Mord und Ratschlag

Liebe wie Blut

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
08.04.2013. In ihrem wunderbar dunklen Roman "Opfer" erzählt Cathi Unsworth von einer traurigen Jugend in England zwischen New Wave und Gothic, von Freundschaft, Musik und Stil - und von wirklich bösen Menschen. In Sara Grans "Das Ende der Welt" fährt Superdetektivin Claire DeWitt gegen ihre eigene Drogennebelwand.
Kaum eine Gegend war Anfang der achtziger Jahre so traurig wie der kleinstädtische Norden Englands. Cathi Unsworth umreißt die Trostlosigkeit ihres fiktiven Seebads Ernemouth so: Dreihundert Jahre zuvor hatte hier Oliver Cromwells Revolutionsarmee, die New Model Army, nach ihrem Sieg ein strenges puritanisches Regime errichtet, das vor allem die Kultur und die Frauen traf. Nun war war auch noch der Bürgerkrieg gegen die Truppen der Margaret Thatcher verloren, die zerschlagene Arbeiterbewegung musste sich über die Niederlage in den neuen Vergnügungsparks hinwegtrösten. Die Zechen waren geschlossen, eröffnet wurde auf dem Pier die längste Achterbahn Europas, mit Superloop.

In der spießig-stickigen Atmosphäre dieser Jahre siedelt Unsworth ihren Roman "Opfer" an: 1984 geschah in Ernemouth ein schreckliches Verbrechen, ein Teenager wurde in einem alten Kriegsbunker am Strand auf bestialische Weise getötet. Das rituelle Ambiente, die abgebrannten Kerzen und Pentagramme ließen einen satanischen Zirkel vermuten, als Täterin wurde die fünfzehnjährige Corrine identifiziert, die im Ort schon lange als Spinnerin und "Scheißgrufti" verschrien war, doch Im Verlauf des Prozesses wurde sie zur "Bösen Hexe des Ostens".

Zwanzig Jahre später - Corinne schmort in der Psychiatrie - soll der Privatdetektiv Sean Ward auf Wunsch von Corinnes Anwältin den Fall noch einmal untersuchen. Die neuen Techniken machen eine Auswertung der DNA möglich. Ward, der Ex-Polizist mit den schlecht verheilten Wunden aus der Vergangenheit, geht dem Fall in der heutigen Zeit nach und trifft auf zerstörte Familien oder gebrochene Lebensläufe, aber auch auf gänzlich unbeschädigte Netzwerke. In einem zweiten Erzählstrang verfolgt Unsworth die damaligen Ereignisse. Und sie macht das einfach großartig. "Opfer" ist ein wunderbarer Roman, böse und traurig zugleich, klug und mitfühlend erzählt.

Drei Mädchen und ihre Freunde suchen sich selbst und ihren Weg aus den erdrückenden Elternhäusern hinaus in eine Welt, die ganz aus Musik, Klamotten und der richtigen Kneipe besteht. Im Hintergrund laufen die Sister of Mercy, Killing Joke und natürlich New Model Army. Doch während die einen vor Kreativität überborden und ihr Weg sie vom New Wave auf die Kunsthochschule führen wird, drohen die anderen verloren zu gehen. Nicht in der Magie und der jugendlichen Todessehnsucht der Gothic Szene, sondern in den Etablissements, in denen die wahren Hohepriester des Satans ihr Unwesen treiben. Unsworth entfaltet diese Szenerie aus Spießigkeit und Aufbruch, aus Kunst und Kult mit untergründigem Thrill und zugleich mit großer Empathie: man verfolgt mit zunehmender Sorge, in was sich die Mädchen da reinzureiten drohen.

Der deutsche Titel zielt nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch im buchstäblichen auf die Frage, wer hier eigentlich wessen Opfer ist, denn bis zum Schluss bleibt offen, wer zu Tode gekommen ist. Das englische Original lässt mit "Weirdo" eher im alten Punk-Sinne die Frage offen, wie krank es ist, normal zu sein.

Dem Suhrkamp Verlag, der mit diesem Roman einen neuen Anlauf unternimmt, Cathi Unsworth nach Deutschland zu bringen, ist Glück zu wünschen. Dem ersten Versuch des Diestel Verlags vor einigen Jahren mit "Die Ahnungslose" war leider kein großer Erfolg beschieden. Aber offenbar ist Unsworth nicht nur mit jedem Buch besser geworden, es scheint ein bisschen, als wäre ihre ganz Karriere, die bei den Musikmagazinen Sounds und Melody Maker begonnen hat, auf diesen Roman zugelaufen: Unsworth weiß, dass Musik und Stil ein Leben ausmachen können. (Nichts gegen den Übersetzer Hannes Meyer, er hat seine Sache sehr gut gemacht, aber traurig ist es schon, dass ein Dreißigjähriger nicht mehr das Wort "Single" kennt und sie stattdessen 7-inch-Platte nennt!)

Unsworth hat sich in Großbritannien den Ruf der "Queen of Noir" erschrieben, die endlich auch Frauen auf der schwarzen Seite des Krimis etabliere, was vielleicht ein wenig in die Irre führt. Natürlich steckt für sie der Horror eher im System und in der gutsituierten Familie als in der Gothic Szene. Und auch wenn Frauen, selbst Mädchen, bei ihr richtig und von Grund auf böse sein können, ohne Opfer der Gesellschaft zu sein, stehen am tröstlichen Ende doch Freundschaft, Zuneigung und eine Kreativität dagegen, die aus dem dunkelsten Tempel der Liebe noch hell schimmert.

Cathi Unsworth: Opfer. Roman. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 382 Seiten, 14,99 Euro.



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Sara Gran erlebt mit ihren Romanen um ihre Privatdetektivin Claire DeWitt gerade einen riesigen Hype. Zu den Liebhabern dieser nach eigener Einschätzung "besten Ermittlerin der Welt", zählen viele durchaus gestandene Kritiker. Und tatsächlich ist sie ungeheuer charmant, ein bisschen durchgeknallt, aber ganz sympathisch. Im vorigen Roman "Die Stadt der Toten" hatte Sara Gran ihre Ermittlerin in das zerstörte New Orleans geschickt, um eine Gruppe böser Jungs aus den Fängen eines noch böseren Staatsanwalts zu befreien. Dabei kiffte sie fröhlich vor sich hin und behalf sich, wenn sie nicht weiter wusste, mit dem I Ging oder mit dem ominösen Geheimbuch des französischen Meisterdetektivs Jacques Silette, dem sie ebenso orakelhafte Weisheiten entnahm: "Der Detektiv und der Auftraggeber, das Opfer und der Täter - ihnen allen ist die Lösung längst bekannt."

Vor allem im Vergleich mit David Simons New-Orleans-Serie "Tremé" fiel an der "Stadt der Toten" die völlige Abwesenheit von Musik auf, auch die ganze wunderbar aufgeladene Schwüle Louisianas schlug sich in dem Roman kaum nieder. Doch nicht zuletzt wegen der empathischen Beschreibungen einer verwüsteten Stadt, ließ sich die ausgestellte Exaltiertheit der Heldin ertragen. Im neuen Roman "Das Ende der Welt" gerinnt sie zu einer zwanghaften Aufgekratztheit, über deren harmlose Biederkeit auch die vielen Drogen nicht hinwegtäuschen können, die Claire DeWitt konsumiert: "Ich rauchte den Joint und schaute für den Rest des Abends die 'Mord ist ihr Hobby'-Kriminacht an", heißt es an einer Stelle.

Das "Ende der Welt" ist in San Francisco angesiedelt, Claire muss den Mord an ihrem Ex-Freund Paul Casablancas aufklären. Und da Paul Musiker und Claires große, immer noch nicht verwundene Liebe war, gibt es diesmal nicht nur viel Musik, sondern noch mehr Koks. Allerdings fragt man fragt sich mitunter, ob Claire nicht versehentlich zum Valium gegriffen hat, so lahm entwickelt sich die Geschichte. Monatelang kommt sie nicht vom Fleck. Mal fragt Claire bei der Witwe nach, was es Neues gibt, mal bei der Schwester oder der Polizei. Aber ach so, schon Meisterdetektiv Silette wusste es: "Die Detektivin, die vorgibt, die Wahrheit nicht zu sehen, begeht mehr als eine Todsünde. Sie setzt ihr Seelenheil aufs Spiel, denn sie verurteilt uns alle zu einem Leben in Schmerzen."

Zwischen dem Mord und seiner sehr naheliegenden Auflösung schaltet Sara Gran eine Menge Nebenhandlungen, einen Fall aus Claires Jugendzeit, Erinnerungen an ihre detektivische Ziehmutter und jede Menge Visionen oder Ausführungen von zweifelhaftem Tiefsinn: "Ob es stimmt, was manche Leute sagen? Dass die Seele eines Ermordeten erst zur Ruhe kommt, wenn der Täter gefasst ist? Wenn der Gerechtigkeit genüge getan wurde? Ich habe das mal irgendwo gelesen." Vielleicht auch schon mehr als einmal.

Was einem das Vergnügen an diesen Krimis beträchtlich vergällt, ist, dass Sara Gran all ihre Abgedretheiten weder literarisch noch sprachlich richtig in den Griff bekommt. Banalitäten und Klischees schwirren durch die Zeilen wie sonst nur Pistolenkugeln. Dagegen ist der Plot gerade im Vergleich zu den dichten Marihuanaschwaden und breiten Kokslinien ausgesprochen dünn. Und auch die dick aufgetragene Abgeklärtheit der Heldin steht in einem seltsamen Kontrast zu ihrem mädchenhafte Getue, das einem in seiner Untentschiedenheit und Egozentrik so auf die Nerven geht wie eine 13-Jährige. Da wundert es dann eigentlich auch nicht mehr, dass in diesem Roman einige Männer "zu süß sind, um wahr zu sein".

Sara Gran: Das Ende der Welt. Claire DeWitt ermittelt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné. Droemer Verlag, München 2013, 367 Seiten, 14,99 Euro