Im Kino

Gefährliche Erinnerungen

Die Filmkolumne. Von Andrey Arnold, Thomas Groh
12.08.2015. Mohammad Rasoulofs "Manuscripts Don't Burn" erzählt von Morden an iranischen Oppositionellen und funktioniert zugleich als Paranoia-Thriller, Psychodrama und Mahnmal staatlicher Verbrechen. Guy Ritchies Remake der Agentenserie Codename U.N.C.L.E. zelebriert die Übersichtlichkeit und den Chic der Sechziger.

Der Iran wirkt in Mohammad Rasoulofs "Manuscripts Don"t Burn", als hätte Gott ihn vergessen. Bleierne Tristesse beschwert die Breitwandbilder verlassener Landstriche und lebloser Interieurs, durch die entgeisterte Gesichter spuken, gezeichnet von Müdigkeit, Kummer und Schmerz, verhaftet in Angst oder eiserner Überzeugung. Das ist kein Land für alte Männer, das ist kein Land für irgendwen. Dennoch leben hier Menschen: Auf der einen Seite drei abgehärmte Autoren und Intellektuelle, denen verbotene Wahrheiten und verdrängte Verbrechen unter den Nägeln brennen, auf der anderen die Schergen des Regimes, die sie zum Schweigen bringen sollen.

2010 wurde Rasoulof von den iranischen Behörden zusammen mit seinem Freund und Kollegen Jafar Panahi mit zwanzigjährigem Berufsverbot belegt. Sein Film, der heimlich entstand und 2013 für seine Europapremiere nach Cannes geschmuggelt werden konnte, ist ebenso wie die Werke Panahis eine Widerstandsgeste, aber es gibt wesentliche Unterschiede. Ohne die durchweg bemerkenswerten Arbeiten gegeneinander ausspielen zu wollen: "Manuscripts Don"t Burn" ist zugleich spezifischer und universeller als "This is not a Film", "Closed Curtain" oder "Taxi". Spezifischer, weil er sich als Mahnmal konkreter staatlicher Verbrechen präsentiert - der sogenannten "Kettenmorde" an iranischen Intellektuellen in den Neunzigern -, deren Reenactment aber in der Gegenwart angesiedelt ist. Universeller, weil seine Genre-Form zwischen Paranoia-Thriller und komplexem Psychodrama im Verbund mit der fast schon glatten Ästhetik und präzisen Bildsprache ihre niederschmetternde Kraft auch unabhängig vom politischen Kontext entfaltet. Wenn man nichts von den prekären Bedingungen wüsste, unter denen der Film entstanden ist, würde man sie ihm nicht anmerken.


Die unaufdringlich verschachtelte Erzählung lässt Tätern und Opfern in gleichem Maße Raum. Einer der beiden Auftragsmörder hat zu wenig Geld und einen kranken Sohn. Die Sorge um dessen Wohlbefinden stößt etwas in ihm an, das bei den kaltblütigen Operationen und seinem hartgesottenen Vorgesetzten fehl am Platz wirkt. Mehrfach sieht man ihn duschen oder sein Gesicht waschen. Dennoch verrichtet er seine Arbeit, ohne Fragen zu stellen, die Befehlsgewalt liegt für ihn unerreichbar im Off. Belastende Manuskripte müssen sichergestellt werden, sie bergen gefährliche Erinnerungen an ein missglücktes Attentat. Doch von deren Verwahrern scheint keine wirkliche Gefahr auszugehen: Sie sind in ihren überwachten Wohngefängnissen eingekesselt, körperlich und seelisch am Ende, noch bevor sie ins Visier der Geheimpolizei geraten. Einer sitzt im Rollstuhl und muss Windeln tragen, sein Dichterfreund hat die Ausweglosigkeit der Situation längst verinnerlicht.

Rasoulof inszeniert das langsame Ausbluten eines ohnehin schon anämischen Körpers. Das Staatsterror-Repertoire wird schonungslos aufgefächert: Überwachung, Einschüchterung, Manipulation, Entführung, Folter, Mord, angeordnet von einem Oberzensor, der früher selbst Dissident war, mit routinierter Gleichgültigkeit ausgeführt von seinen beiden Handlangern. Die fahren in ihrem silbergrauen Peugot 405 wie Installateure auf Abruf durch die Gegend, nehmen zwischendurch auch mal einen Imbiss zu sich und warten auf den nächsten Anruf vom Chef. Das Prosaische des Schreckens lässt an jüngeres rumänisches Kino denken. Was Verfolger und Verfolgte eint, sind Zigaretten und Medikamente. Man möchte die Schauspieler übrigens allesamt loben, aber ihre Namen bleiben aus naheliegenden Gründen geheim. Anstelle eines Abspanns steht ein klagendes Schwarzbild.

Nur in wenigen Momenten löst sich der Film von seiner fatalistischen Ausgangssituation. In einer berührenden Szene wäscht der Urheber des verfänglichen Manuskripts sein Telefon, mit dem er gerade seine im Pariser Exil lebende Tochter angerufen hat, in der Spüle ab. Anderswo verwandeln sich Dialoge über die Vergangenheit unmerklich in gespenstische Voice-Over und wieder zurück: Figuren sprechen, obwohl sie nicht mehr sprechen, ihre Worte verselbständigen sich. Vielleicht ist "Manuscripts Don"t Burn", dessen bloße Existenz das titelgebende Zitats aus Michail Bulgakows "Der Meister und Margerita" bestätigt, als zwangsläufiges Ergebnis seiner solchen Verselbständigung zu betrachten.

Andrey Arnold

Manuscripts Don"t Burn - Iran 2013 - OT: Dast-neveshtehaa nemisoosand - Regie: Mohammad Rasoulof - Laufzeit: 125 Minuten.

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Der Anfang ist famos: Gentleman-Spion und Ex-Dieb Napoleon Solo (Henry Cavill) auf CIA-Mission durch ein comicartig düsteres Ost-Berlin der 60er Jahre: Eine Automechanikerin Gaby (darf an ihrer deutschen Aussprache noch etwas arbeiten: Alicia Vikander), Tochter von Hitlers prominentestem Raketenforscher, soll unter allerlei gelenkigen Demonstrationen von Cool- und Savviness über die Mauer aus der Zone in den freien Westen bugsiert werden. Ebenfalls körperlich mobil und auf Draht: KGB-Agent Illya Kuriyakin (Armie Hammer), der diese Operation seinerseits verhindern soll. Es geht mit obsoleten DDR-Autos durch dunkle Straßen, es wird präzise geschossen, es gibt einfallsreiche Manöver und in nuce tricksen die beiden Weltmächte des Kalten Kriegs einander vermittels ihrer beider Repräsentanten eine Weile lang vor sorgfältig retro gestalteter Kulisse hübsch aus, bis der Westen dem Osten dann doch eine lange Nase dreht.

Gelungener Auftakt - so, wie man sich das von James Bond über Kommissar X bis zu Indiana Jones und schließlich auch den heutigen "Mission Impossible"-Filmen erwartet: Ein eröffnendes Set Piece, das erstmal Stimmung macht, die Tugenden der Helden vorführt, den Acker vorbereitet, der im folgenden bestellt werden soll. Nur dass die Ernte in diesem Fall reichlich sonderbar auf dem Feld zum Verdorren zurückgelassen wird: "Codename U.N.C.L.E.", eine lose am Original ausgerichtete Wiederauferstehung der bereits in den 60ern eher auf Amüsement, als auf Aufarbeitung der brisanten geopolitischen Lage setzende Agentenserie "Man from U.N.C.L.E." (in Deutschland: "Solo für O.N.C.E.L."), ist eine über weite Strecken recht zäh ihren Sixties-Chic ausstellende Angelegenheit, von einem - das Wortspiel muss leider sein - recht onkeligem Humor unterfüttert: Als hätte man die nervig-tantige Schmunzelei der späteren Roger-Moore-Bonds über das zeitgenössische Setting der Connery-Bonds ausgeschüttet, nachdem man mit Blick auf "Mad Men" im Fernsehen festgestellt hatte, dass 60s-Dekors derzeit gut ankommen.



Die beiden Agenten sowie die Automechanikerin, die weit mehr auf dem Kasten hat, als man einer Ost-Berliner Handwerkerin auf den ersten Blick zutrauen würde, treffen sich alsbald wieder - nun allerdings dazu gezwungen, zu dritt gemeinsame Sache zu machen: Eine Dritte Macht verlangt mit Nuklearsprengkopf-Gelüsten nach Aufmerksamkeit und droht, das zwar erbitterte, aber eben doch stabile Weltgefüge ein für allemal zu unterminieren. Was dieser Macht auch tatsächlich gelingen könnte, sofern die beiden Superagenten - westlich-hedonistischer, dandyesker Ennui mit Savoir-Vivre-Tendenz hier, bodenständig russische No-Nonsense-Attitüde dort - ihre professionellen, wie ideologischen und persönlichen Meinungsverschiedenheiten nicht in den Griff kriegen.

Dass Guy Ritchie, der vom britischen Underdog-Gangsterfilm kommt und zuletzt Sherlock Holmes multiplex-kompatibel gemacht hat, sich so sehr an der Naivität der 60s-Eurospy-Filme orientieren würde, war nicht zu erwarten. Ganze Heerscharen von Agenten und Spionen ließ das - nicht zuletzt italienische - Kino damals im Zuge von James Bond auf die Leinwände los - seinerzeit populäres Kintopp, dessen toll ins Kraut schießende Unbekümmertheit und Pulpiness die großen Bond-Blockbuster im Rückblick beinahe schon als geopolitisch sensible Übungen in narrativer Wahrscheinlichkeit erscheinen lassen, heute weitgehend in Vergessenheit geraten und vor allem eine Sache von Fans. Doch gerade der Versuch, mehr oder weniger nahtlos an diese Form naiven Kinos anzuschließen, wird für "Codename U.N.C.L.E." zum nicht unwesentlichen Problem: Ritchie positioniert seinen Film vor allem als, wenn auch gediegenen, Ausstattungsexzess, in dem zwei weltpolitische Kontrahenten auch in brenzligeren Situationen ein wenig rüffeln und raufen, den ganzen Kram, der sich da Kalter Krieg nennt, aber doch schon irgendwie gewuppt kriegen, flotte Sprüche und mal eben Brotzeit inklusive.

Mal abgesehen davon, dass die daraus resultierenden Gags auf sehr vorhersehbare Weise abgespult werden, ist das auch einfach Pastiche von seiner schlechtesten Seite: Eine Kitsch- und Klischeerevue, die sehr verzweifelt um die Gunst ihres Publikums buhlt - eine auf blanken Coffee-Table-Book-Wert zielende Abfolge hübscher, flüchtiger Bilder, die darüber ganz vergisst, dass sich das Produktionsdesign von "Mad Men" ja gerade nicht allein im schönen Glanz verlor, sondern auf sehr unnaive Weise von einem Zeitenwandel erzählte. Drastisch formuliert: Man kann Post-"Mad Men" nicht mehr ohne weiteres auf die 60er zurückgreifen, als hätte es zwischen zeitgenössischem Agenten-Fluff aus dem TV-Vorabend und der heutigen Medienrealität keine weiteren Etappen mehr gegeben.

Auch handwerklich kommt "Codename U.N.C.L.E." an die Qualität der ersten Sequenz kaum noch mal heran. Immerhin nicht weit davon entfernt ist allerdings eine schöne Verfolgungsjagd gegen Ende, in der die an verschiedenen Orten auf einer Insel einander haschenden Protagonisten immer wieder GoogleMaps-artig aus einem Überblickspanorama herausgezoomt, isoliert und neu kontextualisiert werden: Die Sequenz bleibt hinter den Möglichkeiten einer solchen Darstellung schlussendlich zurück, doch die Idee ist es wert, noch weiter elaboriert und verfeinert zu werden. Ein Sequel wird vom Epilog ohnehin sehr nahegelegt: Davon also bitte mehr.

Immerhin interessant ist aber doch, wie sich das Kino angesichts der Krimkrise, der zunehmenden Entzweiung zwischen dem Westen und Russland, der angespannten Lage im Nahen Osten und einem China, das seine Position im weltpolitischen Machtgefüge selbstbewusst besetzt und einfordert, sich nach der Übersichtlichkeit des Kalten Krieges zurücksehnt: Im Thriller "Kind 44" (nach Tom Rob Smiths Bestseller) fetischisierte das Kino den imperialen Gestus des Sowjetregimes vor kurzem geradezu und verliebte sich nicht unwesentlich in die Tristesse entlegener russischer Fabriken und Arbeitersiedlungen, in den Schnitt und Zack eindeutiger Befehlshierarchien und die historische Gravitas gedämpft unglamouröser Funktionärbüros. Eine ganz sonderbare Melancholie durchzog diesen Film: Seht nur, was für einen tollen Gegner wir da verloren haben. "Codename U.N.C.L.E." operiert zwar in einem anderen Register des Kinobetriebs, arbeitet aber seinerseits beträchtlich an der Verkitschung der einstigen, brisanten Lage: Die Melancholie weicht hier einer ekstatischen Affirmation. Eigentlich war der Russe doch ein prima Kumpel damals - wirr in seinen Ansichten, aber berechenbar, und schon auch ein bisschen zum Verlieben. Das gibt"s nur einmal, das kommt nicht wieder, meint man den Film beinahe singen zu hören.

Thomas Groh

The Man from U.N.C.L.E. - USA 2015 - Regie: Guy Ritchie - Darsteller: Henry Cavill, Armie Hammer, Alicia Vikander, Elizabeth Debicki, Luca Calvani, Sylvester Groth, Jared Harris, Christian Berkel - Laufzeit: 116 Minuten.