Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.08.2001.

FR, 27.08.2001

Udo Feist liefert einen Überblick über die deutsche Reggae-Szene. Elke Buhr hat eine Ausstellung über aktuelle Videokunst im Kasseler Fridericianum gesehen. Peter W. Jansen schreibt zum Tod von Philippe Leotard.

SZ, 27.08.2001

Tony Judt, einer der besten amerikanischen Frankreich-Historiker fürchtet, dass "Amerika und Europa einander fremd werden". "Ein Grund für die europäischen Ängste ist das rasche Dahinschwinden einer Illusion, die für den Kalten Krieg konstituierend war ? dass nämlich die USA und Westeuropa in allen wesentlichen Dingen eine grundsätzlich ähnliche Sichtweise haben. Das war jedoch nie so. Abgesehen von der gebildeten Elite hatte sich die amerikanische Gesellschaft Mitte des 20. Jahrhunderts schon sehr weit von ihren europäischen Wurzeln entfernt."

Thomas Steinfeld freut sich: Michel Houellebecq hat einen neuen Roman geschrieben und damit die Literaturwelt genarrt, die schon glaubte, er sei ausgeschrieben. "Als dann die Nachricht kam, er sei in Bangkok, auf Kuba oder an den Stränden von Thailand, vermuteten nicht wenige, man werde nie wieder ein Buch von Michel Houellebecq zu Gesicht bekommen. Jetzt ist nachzulesen, was er dort wirklich gemacht hat: In der Bar unter Palmen schien ein Mann mit Echsengesicht zu sitzen und zu trinken, aber in Wahrheit arbeitete dort ein Sträfling in den Steinbrüchen des großen abendländischen Unglücks." Mehr zu Houellebecq erzählen wir in der Magazinrundschau.

Weitere Artikel: "aceh" schreibt zum Unfalltod der 22jährigen Soulsängerin Aaliyah und Fritz Göttler zum Tod von Philippe Leotard. Lothar Müller hat den Feiern zur Aufnahme der Wörlitzer Gartenanlagen ins Weltkulturerbe beigewohnt. Andrian Kreye berichtet von den X-Games, der Olympiade der Fun-Sportarten. Alexander Schmidt erzählt, wie die lettische Hauptstadt Riga ihr achthundertjähriges Bestehen beging. Und Thomas Venter hat sich mit Björk über ihr neues Album unterhalten. "Ich bin romantisch veranlagt", sagt sie, "ich versuche, in meiner Musik das Abstrakte und das Narrative zu verbinden."

Besprochen werden Konzerte mit Pollini, Barnboim und Vladar in Salzburg, Christoph Schuchs Film-Hommage an die Band "Ton Steine Scherben" und neue Stücke beim Internationalen Festival in Edinburgh.

TAZ, 27.08.2001

Gabriele-Goettle-Tag in der taz. Die berühmte Reporterin liefert ein Porträt der jungen Gen-Ethikerin Silja Samerski, aber gleich auch ihre Meinung zum Thema: "Hinter dem betulichen Anschein friedlicher Nutzung der Gentechnologie steckt der altbekannte Vulgärdarwinismus, die Fantasien von Zucht und Züchtung, Auslese und Ausmerze, der Selektions- und gentechnologische Reproduktionswahn der Wissenschaftler, neu bemäntelt mit der Verheißung, Pflanze, Vieh und Mensch schadensresistent und kompatibel zu machen."

FAZ, 27.08.2001

Julia Spinola hatte das Privileg, Martha Argerich in ihrem Wiesbadener Konzert mit Prokofjews Drittem Klavierkonzert zu hören und fand: "Die Zeiten, da man glaubte, der argentinischen Pianistin vorwerfen zu müssen, unter ihren Fingern verwandle sich alle Musik unversehens in eine Toccata, sind lang vorbei. Martha Argerich lässt zwar das Kopfthema des Schlusssatzes in metallisch blitzender Härte erstrahlen, entlockt dem Flügel, wo die Musik es verlangt, aber auch völlig andere, milchig-weiche oder gläserne Klänge, lässt ihr Zeit und viel Atem in differenziert phrasierten Kantilenen."

Christoph Albrecht prüft die unter Linken und Rechten verbreitete Verschwörungsthese, die Nato greife nur deshalb in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien ein, weil sie kaspisches Öl durch diese Länder leiten wolle. Sie hält nicht stand, denn das kaspische Öl ist zu wenig und zu teuer. Stattdessen erwägt Albrecht folgende Alternative: "Russland den Export seines Erdöls zu erschweren ist zwar politisch und wirtschaftlich sinnlos. Aber es könnte eine ökologische Verschwörung dahinterstecken: Weniger russisches Erdöl auf dem Markt bedeutet höhere Benzinpreise und damit geringeren Verbrauch und somit Schonung der Umwelt . . . Aber so hinterlistig ist bestimmt nicht einmal Außenminister Fischer..."

Jörg Thomann stellt anlässlich der Internationalen Funkausstellung in Berlin ernste Fragen über die kommende Interaktivität des digitalen Fernsehens: "Nun aber sieht man beim IFA-Rundgang überall Menschen in Fernsehsesseln sitzen, die sich, eine Tastatur auf dem Schoß, durch die Menüs hindurchkämpfen, die der moderne Fernseher ihnen serviert. So können sie etwa 'Schiffe versenken' spielen oder die Nachbarin via E-Mail fragen, ob sie zufällig gerade dieselbe Sendung sieht. Die Frage ist nur: Wollen sie das auch?" Nö, also wir zum Beispiel nicht.

Weitere Artikel: Christian Schwägerl plädiert für die Forschung mit adulten Stammzellen. Michael Gassmann hat dem Festakt zur Aufnahme der Wörlitzer Gärten ins Weltkulturerbe beigewohnt. Dietmar Dath verfolgt Debatten um wissenschaftliche Archive im Internet. Martin Kämpchen verteidigt das Engagement der indischen Autorin Arundhati Roy gegen den Staudamm von Narmada, das in indischen Medien jüngst kritisiert wurde. Arnold Paucker rät von leichtfertigen Urteilen über Leo Baeck ab, nachdem bekannt wurde, dass er sein Manuskript über die Rechtstellung der Juden auf Weisung der Gestapo schrieb. Bettina Erche schreibt über ein jugendliches Selbstbildnis Rembrandts ? das Original hängt in Nürnberg, wie sich jetzt herausstellte, in Den Haag nur die Kopie. Michael Allmaier schreibt zum Tod des heiligen Trinkers unter den französischen Schauspielern, Philippe Leotards. Freddy Langer schreibt zum Tod des Fotografen Wolf Strache. Georg Imdahl gratuliert dem Maler Roman Opalka zum Siebzigsten. Und Hans-Christof Kraus schreibt zum 225. Geburtstag des Verlegers Georg Andreas Reimer.

Besprochen wird ein Auftritt von Mikhail Baryshnikovs "White Oak Project" in Berlin.

NZZ, 27.08.2001

In einem Wiener Kaffeehausgespräch, das Paul Jandl mit Norbert Gstrein führte, erfahren wir, dass der Autor im Ötztal geboren wurde: "Bei Skirennen ist er 'immer ungefähr Achter' geworden. Gleich mehrere österreichische Katastrophen nagen an der Jugend des Schriftstellers: katholisches Internat und Fremdenverkehr, Tirol und seine Berge. 'Wie viele unserer Talente hätten wir zu erstaunlicher Größe in uns entwickeln können, wären wir nicht in Tirol geboren worden und aufgewachsen', zitiert Norbert Gstrein in seinem Roman 'Das Register' Thomas Bernhard."

Susanne Ostwald liefert uns eine Städtebild von New Orleans: "Neuerdings erlebt die Stadt nach vielen Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs einen beachtlichen Aufschwung, der sich aus ihrer einträglichsten Quelle speist und dieser gleichzeitig wieder zufließt: dem Tourismus, der im vergangenen Jahr eine Wachstumsrate von 23 Prozent aufwies und die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren gedrückt hat."

Weitere Artikel: B. N. Goswamy erzählt die Geschichte des indischen Volkskünstlers Jangarh Singh Shyam, der von einem japanischen Mäzen nach Japan eingeldaen wurde, um dort gegen ein geringes Entgelt sein Museum für Volkskunst zu bestücken und der sich dort vor Heimweh umbrachte. Hanno Helbling schreibt zum Tod des Theologen Herbert Haag und Peter W. Jansen zum Tod von Philippe Leotard. Besprochen werden Luigi Nonos "Prometeo" und Heiner Goebbels' "Prometheus" in Luzern und "Der eingebildete Kranke" in Bern.