Magazinrundschau

Auf die softe Tour

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
03.11.2020. Der New Yorker deckt eine Verschwörung von CIA und FBI gegen Whistleblower auf. Die London Review deckt eine Kabale zur Bereicherung an der Corona-Pandemie auf. Im Merkur fürchtet Philosoph Christoph Türcke mit Paritätsgesetzen einen Rückfall in die Steinzeit. En attendant Nadeau stellt den armenisch-französischen Dichter Armen Lubin vor. Magyar Narancs entdeckt eine neue Poetik der Armut. In Esprit/Eurozine sucht der kamerunische Philosoph Jean Godefroy Bidima einen Weg zum Wiederaufbau Afrikas jenseits postkolonialer Diskurse. Politico erzählt die Geschichte vom Treffen Malcolm X mit dem Ku Klux Klan. Himal beschreibt die Verwirrung, die die afrokaribische-tamil-brahmanische Herkunft von Kamala Harris stiftet.

London Review of Books (UK), 05.11.2020

Auf dem Höhepunkt der Coronakrise heuerte die britische Regierung die Beratungsfirma Deloitte an, um den zusammenbrechenden Gesundheitsdienst NHS bei seinem Test-and-Trace-Programm zu unterstützen, berichtet Peter Geoghegan. Tausende Berater sind seitdem im Einsatz, darunter auch vierzig von Boston Consulting, die 6.250 Pfund am Tag verdienen. Eine ihrer cleversten Ideen bestand in dem Versuch, wie der Guardian enthüllte, dem NHS ein privates Konkurrenz-Programm des Serco-Konzerns anzudrehen, für den Deloitte ebenfalls arbeitet: "Covid-19 hat das ganze Ausmaß der Vettern- und Günstlingswirtschaft enthüllt, die den öffentlichen Dienst erfasst hat. Mehr als jeder andere vergleichbare Staat hat Britannien - oder genauer gesagt England - weite Teile seiner Reaktion auf die Pandemie ausgelagert, oft an Firmen, mit engen Kontakten zu Tory-Politikern, aber ohne erkennbar relevanter Erfahrung. Eine Firma, die einem konservativen Spender mitgehört und Schönheitsprodukte an Ketten in den Fußgängerzone verkauft, bekam einem Auftrag über 65 Millionen Pfund zur Lieferung von Gesichtsmasken an das NHS. Ein kleines, Verluste einfahrendes Unternehmen, das medizinisches Gerät liefert und von einem konservativen Stadtrat in Stroud geführt wird, erhielt einen Vertrag über 270 Millionen Pfund für ärztliche Schutzausrüstung. Ayanda Capital, eine auf Devisengeschäfte, Offshore-Besitz und Private Equity spezialisierte Investmentfirma, bekam einen Vertrag über 252 Millionen Pfund für Atemmasken, von denen fünfzig Millionen nicht genutzt werden konnten, nachdem Bedenken aufkamen, ob sie fest genug im Gesicht sitzen. Der Deal wurde über das Handelsministerium eingefädelt, dessen Aufsichtskomitee von Liz Truss geführt wird, die auch im Aufsichtsrat von Ayanda sitzt. NHS-Daten wurden nicht nur Amazon und Google zugeschanzt, sondern auch Palantir Technologies, der von PayPal-Gründer und Republikaner-Spender Peter Thiel gegründeten Big-Data-Firma, und Faculty, einer kleinen KI-Firma, die zuvor für David Cummings Leave-Kampagne gearbeitet hatte."

Weiteres: Patrick Cockburn sieht Syrien durch die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen tatsächlich kollabieren, betroffen seien aber vor allem die ärmere und mittleren Schichten, nicht die Stützen des Regimes. Sehr zu seinem Ärger: "Anders als Bombardements stellen sich Sanktionen als gewaltloser Weg dar, das Verhalten gefährlicher Regimes zum Besseren zu wenden. Doch in Wahrheit sind sie ein brutales Instrument, sie bestrafen unterschiedslos ganze Gesellschaften." Im Guardian recherchiert Martin Chulov noch einmal den Tod von James Le Mesurier, einem britischem Militär und Mitbegründer der Weißhelme, der sich in Istanbul das Leben genommen hat. Chulov gibt daran einer syrischen Desinformationskampagne die Schuld.

Himal (Nepal), 28.11.2020

Radhika Parameswaran und Pallavi Rao denken am Beispiel von Kamala Harris, Joe Bidens Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, darüber nach, wie man Afroamerikaner wird. Harris' Hintergrund ist indisch-tamil-brahmanisch auf der einen und afrokaribisch auf der anderen Seite. Amerikaner mit einem südindischen Hintergrund feiern ihren indischen Ursprung, sie selbst betont mehr ihre afroamerikanischen Wurzeln, dies wohl aus persönlichen ebenso wie aus politischen Gründen, erklären die beiden Autoren. In Indien ist Harris dafür von konservativen Hindus kritisiert worden. Was interessanterweise weder in der amerikanischen noch indischen Debatte angesprochen wird, ist ihre Zugehörigkeit zur Kaste der Brahmanen: "Nirupama Subramanian interpretiert ihre Nominierung als Zeichen einer inklusiveren Diversitätspolitik in den USA, anders als in Indien, wo die prominente politische Platzierung eines muslimischen Politikers sofort den Vorwurf nach sich gezogen hätte, hier solle ein Minderheit beschwichtigt werden. Subramanians Artikel ordnet Harris in die Debatten über religiöse Vielfalt in Indien ein und zieht eine Analogie zur politischen Repräsentation von Muslimen, während sie Kasten- und Geschlechterausschluss ausweicht. Ashutosh Varshney, Politikwissenschaftler an der Brown University, informiert die Leser des Indian Express über die Rassenpolitik bei Wahlen in den USA und schlägt scharfsinnig vor, dass Harris' verstärkte afroamerikanische Identität und ihr gedämpftes indisches Erbe, angetrieben von der Logik der Demographie und Identität, ihre pragmatische Anziehungskraft auf eine beträchtliche schwarze Wählerschaft und eine öffentliche Umarmung eines multirassischen Amerikas signalisieren. In all diesen Analysen haben sich die Kommentatoren selten damit befasst, wie Klasse und kulturelles Kapital Harris' Werdegang geprägt haben". (Mehr über Harris in der New York Times, wo der Ex-Sträfling Reginald Dwayne Betts sich mit Harris' Vergangenheit als Staatsanwältin auseinandersetzt.)

Außerdem: Die indische Regierung hat im September die Bankkonten von Amnesty International in Indien eingefroren und damit die Arbeit dort unmöglich gemacht. Damit kann die Regierung jetzt ohne große Öffentlichkeit gegen unliebsame Journalisten, Intellektuelle, Wissenschaftler und Aktivisten vorgehen, berichtet Makepeace Sitlhou.
Archiv: Himal

Merkur (Deutschland), 02.11.2020

Die Kluft zwischen rechtlicher Gleichheit und tatsächlicher Gleichstellung bleibt frustrierend, nicht nur für Frauen, sondern auch für Menschen dunklerer Hautfarbe, für Muslime und Juden. Dennoch hält der Philosoph Christoph Türcke Proporz- oder Paritätsgesetze für den falschen Weg, und das nicht nur, weil damit jeder Gedanke an Solidarität und Empathie negiert wird, demzufolge sich Angeordnete auch jenseits eigener Betroffenheit für die Belange anderer einsetzen können: "Das 'linke' Projekt der paritätischen Besetzung des Parlaments ist 'rechter' als beabsichtigt. Es befördert auf die softe Tour das Vordringen von Wirtschaftszwängen in die politische Sphäre. Der Lobbyismus hört dadurch, dass er durch Paragrafen und Proporzberechnungen verrechtlicht wird, ja nicht auf, ein Abkömmling des Wirtschaftslobbyismus zu sein. Absehbar, dass dieses Paritätskonzept weniger die Basisdemokratie vorantreiben als zu einer Lobbydemokratie führen wird, in der das Parlament wie in vorbürgerlicher Zeit wieder nach Proporz zusammengesetzt ist; freilich nicht als Vertretung von Ständen, sondern von vielen mobilen Gruppen, die allesamt ihre eigenen 'authentischen' Sprecher abordnen. Ein hochbewegliches Hightech-Parlament zeichnet sich ab, das strukturell gleichwohl eher einer archaischen Stammesversammlung als dem aktuellen deutschen Bundestag ähnelt."

Die Autorin Anne Rabe erinnert sich an ihre Kindheit in den neunziger Jahren im Osten, zum Beispiel an ihre Grundschulzeit, als sie und die anderen Kinder auf dem Weg zum Hort an einem Kiosk vorbei kamen: "Vor diesem Kiosk stand häufig eine Gruppe von jugendlichen Neonazis rum, die sich freute, wenn wir an ihr vorbei mussten. Denn zu unserer Hortgruppe gehörte auch ein vietnamesisches Mädchen. Sie kreisten uns ein und begannen, das Mädchen zu beschimpfen. Unsere Versuche, sie zu verteidigen, belustigten die Kahlköpfe. Ich kann mich an kein einziges Mal erinnern, in dem ein erwachsener Passant auf die Idee gekommen wäre, uns Erstklässlern zu helfen."
Archiv: Merkur

Tablet (USA), 28.10.2020

Jacob Siegel beobachtet, wie die New York Times - etwa beim Mordanschlag auf Samuel Paty - entweder ganz auf Berichterstattung verzichtet, oder sie von vornherein in die eigenen Muster politischer Korrektheit einordnet. Ihre erste Schlagzeile zu Paty lautete: "French Police Shoot and Kill Man After a Fatal Knife Attack on the Street". Diese postmoderne Wende erklärt Siegel unter anderem durch einen ganz schlichten Faktor. Es sei "zu beobachten, dass Zeitungen im ganzen Land ihre Reporterschaft mehr als halbiert haben, wobei meist Angestellte mitten in ihrer Laufbahn betroffen waren, im Alter von 35 bis 54 Jahren. Mit anderen Worten, es waren die erfahreneren Journalisten, die sich weniger auf den Konformismus der sozialen Netze und das Einsickern des ideologischen Aktivismus einließen, die am ehesten gefeuert wurden. Im Bemühen, mit den wirtschaftlichen und kulturellen Imperativen der digitalen Medien Schritt zu halten, ist die Times dazu übergangen, Nachrichten zu machen, statt über sie zu berichten. Es ist der Übergang von Berichterstattung zu einer narrativen Konstruktion, von News zu Content. Im früheren Modell musste man rausgehen und Nachrichten suchen. Nun macht man Content aus dem Internet für Internetnutzer, oft durch Recycling tatsächlicher News im Dienst präexistenter und emotional ansprechender Narrative."
Archiv: Tablet

Novinky.cz (Tschechien), 29.10.2020

Im Gespräch mit Zbyněk Vlasák äußert sich der tschechische Cyber-Spezialist und Philosoph Jan Romportl, Leiter des Centre for Artificial Intelligence bei O2 und Mitautor des gerade erschienenen Buches "Antropocén", über die Auswirkungen der sozialen Medien: "Das Hauptproblem der sozialen Netzwerke, das in der Konsequenz unsere Demokratie und den Gesellschaftsvertrag bedroht, auf dem unsere Gesellschaft beruht, ist, dass in der Jagd nach Aufmerksamkeit der Nutzer ihre Algorithmen die sehr effektive Strategie des 'Teile und herrsche' entwickelt haben. Die wurde in der Folge von Interessengruppen genutzt, die von der Spaltung der Gesellschaft profitieren. Dass die Leute eine Menge Zeit auf Facebook verbringen, hatten wir schon vor zehn Jahren geahnt. Und damals habe auch ich behauptet, dass sich damit leben lässt, dass wir eben nicht mehr vor dem Fernseher, sondern vor dem Computer hocken. Aber dass die Informationsgesellschaft zu einer Desinformationsgesellschaft werden würde, damit hatte keiner gerechnet. Und das ist das größte Problem, dem wir jetzt gegenüberstehen.(…) Diese Algorithmen fesseln unsere Aufmerksamkeit zuerst durch Inhalte, die immer extremer werden, zweitens umgeben sich mich mit Nutzern, die in das gleiche konkrete 'Kaninchenloch' gezogen wurden. Dadurch entstehen soziale Blasen, die sich allmählich verfestigen und isolieren. Jeder, der dann in deren Reichweite mit einer anderen Meinung auftaucht, erscheint paradoxerweise auf einmal als Extremist. Und da für viele Menschen die sozialen Netzwerke die primäre Informationsquelle darstellen, geht der Gesellschaft die gemeinsame Basis verloren, der geteilte Informationsfluss, aus dem sich zwar jeder herauspicken könnte, was er wollte, der aber das Bewusstsein aufrechterhielte, dass es noch andere relevante Perspektiven auf eine Sache gibt." Trotzdem möchte Romportl nicht nur das Böse in den sozialen Netzwerken erkennen: "In den Neunzigerjahren dachte ich, dass Falschinformationen dank des Internets für immer verschwinden würden, dass uns keine Rückkehr in den Totalitarismus mehr droht. Das war naiv von mir, aber etwas von diesem Idealismus hat das Internet geprägt und existiert immer noch. Ja, wir haben soziale Netzwerke voller Coronaleugner, was uns jetzt in der Realität Menschenleben kostet. Aber ohne die sozialen Netzwerke hätte sich im Frühling keine so große Welle der Solidarität erhoben, es hätten nicht so viele Menschen Masken genäht und ein Projekt wie Covid19CZ wäre unmöglich innerhalb eines Tages entstanden."
Archiv: Novinky.cz

Eurozine (Österreich), 30.10.2020

Der kamerunische Philosoph Jean Godefroy Bidima publiziert (im Original bei Esprit) eine Kritik der postkolonialen Ideologie aus afrikanischer Sicht. Statt einer Externalisierung aller afrikanischen Probleme - die selbstredend sehr stark durch externe Faktoren geprägt sind -, plädiert er für eine neue Selbstreflexion und Selbstkritik afrikanischer Eliten - auch gegen die Erwartungen der modischen Linken an westlichen Universitäten: "Der 'Postkolonialismus' ist zu einer Ware geworden, die vermarktet und verkauft werden muss. In der nordamerikanischen Hochschulmaschinerie dient er als Alibi, manchmal verwischt er die Grenzen zwischen Kritik und Ressentiment und drängt die Versäumnisse eines ungerechten Sozialsystems in den Hintergrund... Die afrikanischen Eliten - wie die der jüngsten Vergangenheit - werden keine poetische Aufgabe haben, solange sie nicht, wie die Büßer im Mittelalter, die den Beichtvater necken, lernen zu sagen: nescio ('Ich weiß nicht'). Erst dann werden sie den Entdeckungsdrang verspüren und sich auf einen echten symbolischen, politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Wiederaufbau Afrikas einlassen."

Sehr lesenswert außerdem Marci Shores Eröffnungstext zum Eurozine-Forum über Sinn und Unsinn historischer Vergleiche: Shore, eine Osteuropahistorikerin, denkt vor allem darüber nach, ob "Faschismus" das richtige Wort für die Trump-Regierung ist.
Archiv: Eurozine

Politico Magazine (USA), 24.10.2020

Les und Tamara Payne erzählen die erstaunliche Geschichte eines Treffens von Malcolm X, Jeremiah X und dessen Frau Elizabeth als Abgesandte von Elijah Muhammads Nation of Islam (NOI) und einigen Vertretern des Ku Klux Klans (unter den Augen des FBI, das seine eigene Agenda hatte) am 30. Januar 1961. Die NOI und der Klan hatten einige Gemeinsamkeiten, wie sich herausstellte. Die wichtigste: Keine Aufhebung der Rassentrennung. Beide wollten getrennt leben, quasi jeder in seinem eigenen Staat. Bei der Gelegenheit machte Malcolm X eine unangenehme Erfahrung: Der Klan hoffte, dass die NOI ihnen Martin Luther King ans Messer liefern würde. "Auf der Vortragsreise hatte Malcolm selbst oft King oft als Schoßhündchen des weißen Mannes angegriffen, und er würde es wieder tun. Nie hätte er sich vorstellen können, dass dieser gewaltlose baptistische Pastor, der den Schwarzen Freundlichkeit und Nächstenliebe für ihre Feinde predigte, bei den Weißen an der Basis ein so giftiges Gift, einen so aufrichtigen Hass hervorrufen konnte. Und doch gab es hier eine Gruppe örtlicher Klansmänner, die planten, diesem gewaltlosen schwarzen Führer aufzulauern. ... Die Bitte des Klans brachte Malcolm laut Jeremiah und seiner Frau Elizabeth in Verlegenheit, und wahrscheinlich entmutigte und beschämte sie ihn auch. Es entging Malcolm auch nicht, dass die schwarzen Muslime im Gegensatz zum christlichen Reverend King nicht einen Funken Zorn bei der einzigen weißen Gruppe in Amerika auslöste, die von allen Schwarzen, einschließlich Malcolm selbst, als Teufel verachtet wurde. Tatsächlich betrachtete der Klan ihn und Jeremiah, zwei wichtige Minister der Black Muslims von Elijah Muhammad, als potenzielle Verbündete."

En attendant Nadeau (Frankreich), 28.10.2020

Paris, eine komplett auf sich selbst zentrierte Stadt mit Eliten, die sich gar nicht vorstellen können, dass es ein Leben außerhalb des Boulevard périphérique gibt, war auch immer eine Stadt der Diaspora. Unter anderem der armenischen - nirgends in Europa leben mehr Nachfahren von Überlebenden des Genozids als in Frankreich. Jean-Paul Champseix stellt zwei Bücher von beziehungsweise über Exil-Armenier vor, Jean-Luc Sahagians "L'éblouissement de la révolte" über die armenische Revolution von 2018, und vor allem Hélène Gesterns "Armen", die Biografie des armenischen Lyrikers Armen Lubin (Chahnour Kerestedjian, 1903-1974): "In der gespaltenen armenischen Community ist er ein Demokrat, Antikommunist, Antiklerikaler und Feind der Gewalt. In einem auf Armenisch verfassten Werk 'Rückzug ohne Fanfaren' kritisiert er die Tradition und zeichnet ein grausames Porträt seiner Leidensgenossen, die er als passiv und weinerlich schildert. Überdies macht er die Väter, die 'versagt haben', für den Genozid verantwortlich… Leicht verständlich, dass er schnell als 'Nihilist' betrachtet wird. Und er versucht sich in die französische Gesellschaft zu integrieren, spricht von den Millionen Francs, die seine schlechte Gesundheit die Franzosen gekostet hätten. Seine Lyrik schreibt er auf Französisch unter seinem Künstlernamen Armen Lubin. So teilt er sein Werk in ein französisch und armenisch Geschriebenes auf, das er nicht übersetzt sehen will."

Auszug aus einem Gedicht über das Exil:
(...) C'était un exilé, et j'en connais de toutes sortes,
Ils ont tous, derrière eux, fermé une porte
Cette porte n'est visible qu'une fois franchie. (...)

("Er war ein Exilant, ich kenne alle Arten,
Sie haben alle hinter sich eine Tür geschlossen.
Diese Tür ist erst sichtbar nach Durchschreiten.")

Einige Informationen über seine Gedichte findet man auf Französisch hier.
Stichwörter: Armenien, Lubin, Armen, Genozide

Magyar Narancs (Ungarn), 01.10.2020

Anita Markó schreibt unter Bezugnahme auf den Literaturhistoriker István Margócsy über die Erscheinungsformen und Sprache der Armut in der zeitgenössischen ungarischen Prosa, die zur Zeit der Wende vom 20. zum 21. Jahrhunderts neue Darstellungsformen gefunden habe: "Romane von László Krasznahorkai (1985), Ádám Bodor (1992), Szilárd Borbély, László Szilasi und Tibor Noé Kiss (je 2014) gehen prinzipiell von der Unerlösbarkeit der Welt der Armut und von der Armut der Welt aus und stoßen wiederholt an diese Unerlösbarkeit. Diese Bücher zeigen die Armut nicht als positive, zusammenhaltende und die Gemeinschaft der Armut erhaltende Kraft, sondern im Gegenteil: sie behaupten, dass diese Welt jeden mit Zwang gefangen hält, der einmal mit ihr in Berührung kam. Doch es ist sehr wichtig zu betonen, dass es keine bestimmbare oder vorstellbare Form der Sprache über Armut gibt. Die Bücher über Armut der letzten Jahre unterscheiden sich literarisch und rhetorisch enorm voneinander, so sind sie auch kaum vergleichbar, denn außer der thematischen Berührung, gibt es zwischen ihnen keine literaturhistorische Beziehung. (...) Ebenfalls ist es aber auch wichtig zu sehen, dass Schriftsteller aus Ungarn über die Armut in Ungarn schreiben, während diese ein weltweites Phänomen ist und es ist absolut relativ, wo jenes existentielle Niveau in welchem Land liegt, das von der jeweiligen Gesellschaft für arm gehalten wird bzw. wie die Armen selbst dies erleben."
Archiv: Magyar Narancs

Marianne (Frankreich), 03.11.2020

Pierre-André Taguieff ist ein großer Spezialist für die Geschichte des Antisemitismus. In seinem Buch "La Judéophobie des modernes" legte er die Wurzeln des modernen Antisemitismus in der extremen Rechten und Linken des 19. Jahrhunderts offen. In Marianne schreibt er über die große Rolle, die die "Protokolle der Weisen von Zion" für Adolf Hitler spielten, der sich das Machwerk schon gleich nach dem Ersten Weltkrieg zu eigen macht. Taguieff beschreibt am Beispiel der "Protokolle" sehr schön, wie die Logik von Verschwörungstheorien funktioniert: Schon "im August 1921 legt der britische Journalist Philip Graves in der Times dar, dass die 'Protokolle' eine Fälschung sind. Aber das ändert für Hitler und die Naziführers nichts an ihrem Glauben, dass das Dokument die Existenz der 'jüdischen Gefahr' beweise. Ob in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Italien - die Gegenargumentation der Verteidiger der Echtheit der Protokolle ist schlicht und funktioniert wie ein Argument 'ad hominem': Je heftiger die Juden, diese 'Großmeister der Lüge', das Dokument als Fälschung anklagen, desto mehr bestätigen sie, dass es echt ist. Ein schönes Beispiel für einen Denkfehler, der als 'Bestätigungsfehler' oder 'confirmation bias' bezeichnet wird."
Archiv: Marianne

New Yorker (USA), 09.11.2020

In einem Artikel des aktuellen Hefts berichtet Ronan Farrow, wie die C.I.A. mit Whistleblowern umgeht, die die desaströsen Praktiken der Behörde aufdecken: "Staatsanwalt Mark McConnell hatte eine 'kriminelle Verschwörung' von C.I.A. und F.B.I. aufgedeckt. Jedes Jahr führten Einträge in die 'Helios'-Datenbank (zur Identifizierung von Drogenschmugglern, d. Red.) zu Hunderten Festnahmen und Verurteilungen. Die Einträge werden üblicherweise von der Drogenvollzugsbehörde, dem F.B.I. und einer Abteilung des Ministeriums für Innere Sicherheit vorgenommen. Aber McConnell fand heraus, dass über hundert Einträge, die mit dem Label F.B.I. versehen waren, eigentlich aus einem geheimen Überwachungsprogramm der C.I.A. stammten. Er erkannte, dass F.B.I. und C.I.A. jenseits aller Grundsätze und Gesetze gehandelt und der Staatsanwaltschaft wie auch den Anwälten der Verteidigung die Informationsquelle vorenthalten hatten. Dergleichen wird auch als Waschen geheimdienstlicher Informationen bezeichnet. In den 1970ern, als herauskam, dass CIA-Agenten an unwissenden Bürgern und Vietnam-Gegnern LSD-Experimente verübt hatten, gab es Restriktionen, die der CIA verboten, sich in Strafverfolgungsangelegenheiten einzumischen. Seit Gründung der USA wurde es Richtern, Juroren und Verteidigern zugestanden, über gerichtliche Beweisquellen informiert zu sein. 'Hier handelt es sich unbekannte Informationen von einer international tätigen Behörde mit eigenen Regeln und Standards', so Nancy Gertner, ehemalige Bundesrichterin und Professorin an der Rechtsfakultät in Havard. 'Das sollte alle Trump-Wähler aufschrecken, die immer vom Staat im Staat sprechen. Das ist der wahre Staat im Staat! Das sind Aktivitäten hinter unserem Rücken, die das Geschehen in unseren Gerichten fundamental berühren.'"

Außerdem: Jane Mayer zeichnet ein düsteres Bild der juristischen Folgen, die Donald Trump im Falle seiner Abwahl befürchten müsste. James Somers erkundet das Raffinement, mit dem das Coronavirus unser Immunsystem attackiert. James Wood liest das Buch der Anthropologin T.M. Luhrman, "When God Talks Back". Amy Davidson Sorkin erfährt aus David Nasaws Buch "The Last Million", mit welchen Repressalien jüdische Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Heimatländern zu kämpfen hatten. Anthony Lane sah im Kino Thomas Bezuchas Western "Let him go". Und Carrie Battan hört das neue Album der israelischen Metalband Salem.

Hörprobe anyone?

Archiv: New Yorker