Außer Atem: Das Berlinale Blog

Zeitgeschichte als Melodram: Karan Johars 'My Name Is Khan'

Von Lukas Foerster
13.02.2010.
Nicht "Kaan", sondern "Chraan" spricht man den Nachnamen des größten lebenden Filmstars unserer Zeit aus. Das lernt man in aller Ausführlichkeit in Shah Rukh Khans neuem Film "My Name is Khan", in dem er die anderen Charaktere immer wieder zurechtweist: "Chraan, from the epiglottis, the epiglottis". Der Name ist nicht die einzige Gemeinsamkeit von Filmfigur und Schauspieler. Der gesamte Film hat eine starke autobiografische Note. Genauer gesagt: Er geht vom Autobiografischem aus und extrapoliert dasselbe ganz unverschämt ins Quasimythologische und Geopolitische.



Wie der echte Khan ist der Film-Khan, der allerdings mit Vornamen Rizwan heißt, ein indischer Moslem. Und wie der echte heiratet der Film-Khan eine Hindu-Frau, nämlich die allein erziehende Mutter Mandira. Allerdings nicht in Indien, sondern, da endet die Autobiografie, in den USA. Dorthin wandert Rizwan nach dem Tod seiner Mutter aus, weil er es ihr versprochen hat. Nur ein kurzer Prolog spielt in Indien, schnell landet der Film in den USA, erst in San Francisco, dann in einer prototypischen kalifornischen Kleinstadt und schließlich im ganzen Rest.

Aber zunächst ist alles noch behaglich. Die Liebesgeschichte entwickelt sich genregerecht albern. Auf die Hochzeitsnacht bereitet Khan sich mit einem Buch namens "Intercourse for Dumbos" oder so ähnlich vor. Kurz nach dieser Hochzeitsnacht, tatsächlich fast im Gegenschuss, stürzen die beiden Türme des World Trade Center ein. Und damit ist das junge Glück erst einmal am Ende. Die Attacken gegen amerikanische Muslime nach 9/11 erreichen die kalifornische Kleinstadt, Mandiras Sohn wird auf dem örtlichen Fußballplatz totgeprügelt. Daran wiederum zerbricht die Ehe. Zumindest vorläufig. Khan macht es sich zur Aufgabe, den amerikanischen Präsidenten, der zu diesem Zeitpunkt noch George W. Bush heißt, zu treffen und ihm ins Gesicht zu sagen: "My name is Khan. I am not a terrorist." Auch so etwas bringt man potentiellen neuen Fans möglichst rechtzeitig bei...

Die Zeitgeschichte bricht in den Film ein und melodramatisiert ihn. Umgekehrt melodramatisiert der Film dann in seinem weiteren Verlauf auf ziemlich unglaubliche Art knapp zehn Jahre amerikanische Zeitgeschichte. Khan wird selbst als Terrorist verdächtigt und bei dieser Gelegenheit Opfer der berüchtigten "enhanced interrogation techniques". Parallel deckt er einen, diesmal echten, islamistischen Terrorplot auf. In einer endgültig wahnwitzigen Volte verleibt sich der Film dann auch noch den Hurrikan Cathrina ein, den er in die Kleinstadt Wilhelmina, Georgia verlegt. Dieses Wilhelmina scheint sich seit dem späten 19. Jahrhundert nicht mehr verändert zu haben. Der Film schreckt vor nichts zurück: Da duckt sich eine afroamerikanische Südstaatengemeinde in einer baufälligen Kirche zusammen, singt "We Shall Overcome" und wird von Khan gerettet. Der verleibt sich bei der Gelegenheit gleich noch die reale Geschichte des Abdulrahman Zeitoun ein, eines syrischstämmigen Amerikaners, der im Kanu durch das Post-Cathrina-New-Orleans fuhr, Leben rettete und anschließend vom amerikanischen Geheimdienst festgenommen wurde. Bollywood erteilt den USA eine Geschichtslektion, und zwar aus konsequent minoritärer Perspektive: Die Spannung zwischen hinduistischen und muslimischen Indern interessiert mehr als die Befindlichkeiten der Mehrheitsgesellschaft. Das weiße Amerika ist bestenfalls netter, aber distanzierter Nachbar, meistens eher: ein Problem. Konsequenterweise nimmt der Film am Ende dann auch noch den Machtwechsel Bush-Obama mit, der sich perfekt in die Dramaturgie des Films einreiht - als Happy End natürlich.



Noch gar nicht erwähnt wurde der eigentliche Clou an der Sache: Rizwan Khan leidet nämlich am Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus. Es ist für den Zuschauer am Anfang etwas anstrengend zuzusehen, wie Khan wieder und wieder den Kopf zur Seite dreht und stur Nebensächlichkeiten vor sich hin murmelt. Aber Bollywood hat es nicht so mit dem obsessiv-Zerquälten, und so tendiert Khans Spiel doch meist zur Komik. Außerdem ist seine Figur eben gerade kein Joe Simpleton, der zufällig in die Weltgeschichte hineinstolpert wie Forrest Gump. Moralisch integer ist Khan nicht mangels Intellekt, sondern aus Prinzip. Die Krankheit hilft ihm lediglich dabei.

Bei all dem ist der Film zuerst ein äußerst kompetent gemachtes Melodram. Regisseur Karan Johar behält alle Handlungsfäden in der Hand und spielt seine Karten perfekt aus. Vielleicht auch, weil der Film auf ein internationales Publikum zielt, verzichtet er auf klassische Song & Dance-Nummern, an deren Stelle treten musikunterlegte Montagesequenzen, die etwas kompatibler mit dem Hollywood-Mainstream sein dürften. Dennoch kann der Film niemandem etwas vormachen: Wie er im Minutentakt vom Komischen ins Tragische und zurück kippt, wie er sich völlig ironiefrei jeden politischen Diskurs einverleibt, wie er am Ende einen Jihaddisten ex machina aus dem Hut zaubert, um der melodramatischen Eskalationslogik genüge zu Tun: All das traut sich Hollywood schon lange nicht mehr, vieles davon hat es sich noch nie getraut. "My Name Is Khan" ist ein Bollywood-Film mit Haut und Haaren. Und das ist auch gut so. Ich glaube kaum, dass ein anderer Wettbewerbsfilm mich dieses Jahr derart beschwingt aus dem Kino kommen lassen wird.

Karan Johar: "My Name Is Khan". Mit Shah Rukh Khan, Kajol u.a., Indien 2010, 165 Minuten (Vorführtermine)