Im Kino

Frei von Liebe

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl
22.03.2023. Emmanuel Mouret erzählt in "Tagebuch einer Pariser Affäre" von, nun ja, einer Affäre, bei der das Reden so viel Spaß macht wie der Sex. Bis sich die Liebe einschleicht. Die Darsteller Sandrine Kiberlain und Vincent Macaigne leisten gestische Feinstarbeit.


Bevor die unverbindliche Affäre beginnen kann, muss erst einmal verhandelt werden. Regisseur Emmanuel Mouret lässt in seinem neuen Film ein Paar aufeinandertreffen, das sich über eine Dating-Plattform kennengelernt hat. Die alleinerziehende Charlotte (Sandrine Kiberlain) ist rational, offen und experimentierfreudig, der verheiratete Familienvater Simon (Vincent Macaigne) nervös, gehemmt, aber im Kern ein Romantiker. Beim ersten Treffen in einer Bar versuchen sie herauszufinden, ob sie zueinander passen, und Mouret übersetzt das in eine Choreografie, bei der die beiden ständig ihren Platz wechseln, jedes Mal einen neuen Anlauf starten - und schließlich miteinander im Bett landen.

Vor allem aber wird in dieser Szene aus "Tagebuch einer Pariser Affäre", wie auch sonst im ganzen Film, reichlich geredet. Charlotte und Simon stammen aus einem bildungsbürgerlichen Pariser Milieu, das ans New York alter Woody-Allen-Filme erinnert. Man flaniert gemeinsam durch Parks, besucht Ausstellungen oder sieht sich im Kino Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" an. Sprache ist selten direkt oder rein funktional, sondern reflektiert, referenzreich, sinnlich und ornamental. Mehr noch als ein Medium zur Verführung, Verarbeitung und Analyse ist sie ein Weg, um sich näher zu kommen. Einmal wird den beiden das Kompliment gemacht, dass sie am Reden genauso viel Spaß haben wie am Sex. Selbst wenn Simon später einmal wütend und vorwurfsvoll wird, geschieht das blumig, ins Anekdotische abgleitend und um die Würdelosigkeit einer konkreten Aussage sich windend.

Charlotte und Simon verfolgen das gemeinsame Projekt, eine Beziehung zu führen, die frei ist von alltäglichen Problemen, von allem, was kompliziert werden könnte, und damit eben auch frei von Liebe. Im Vorspann schimmert buntes Neonlicht im sich sanft wellenden Wasser der Seine und irgendwie soll es auch zwischen den beiden so sein: schön, aber vergänglich. Allerdings bedarf es einiger Anstrengung, um solch einen flüchtigen Moment zu schaffen. Das vorsichtige Herantasten inszeniert Mouret als verbalen und räumlichen Parcourslauf, der von einem scheuen Kuss im Park bis in ein verdruckst gebuchtes Hotelzimmer führt.



Mouret lässt Kinder und betrogene Ehepartner außen vor, um sich ganz auf die Dynamik zwischen seinen beiden Protagonisten zu konzentrieren. Die Szenen sind oft schlicht aufgebaut, haben manchmal etwas Bühnenhaftes, sind dabei aber spielerisch und spannungsreich genug, um nicht artifiziell zu wirken. Meist folgt die Kamera den Figuren in längeren Einstellungen, wobei die tatsächliche Bewegung im Film durch die Sprache erfolgt, was besonders dann deutlich wird, wenn "Tagebuch einer Pariser Affäre" Charlotte und Simon mehrmals ins Off verbannt.

Im Zentrum des Films steht ein Wunsch, der so nachvollziehbar wie hoffnungslos ist: Enttäuscht und gelangweilt wurde man schon oft genug, warum also nicht einfach das Erfreuliche aus einer Beziehung herausdestillieren. Das Scheitern ist schon in der Herangehensweise angelegt. Das Ziel rein körperlicher Freude untergraben die beiden, weil sie durch den ständigen Austausch eine Vertrautheit schaffen, die sie immer enger aneinander bindet. Charlotte und Simon suchen keinen oberflächlichen Sex, sie wollen erklären und verstehen, sich öffnen und zuhören, umschmeicheln und auch selbst ein wenig angehimmelt werden. Die Liebe schleicht sich so zwangsläufig wie hinterhältig ein.

Während Charlotte abspült und Simon ihr Verhältnis definiert, verrät uns ein langsamer Zoom auf ihren Rücken, dass sich gerade etwas sehr grundlegend verändert. Immer noch gehen die beiden spazieren oder miteinander ins Bett, aber ihre Blicke werden nachdenklicher. Die prickelnde Euphorie des Zusammenseins führt einerseits zu Lust nach mehr, andererseits zur Vorsicht, was Distanz bedeutet. Ein Dreier mit der jüngeren, unglücklich verheirateten Louise (Georgia Scalliet) soll frischen Wind in die Affäre bringen, macht aber dann doch nur alles heikler.

"Tagebuch einer Pariser Affäre" lebt von dem effektiven Verhältnis zwischen Mourets zurückgenommener, aber stets einfallsreicher Regie und dem freien, lebendigen Spiel seiner Darsteller. Kiberlain und Macaigne haben in ihren Rollen etwas Schrulliges, das jedoch nie niedlich wirkt. Mit mimischer und gestischer Feinstarbeit legen sie vielmehr die Sehnsüchte und Wunden ihrer Figuren offen. Je mehr der Film vom Komischen ins unvermeidliche Ernste kippt, fühlt man sich dem Paar plötzlich gar nicht unähnlich in seiner Überraschung, wie nah einem diese auf Leichtigkeit angelegte Beziehung plötzlich gehen kann.

Michael Kienzl

Tagebuch einer Pariser Affaire - Frankreich 2022 - OT: Chronique d'une liaison passagère - Regie: Emmanuel Mouret - Darsteller: Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet, Maxence Tual - Laufzeit: 100 Minuten.