Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wagner Mouras Film "Marighella", Apologie des Terrorismus zum Abschluss Berlinale 2019

Von Thierry Chervel
15.02.2019.


Als krönender Abschluss dieses Berlinale-Wettbewerbs war Zhang Yimous Film "One Second", eine Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution, geplant. Endlich, so stand zu hoffen, kehrt Zhang zu den großen Filmen seiner Anfangszeit zurück, die man als politische Kritik am Regime lesen konnte. Aber der Film wurde sang- und klanglos abgesetzt. Die chinesischen Behörden hatten ihn in letzter Minute nicht freigegeben. Die Berlinale schützt in einer dürren viersätzigen Pressemitteilung technische Probleme bei der Postproduction vor. Mag sein, dass man Zhang Yimou nicht gefährden will, bestimmt aber sollen die chinesischen Behörden nicht vergrätzt werden, mit denen man auch künftig vertrauensvoll zusammenarbeiten möchte. Die Berlinale hat eine lange Geschichte politischen Lavierens.

In der Presse gab es überraschend wenig Echo auf die Absage, lesenswert aber Robert Ides Tagesspiegel-Kolumne zum Thema. Die Chinesen kriegen das irgendwie immer hin: Sie sind die Meister des Schweigens, Beschweigens und Verschweigens. Die Asche Liu Xiaobos haben sie im Meer verstreut, damit es keinen Gedenkort gibt. Und selbstverständlich ist sein Name wie der so vieler anderer ein blinder Fleck in dem, was in Chinas als Internet figuriert.

So endet Dieter Kosslicks Berlinale-Amtszeit statt mit einem mutigen Film über die chinesische Geschichte, der die Existenzberechtigung eines solchen Festivals eindrucksvoll unterstrichen hätte, mit einer Apologie des Terrorismus.

Ohne diese Konstellation wäre Wagner Mouras abgeschmackte Heiligenlegende über den brasilianische Guerillaführer Carlos Marighella der Rede nicht wert. Und auch so wird er zumindest in Europa kaum einen Sturm im Wasserglas auslösen.

Marighella war in den späten Sechzigern ein schon nicht mehr ganz junger kommunistischer Funktionär, der in den Untergrund gegangen war. Er löste sich 1965 oder 66 von der KP (während es im Film heißt, er sei ausgeschlossen worden), um sich ganz der Stadtguerilla zu widmen. Sein "Mini-Manual do Guerrilheiro Urbano", auf Deutsch 1971 herausgegeben von Freimut Duve bei Rowohlt, gilt als eine wichtige Inspirationsquelle der RAF und anderer terroristischer Gruppen jener Zeit. Marighella bekannte sich darin ausdrücklich zum Begriff des Terrors. In den Städten Schrecken zu säen, war Teil seiner Strategie. Er befürwortete ein dezentrales Vorgehen versprengter Kleingruppen, die sich informell koordinieren. Als Ziele seines Terrors nannte er: "Radio- und Fernsehstationen, nordamerikanische Unternehmen, Gasspeicher, Ölraffinerien, Schiffe, Flugzeuge, Häfen, Flughäfen, Krankenhäuser, Gesundheitszentren, Blutbanken, Lager, Garagen, Botschaften, Wohnsitze hochrangiger Mitglieder des Regimes wie Minister und Generäle, Polizeistationen, offizielle Organisationen". Die Regierung, so sein Traum, wäre angesichts des sich ausbreitenden Guerillakriegs irgendwann dann nicht mehr Herr der Lage.

Stattdessen scheiterte Marighellas Guerillakrieg jämmerlich an der brutalen Repression des Militärregimes - und löste buchstäblich nichts aus: Marighella wurde 1969 in einem Hinterhalt von achtzig Polizisten (im Film sind es weniger) durchsiebt. Das Militärregime blieb bis 1984 am Ruder. Es hielt unter Ausschluss unliebsamer Kräfte sogar Wahlen ab und erwies sich jedes Mal wieder als recht populär.

Der Film dauert zweieinhalb Stunden und bietet alles, was so eine Heiligenlegende bieten sollte: papierene Dialoge, blechernes Pathos, fiese Amerikaner, märtyrerhafte Selbstopferungen, liebevoll ausgemalte Folterszenen, die die Helden aber nicht "brechen", sowie, am Ende, weinende Pietàs.

Es wirft einen bedenkliches Licht auf den Zustand der brasilianischen Debatte, wenn die Linke dort glauben sollte, dem Finsterling Bolsonaro mit einem derart erbaulichen Quatsch begegnen zu können. Das Publikum der Pressevorführung klatschte höflich Beifall. Nur ein schüchternes Buh mischte sich darunter, meins.

Thierry Chervel

Marighella. Regie: Wagner Moura (Wettbewerb, außer Konkurrenz). Mit Seu Jorge, Adriana Esteves, Bruno Gagliasso, Luiz Carlos Vasconcelos, Humberto Carrão. Brasilien 2018, 155 Minuten (Alle Vorführtermine).