Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.03.2007. Nur Feigheit motiviert bei manchen Intellektuellen die Bewunderung für Christian Klar, meint Peter Schneider in der Welt. Die taz fragt: Ist Comedy rechts? Die FAZ staunt über die Chinesen, die mit leninistischen Methoden einen Schutz des Eigentums einführen. Die NZZ ringt  im Privatarchiv des Hermann-Hesse-Herausgebers Volker Michels um Fassung. Die Berliner Zeitung bringt die Tagebuchaufzeichnungen von Saad Eskander, des Direktors der Irakischen Nationalbibliothek.

Welt, 19.03.2007

Peter Schneider wendet sich im Gespräch mit Richard Herzinger gegen jene Intellektuellen, die die "teutonische Konsequenz" Christian Klars bewundern: "Intellektuelle wie Claus Peymann sind Verbal-Revoluzzer. Peymann lebt glänzend vom subventionierten Kulturbetrieb, geriert sich aber als einsamer Wolf im kapitalistischen Dschungel - als letzter Radikaler (mit Managergehalt). Es gibt immer noch merkwürdige Sympathien bei der Linken, die aus dem eigenen Gefühl der Feigheit und Ohnmacht stammen. Was man selber nicht fertig bringt, projiziert man auf die 'Tatmenschen' der RAF und mythologisiert sie dann."

Im Aufmacher des Kulturteils weist Sven F. Kellerhoff auf auf einen Fernsehfilm über den Troja-Entdecker Schliemann und ein nachgelassenes Buch des Troja-Forschers Manfred Korfmann hin. Tilman Krause erinnert an Hans Mayer, der heute hundert Jahre alt geworden wäre. Klaus Geitel schreibt zum Tod des Tenors Ernst Haefliger. Stefan Keim macht in der Leitglosse klar, dass er Christoph Dammann als Intendanten der Kölner Oper nicht vermissen wird - Dammann wurde nach Lissabon berufen. Hanns-Georg Rodek unterhält sich mit dem Regisseur Stefan Ruzowitzky über seinen Film "Die Fälscher", der auf der Berlinale lief und für viele Filmpreise nominiert ist.

Besprochen wird die Ausstellung "Berlin um 1800" in der Alten Nationalgalerie, neue Operetteninszenierungen in München und Nordhausen, eine Tony-Cragg-Ausstellung in Wuppertal und in Berlin gastierende französische Theaterinszenierungen.

Verwiesen wird auf die morgen weltweit stattfindenden Lesungen aus dem Werk Anna Politkowskajas (mehr hier).

TAZ, 19.03.2007

In der zweiten taz stellt das österreichische Satirikerduo Stermann und Grissemann im Interview eine interessante These zu deutschen Comedians auf. "Comedy ist in Wahrheit total rechts. Mario Barth ist - wenn überhaupt politisch - dann rechts. So etwas hat nichts mit Aufklärung zu tun oder Solidarität. Da geht es um Ausgrenzung, darum, sich selbst zu überhöhen und andere niederzumachen. Die Comedians nehmen selbst für sich in Anspruch, 'Normalität' zu repräsentieren, und 'Normalität' ist immer rechts. Männer sind so, Frauen können nicht Auto fahren - so haben unsere Eltern geredet."

Im Kulturteil berichtet Regine Müller, wie Schüler aus vier Bochumer Hauptschulen Philip Ridleys Stück "Sparkleshark" auf die Bühne gebracht haben. Ines Kappert kommentiert den neuen Beitrag der irakischen Bloggerin riverbend, in dem diese auch das ethnische Proporzsystem der Regierung kritisiert. Julian Weber stellt die neuen Platten der Veteranen von den Stooges, Zimmermännern und Flowerpornoes vor.

Im Medienteil erfährt Steffen Grimberg auf einer Tagung in Tutzing, dass sich vor allem Unterhaltungsserien im Fernsehen mit Integrationsthemen beschäftigen. Daniel Bax stellt das neueste Beispiel dazu vor, die Doku-Soap "Starke Herzen" über drei deutsch-türkische Paare.

Und Tom.

FR, 19.03.2007

Antje Hildebrandt weist auf die Aktionswoche des Jüdischen Museums in Berlin hin, die den Völkermord in Darfur anprangert. Michael Kohler resümiert Auftritte von Jonathan Franzen, Louis Begley und Fritz J. Raddatz auf der nun beendeten lit.cologne. Ina Hartwig erinnert an den Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der vor hundert Jahren geboren wurde. Christian Schlüter nimmt Martin Walser in einer Times mager die angebliche "Vekrampftheit" gegenüber Ignatz Bubis nicht ganz ab. Jan Freitag verkrampft sich dagegen sichtlich bei der gehaltvollen ZDF-Verfilmung von Walsers Roman "Ohne einander".

FAZ, 19.03.2007

Mark Siemons kommentiert das beinahe revolutionäre Gesetz zum Schutz des Eigentums, das jetzt in China verabschiedet wurde: "Doch allein dies, dass in einem kommunistischen Land das kollektive Eigentum ausdrücklich vom Gesetz 'geschützt' wird, zeigt mehr als alles andere, dass der Staat jetzt vom Kopf auf die Füße gestellt worden ist: Zuvor war dieses Eigentum ja mit der Staatsmacht verschmolzen und bedurfte eines solchen Schutzes nicht. Es gehört freilich zu den fortdauernden chinesischen Widersprüchen, dass auch dieses antileninistische Projekt am Ende mit leninistischen Methoden durchgedrückt wurde: Die Medien wurden angewiesen, nicht weiter über die linke Kritik an dem Vorhaben zu berichten, damit es unter den Delegierten des Volkskongresses nicht etwa noch zu unliebsamen Überraschungen kommt."

Weitere Artikel: Im Interview spricht der polnische Botschafter Marek Prawda über die nicht ganz einfache Situation seines Landes: "Wir befinden uns gerade in einer Phase, in welcher wir uns von einer Spielwiese fremder Interessen zum 'Player'entwickeln." Oliver Jungen war dabei, als Hape Kerkeling bei der lit.Cologne auf einer Schiffstour sein filmartiges Hörbuch "Ein Mann, ein Fjord!" vortragenderweise vorstellte. Andreas Platthaus berichtet vom letzten Abend der sich über dreizehn Jahre erstreckenden Frankfurter Proust-Lesung von Peter Heusch. In der Glosse fragt sich "kung", was es mit der Forderung auf sich hat, die Library of Congress möge in Zukunft auch Computerspiele in ihren Bestand aufnehmen. Wolfgang Sandner schreibt den Nachruf auf den Schweizer Tenor Ernst Haefliger, Manfred Schneckenburger den auf den Kunstkritiker, Ästhetikprofessor und Poeten Georg Jappe.

Auf der letzten Seite porträtiert Michael Althen die nun für ihre Rolle im Film "Vier Minuten" als beste Hauptdarstellerin für den deutschen Filmpreis nominierte Hannah Herzsprung. Martin Wittmann hat die mit ihrem Kriminalroman "Tannöd" zur allgemeinen Verblüffung zur Bestseller-Autorin gewordene Andrea Maria Schenkel im oberpfälzischen Pollenried besucht. Jürg Altwegg erinnert an den vor zehn Jahren verstorbenen Historiker Francois Furet.

Besprochen werden eine Aufführung von Richard Strauss' wenig gespielter Oper "Die ägyptische Helena" an der New Yorker Met, eine Ausstellung mit Kinderzeichnungen aus Darfur im Jüdischen Museum Berlin, eine Ausstellung mit Skulpturen von Tony Cragg in Duisburg, ein Konzert der Band "Virginia Jetzt!" in Köln, die Weimarer Uraufführung von Tine Rahel Völckers "Die Höhle vor der Stadt" und Bücher, darunter eine Jimi-Hendrix-Biografie und Bernard-Henri Levys Reportage-Buch (Leseprobe hier) "American Vertigo" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages).

NZZ, 19.03.2007

Roman Bucheli schreibt ein wunderhübsches Porträt über Volker Michels, den Hesse-Herausgeber, der seine für den Verlag durchaus profitable Obsession auch in einem mit Dokumenten vollgestopften Privatarchiv in Offenbach pflegt - und vollgestopft scheint nur eine schwache Beschreibung: "Man schaut und staunt und verstummt - und sieht dazwischen: den Hausherrn, Volker Michels, seit weit über dreißig Jahren Herausgeber der Werke Hermann Hesses, wie er fast ein wenig verlegen auf sein Lebenswerk zeigt, unschlüssig, ob er sich rechtfertigen, entschuldigen oder erklären soll, denn auch ihm ist nicht entgangen, dass der Besucher überwältigt, um nicht zu sagen: ein wenig verstört herumsteht und nach Fassung ringt."

Kurt Malisch schreibt zum Tod des Tenors Ernst Haefliger. Manfred Koch gedenkt zum hunderstem Geburtstag des Literaturwissenschaftlers Hans Mayers. Urs Hafner verfolgte die ersten Schweizerischen Geschichtstage in Bern. Besprochen werden ein Konzert Maria Joao Pires' in Zürich, die Dior-Ausstellung in Berlin, und ein Konzert des Orquestra de Sao Paulo in Zürich.

Berliner Zeitung, 19.03.2007

Hier noch ein Artikel vom Samstag, den wir leider übersehen haben: die Tagebuchaufzeichnungen von Saad Eskander, des Direktors der Irakischen Nationalbibliothek: "Donnerstag, 1. Februar. Eine Bombe explodierte nur 200 Meter von der Nationalbibliothek entfernt. Dabei wurden Zivilisten verletzt und getötet. Samstag, 3. Februar. Einer der blutigsten Tage Bagdads. Ein Lastwagen explodierte im Stadtteil Al-Sadriya. 250 Menschen wurden verletzt und mehr als 150 getötet. Auch ein Bibliotheksangestellter wurde schwer verletzt, ein anderer verlor seinen Cousin. Sonntag, 4. Februar. Noch ein schlimmer Tag. Um 11.15 Uhr erschütterte eine heftige Explosion das Bibliotheksgebäude. Montag, 5. Februar. Ich fuhr ins Energieministerium, um die INLA von geplanten Stromkürzungen ausnehmen zu lassen (das hieße nur noch 2-3 Stunden Strom am Tag). Ich erfuhr, dass die INLA nur noch bis Mitte Februar täglich sechs Stunden Strom bezieht. Um 12 Uhr hörte ich, dass ein Bruder von Frau K. ermordet wurde. Frau K. arbeitet in der Katalog-Abteilung. Kurz nach meiner Heimkehr explodierte eine Bombe in der al-Mustabseriya-Straße, die ich und meine Mitarbeiter täglich benutzen. Um 14 Uhr griff eine Gruppe Bewaffneter mein Wohnviertel an, tötete und verletzte wahllos viele Unschuldige." (hier online und Eskanders Tagebuch ist zu lesen auf den Seiten der British Library.)

SZ, 19.03.2007

Johannes Willms resümiert ein Interview mit dem französischen Historiker Pierre Nora in Le Monde, in dem dieser seine Landsleute darauf hingewiesen hat, dass die Immigranten das Identitätsproblem Frankreichs zwar bloßstellen, aber nicht verursachen. "Die überkommene Identität des Landes sei immer stark mit dem Krieg verknüpft gewesen. Der Friede habe in vieler Hinsicht die Lebensweise des Landes tief verändert, weshalb ihm jetzt die tradierten Formen seiner Selbstvergewisserung nicht mehr gemäß seien, aber es dafür noch keine neue Gussform gefunden habe. Allein in diesem Zusammenhang sei die neue Immigrationswelle ein Element zusätzlicher Irritationen, weil es angesichts jenes krisenhaft verlaufenden Veränderungsprozesses besonders schwer falle, diesen Zuzug mit den gesetzlichen und kulturellen Normen Frankreichs zu vermitteln."

Weitere Artikel: Bei Burkhard Müllers Stilskizze der ostdeutschen Städte darf eine Hommage an den Plattenbau nicht fehlen. Petra Steinberger registriert auf einem Münchner Podium zum Klimawandel eine merkwürdige Einstimmigkeit von Politik, Wirtschaft und Aktivisten. Das Los Angeles County Museum of Art erwägt, die architektonisch interessanten Häuser rund um die Stadt in die Sammlung zu holen, erwähnt Jörg Häntzschel. Wolfgang Schreiber verfasst den Nachruf auf den Tenor Ernst Haefliger. Dirk Peitz erklärt, warum die britische Band Klaxons mit ihrer selbst erfundenen Stilrichtung New Rave erfolgreich ist. Ingo Petz beobachtet, wie in Minsk die gescheiterten Demonstrationen vor einem Jahr künstlerisch verarbeitet werden.

Besprochen werden die Ausstellung "Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei" im Bucerius Kunst Forum Hamburg, die Aufführung von Claus Guths Operettenpasticchio "In mir klingt ein Lied" zur Geschichte des Gärtnerplatztheaters in München, Filme zur Homosexualität von Veit Harlan und Richard Oswald auf DVD und Bücher, darunter die von Mark Lehmstedt herausgegebenen Briefe des Literaturwissenschaftler Hans Mayer aus den Jahren 1948-1963 sowie Jean-Philippe Toussaints Roman "Fliehen" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).