniert, mit einem Bratwurstspießchen umgelegt, kopfüber aufgehängt, in Ketten abgeführt oder auf einer Koppel gehalten. Fast zärtlich legt sich Romeros Kamerablick auf die Untoten wenn diese einfach nur unbehelligt das tun dürfen, was sie eben im Sinn haben: Fleisch reißen.

Vielleicht wollte Romero aber auch nur endlich einen Western drehen: Wenn er die herbstliche Insellandschaft als breites Panorama schwelgerisch in den Blick nimmt, wenn er seine Dialoge und Shootouts in klassischer Manier ins Bild setzt (man muss, zugegeben, ein wenig Nachsicht aufbringen, um das vor dem Beschleunigungsgebot der allgemeinen Filmproduktion nicht bloß altbacken zu finden) steckt da deutlich Liebe zum Genre drin.

Nur bekäme Romero, ein notorischer Outsider Hollywoods, einen Western vermutlich noch weniger finanziert als einen Beitrag zu jenem Subgenre, für das sein Name fast synonym steht. Und an Geld mangelt es in "Survival of the Dead" oft schmerzhaft eklatant: Explosionen finden nur auf der Tonspur statt, fast alle Blut- und Splattereffekte sind mies ins Bild gepixelt, die übrigen Schauwerte befinden sich in etwa auf mittlerem Fernsehfilmniveau, die Inszenierung folgt den Effizienzgeboten tiefpreisiger Filmproduktionen. Das schmerzt schon deshalb, weil mit "The Crazies" demnächst aus dem Herzen Hollywoods ein Remake eines Romero-Klassikers ins Kino kommt, in dem schon manche Einstellung mehr Geld verschlungen haben dürfte als "Survival of the Dead" insgesamt. Romero, immerhin, bewahrt vor diesem Hintergrund als Maverick, der stets auch mit begrenzten Mitteln hantieren kann, ein gutes Stück Würde. "Survival of the Dead" mag kein allzu guter Genrefilm sein, ist aber auf sehr aufrichtige Weise ernst gemeint.

Thomas Groh


III - Zu scharf um wahr zu sein



Molly (Designerhandtäschchen, wehendes blondes Haar, Zeitlupe) ist eine "hard 10", Kirk (lange, unkoordinierte Extremitäten, knallrote Jackets von der Stange) lediglich eine 5. Das passt nicht zusammen, erklärt Kirks Kumpel Stainer. Zwei Punkte Differenz sind ok, mehr kann man (Mann? Was ist mit Frau?) nicht aufholen. Es sei denn, man ist in einer Band. Das gibt Bonuspunkte. Das komplexe Dating-Regelwerk der US-Komödie schreibt auch vor, bei welchem Date was passieren darf. Stainer lebt fürs und nach dem Regelwerk. Kirk hat noch zwei andere Freunde, Jack und Devon. Die wissen, dass Regeln dazu da sind, verletzt zu werden. Auf einer Party im Warhol-Museum wagt Kirk erste, vorsichtige Annäherungsversuche. Das erste echte Date führt die beiden dann ins Eishockeystadion und spätestens hier zeigt sich, dass Jim Field Smiths Komödie zu den guten ihrer Art gehört. Großartig montiert der Film das rabiate Geschehen auf dem Eis und die vorsichtigen Annäherungsversuche auf der Zuschauertribüne ineinander.

Anfangs, wenn sie in einer Arbeitspause - sie sind Flughafenangestellte - die Flieger über ihre Köpfe hinweg rauschen lassen und dreist bei Mel Brooks geklaute Witze über Kirks Sexualleben reißen ("You're a moodle. A man-poodle. Girls, they want to take you out on a walk, they want to feed you, they want to cuddle you but no girl wants to do the moodle"), muss man noch befürchten, dass der Film der "The Hangover"-Schule entstammt: Männer und ihre spätpubertären Spielchen, die, wenn der Film vorbei ist, keinerlei Konsequenzen haben, weil sie fein säuberlich abgetrennt bleiben vom echten Leben und der bürgerlichen Existenz.

Aber "Zu scharf, um wahr zu sein" spielt nicht in Vegas, sondern in Pittsburgh. Und nie im Leben würde sich ein Film wie "The Hangover" für Kirks Familie interessieren, für deren glamourfreie Körper, die sich im Pool hinterm Haus aalen, gegenseitig beäugen und Gemeinheiten aushecken. Wie "Zu scharf, um wahr zu sein" ausführlich eine vulgäre untere-Mittelklassen-Arroganz samt ihrer Unterdrückungsmechanismen darstellt, das ist nicht immer angenehm anzusehen. Es zeigt aber ein weiteres Mal, dass die (gute) Hollywoodkomödie derzeit vielleicht der einzige Ort im amerikanischen (nicht nur Mainstream-) Kino ist, an dem Gesellschaftliches verhandelt werden kann. Auch die Attraktivitätsskala der vier Freunde bekommt in solchen Szenen einen anderen Sinn. Die "hard 10" für Molly wird mindestens auch zum Ausdruck einer sublimierten Klassendifferenz.



"Zu scharf, um wahr zu sein" ist nicht so smooth wie die Filme aus dem Umfeld des Produzenten Judd Apatow, der in den letzten Jahren das Genre erneuerte. Der Humor ist teilweise recht krude und orientiert sich eher in Richtung Farrelly oder "American Pie". Großartig und in mehr als einer Hinsicht apatowsch aber ist die Figurenzeichnung. Kirk wird verkörpert von Jay Baruchel. Schon das alleine wäre ein Grund gewesen, sich auf den Film zu freuen. Baruchel wurde nicht zufällig als Hauptfigur der Apatow-produzierten College-Sitcom "Undeclared" bekannt. Typen wie er, charmant aber ewig ungelenk, mit gequetschter Stimme und gequetschten Gesichtszügen, sind erst seit Apatow als Teil des amerikanischen Starsystems denkbar. Baruchels Kinokarriere nach "Undeclared" war nicht immer glücklich. "Zu scharf, um wahr zu sein" aber setzt ihn genau richtig ein, nämlich ohne jede Hemmung, die Defizite dieses ganz speziellen Starkörpers gnadenlos auszustellen.

Im Fall von Jay Baruchel kann Jim Field Smith auf eine bereits eingeführte Starpersona vertrauen. Nicht so bei den Nebenfiguren, allesamt besetzt von wenig bis gar nicht bekannten Schauspielern. Stainer (T.J. Miller) und Jack (Mike Vogel) waren Anfang letzten Jahres im Science-Fiction-Spektakel "Cloverfield" mit von der Partie. Ihre Gesichter wird sich damals kaum jemand gemerkt haben, genauso wenig, wie man Devon (Nate Torrence) aus den wenigen Nebenrollen seiner bisherigen Laufbahn kennt. Auch das macht "Zu scharf, um wahr zu sein" zu einem guten Film: mit diesem Film hat das Kino neue Typen für sich gewonnen. Nach Stanley Cavell hat der Film die Fähigkeit, Schauspieler und Rolle ineinander aufgehen zu lassen. Das Kino kann aus Schauspielern "Typen" formen, Starfiguren, die mit Individualität aufgeladen und über den einzelnen Film hinaus erkennbar bleiben. "Cloverfield" hat trotz seines kommerziellen Erfolgs keine Typen hervorgebracht, "Zu scharf, um wahr zu sein" dagegen mindestens zwei: Den dicklichen, streng monogamen und gläubigen, jeden Fluch vermeidenden und trotzdem schon beim Gedanken an den Flirt mit einer Freundin Mollys hysterisch kichernden Devon wird man ebenso wenig vergessen wie Stainer, einen der obsessivsten Neurotiker der jüngeren amerikanischen Filmgeschichte.

Lukas Foerster

Iron Man 2. USA 2010 - Regie: Jon Favreau Buch: Justin Theroux - Darsteller: Robert Downey Jr., Gwyneth Paltrow, Don Cheadle, Scarlett Johansson, Sam Rockwell, Mickey Rourke, Samuel L. Jackson, Jon Favreau, Clark Gregg, John Slattery, Kate Mara

George A. Romero's Survival Of The Dead. USA 2009 - Regie: George A. Romero - Darsteller: Alan van Sprang, Kenneth Welsh, Kathleen Munroe, Devon Bostick, Richard Fitzpatrick, Athena Karkanis, Stefano Di Matteo, Joris Jarsky, Eric Woolfe

Zu scharf, um wahr zu sein. USA 2009 - Originaltitel: She's Out of My League - Regie: Jim Field Smith - Darsteller: Jay Baruchel, Alice Eve, T.J. Miller, Mike Vogel, Nate Torrence, Krysten Ritter, Geoff Stults, Lindsay Sloane, Debra Jo Rupp