9punkt - Die Debattenrundschau

Keine Angst vor der Nato

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.12.2014. Der moskaufreundliche Aufruf deutscher Elder Statesmen und Artists wird in SZ und FAZ kritisiert. Chinesische Dissidenten greifen laut Telegraph Mark Zuckerberg an, der sich an Xi Jinping ranschmeißt, um endlich auch in China zugelassen zu werden. Die NZZ ist beeindruckt vom Jüdischen Museum in Warschau, beklagt aber Überinszenierung. Cory Doctorow kritisiert in Boingboing Zensur im britischen Netz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.12.2014 finden Sie hier

Internet

(Via Spiegel Online) Mark Zuckerberg ist von chinesischen Dissidenten heftig kritisiert worden, nachdem der Facebook-Gründer, der fleißig Chinesisch lernt und für eine Zulassung von Facebook in China kämpft, ein Buch des großen Staatslenkers Xi Jinping gelobt hatte, berichtet Tom Phillips im Telegraph: "Hu Jia, einer der bekanntesten chinesischen Dissidenten, schilderte "Enttäuschung und Ärger" der Aktivisten angesichts der Anbiederei des Facebook-Chefs bei einer Regierung, die ihren Bürgern Meinungsfreiheit bestreitet und eine wütende Kampagne gegen ihre Kritiker führt. "Zuckerberg ist ein Internetgenie. Aber sein Verständnis der chinesischen Politik ist das eines Dreijährigen, nicht eines Dreißigjährigen", sagt Hu."

Die Hachette-Idee, dass Bestsellerautoren mit starker Gefolgschaft auf Twitter ihre Bücher dort direkt und unter Umgehung von Amazon verkaufen, könnte ziemlich genial sein, meint Wieland Freund in der Welt: "Ob es so kommt, soll, wie Hachette mitteilt, in diesem Monat ein Experiment zeigen: Zunächst schicken Hachette und Gumroad .. den Ex-Astronauten und YouTube-Performer Chris Hadfield (1,2 Millionen Follower) und ein Buch des Satire-Magazins The Onion (6,6 Millionen Follower) ins Rennen und testet das neue Direktkauf-Projekt. Niemand dürfte das Experiment aufmerksamer beobachten als der Internethändler Amazon."

Cory Doctorow beklagt in Boingboing Zensur im britischen Netz, die jetzt dazu geführt hat, dass man einen Bericht über britische Verwicklung in Folterpraktiken nicht lesen kann, wenn man die Einstellungen "für Jugendschutz" angekreuzt hat: "Thanks to the bullying of UK PM David Cameron, everyone who signs up for an Internet account is asked "Would you like to keep "adult content" blocked on this connection?"" It"s a misleading question. A more accurate version is "Would you like an unnamed third party company to use a secret, arbitrary, ever-changing blacklist to spy on all your clicks and decide which ones are and are not allowed to get through?" Like China"s Great Firewall, the UK firewall is a patchwork of rules and filters that are opaque to users and regulators."
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Europa

Den Unterzeichnern des moskaufreundlichen Aufrufs (unser Resümee) erklärt Julian Hans in der SZ, dass die Russen bis zum Start von Putins antiwestlicher Kampagne keine Angst vor der Nato hatten, sondern vor Armut, Umweltkatastrophen und Kulturverfall: "Angst vor dem Westen also? Nein. Aber doch wachsende Feindschaft. Vor zehn Jahren nannten in einer Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts 41 Prozent der Befragten das Verhältnis zu den USA "normal und entspannt", elf Prozent bezeichneten es als "freundschaftlich". Es war das Jahr der großen Nato-Osterweiterung, als die drei baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien aufgenommen wurden."

In der FAZ schreibt der Osteuropa-Historiker Bert Hoppe zu dem Aufruf: "Dass der Aufruf die Ukraine fast vollständig ausblendet, ist keine bloße Ungenauigkeit. Es zeugt davon, dass die Autoren auf der Grundlage einer völlig veralteten mental map argumentieren. "

Markus Bauer berichtet in der NZZ von einem Gerichtsentscheid, der in der Berichterstattung über frühere Securitate-Spitzel in Rumänien enge Grenzen zieht.

In Frankreich ist die Stimmung gegenüber Deutschland freundlich gesagt nicht immer freundlich. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon diskutierte neulich auf France 2 mit der CDU-Politikerin Ingeborg Grässle und nannte sie daraufhin in seinem Blog eine "Caricature de boche". Schon vorher schickte er ein Tweet an Bundeskanzlerin Angela Merkel:

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Politik

Die NY Times entnimmt dem Senatsbericht zu den Folterpraktiken unter George Bush, dass die CIA damit keinerlei Erkenntnisse von den Gefangenen bekam. Auch die Behauptungen, ohne verschärfte Verhöre wäre Osama bin Laden nie gefunden worden, sind Humbug: "Zu keinem Zeitpunkt erbrachte das Folterprogramm einen Hinweis, der einen Terrorakt verhindert hat, erklärt der Bericht. Jede Information, die die CIA dem Programm zuschrieb, hat sie vor den brutalen Verhören erhalten, kam aus anderen Quellen oder war von den Folteropfern erfunden - eine Einsicht, die die CIA schon einmal vor langer Zeit gehabt hatte."

In ihrem Leitartikel kritisiert die NY Times allerdings auch Barack Obama: "Die Litanei der Brutalität, Ungesetzlichkeit und Verantwortungslosigkeit erinnert einmal mehr daran, welch schreckliche Entscheidung Präsident Obama zum Beginn seiner Amtszeit traf, als er die Akten zu diesem Kapitel unserer Geschichte schloss, selbst wenn er den Gebrauch der Folter ablehnte."

Weitere Artikel: Orhan Pamuk hat laut Welt in Hürriyet scharfe Kritik am türkischen Premierminister Erdogan geäußert: ""Die Meinungsfreiheit ist auf ein sehr niedriges Niveau gefallen." Der Schriftsteller kritisierte den zunehmenden Druck auf die Medien, der zur Entlassung kritischer Journalisten führe." Im Aufmacher des FAZ-Feuilletons fragt Patrick Bahners: "Warum wirkt Präsident Obama bei seiner Ansprache zum amerikanischen Rassismus nur so verdruckst?"
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Geschichte

Sehr beeindruckt ist Andreas Breitenstein vom neuen Museum für die Geschichte der polnischen Juden in Warschau, vor allem dass Polin als jahrhundertealte Heimat der Juden endlich ins rechte Licht gerückt wird, imponiert ihm. Aber er hat auch Kritik an der Ausstellung anzubringen: "Der Blick wird nicht geführt, sondern verzettelt sich in der Überfülle der Inszenierungen. Selbst wenn nach 1900 die Originale dichter und aussagekräftiger werden, will es mit der Staffage kein Ende haben. So hat man in Disney-Manier eine gepflasterte jüdische Straße um 1930 nachgebaut."

Im Blog der NYRB berichtet Shelley Salamensky dazu von einem Ausflug in den Südosten Polen, ins einst überwiegend jüdische Galizien, wo die Botschaft der Toleranz, die vom Museum ausgehen soll, noch nicht ganz angekommen ist: "In einer mittleren Stadt nahe Sanok kam ich in einem Café mit einer Gruppe Polen mittleren Alters ins Gespräch. Sie erklärten allen Ernstes, dass Polen heute so arm sei, weil "ihnen die Juden alles Geld gestohlen hatten"."

Klaus Hillenbrand besucht für die taz die Ausstellung "Deutschland 1945" in der Topografie des Terrors, die zeigt, wie das NS-Regime seinen Terror in den letzten Kriegsmonaten noch auf seine eigenen Anhänger ausweitete: "Tausende Menschen fielen in den letzten Kriegsmonaten Standgerichten zum Opfer. Zehntausende starben in zu "Festungen" erklärten Städten wie in Breslau oder bei sinnfreien Kommandoaktionen der Wehrmacht. Man musste kein Widerstandskämpfer gewesen sein, um zu hängen."
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Medien

Jürgen Kaube also ist es, der "in den Kreis der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung " eintritt, denn so georgehaft drückt man das bei dieser Zeitung aus. Die Kollegen gratulieren brav. Turi2 verlinkt und erwartet sich wie Gustav Seibt in der SZ eine "neue Sachlichkeit", die sich laut Seibt allerdings so manifestiert: "Wenn er ein Buch zerreißt, wächst kein Gras mehr." Dirk Knipphals findet dagegen in der taz: "Wie Jürgen Kaube sich vor einigen Monaten mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff beschäftigte, war intellektuell ziemlich elegant." In der NZZ macht Joachim Güntner klar: "Jürgen Kaube wird kein zweiter Frank Schirrmacher werden."

Die NZZ meldet unterdessen: "Mit großem Bedauern haben wir bekanntzugeben, dass Markus Spillmann, Leiter Publizistik und Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, per Ende Jahr von seinen Funktionen zurücktritt."
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