Im Kino

Radikale Unversöhntheit

Die Filmkolumne. Von Nikolaus Perneczky
28.12.2022. Das Festival des unabhängigen amerikanischen Kinos, "Unknown Pleasures", zeigt in einer Werkschau des deutsch-jüdischen Filmemachers Michael Roemer dessen Spielfilmdebüt "Nothing but a Man" aus dem Jahr 1964 über einen schwarzen Eisenbahnarbeiter, der sich dem Rassismus stellen muss, und die Gewalt, die ihm widerfährt, am Ende gegen die Seinen richtet.


Das Festival des unabhängigen amerikanischen Kinos "Unknown Pleasures" wartet in diesem Jahr unter anderem mit einer kleinen Werkschau des deutsch-jüdischen Filmemachers Michael Roemer auf, der per Kindertransport von Berlin nach England flüchtete und schließlich in die Vereinigten Staaten emigrierte, wo er im Jahr 1964 sein Spielfilmdebüt "Nothing but a Man" vorlegte. Entstanden in der heißen Phase der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, unmittelbar nach der von Martin Luther King geführten Birmingham Campaign, erzählt der Film die Geschichte des schwarzen Eisenbahnarbeiters Duff (Ivan Dixon), der sich in einer kleinen Ortschaft in Alabama niederlassen möchte.

Die ersten Bilder des Films zeigen die harte Arbeit beim Bau eines neuen Streckenabschnitts, vorbei an hitzeflirrenden Baumwollplantagen, und den unsteten, quasi-nomadischen Lebenswandel der durchwegs schwarzen Arbeiter nach Feierabend. Ohne feste Wohnadresse ziehen sie entlang des Gleisverlaufs durch die Lande: ein hartes Brot, aber im segregierten Süden der frühen 1960er Jahre zugleich auch eine Daseinsweise, die relative Freiheit gegenüber den Beschränkungen des sesshaften Lebens im Bann der Jim-Crow-Gesetze verheißt. Nicht umsonst wimmelt es in der schwarzen Folk-Tradition von Eisenbahnbildern - legendär in der Darbietung von Elizabeth Cotton: "Freight train, freight train, run so fast / Please don't tell what train I'm on / They won't know what route I'm going."



Duff, der Protagonisten von "Nothing but a Man", ist die Verkörperung dieses Fluchtversprechens, wenn er am Anfang des Films auf Eisenbahnschienen der falschen Welt zu entkommen sucht. Ivan Dixon spielt ihn mit sengender Intensität als einen Rastlosen, dem es schlicht unmöglich ist, sich mit den herrschenden Zuständen zu arrangieren. Als er auf einer Kirchenfeier in der kleinen Ortschaft, wo seine Crew gerade Halt macht, die Tochter des Pastors (Abbey Lincoln) kennenlernt und hofiert, macht Duff erst viel Aufhebens um seine Ungebundenheit. Später, nachdem er aus Liebe zu ihr in der Stadt geblieben ist, versteht man, warum er sich so sträubt. Um in dieser Gemeinschaft, in der niemand aufbegehrt, ein Auskommen zu finden, müsste er sich dem rassistischen Alltagsterror unterwerfen, der sich durch alle Beziehungen zur weißen Mehrheitsgesellschaft zieht. Fast gleicht Duff dem Westernhelden, der als Außenseiter ein neues Gesetz in die Gemeinschaft bringt. Aber die Filmlogik des sozialen Realismus schreibt ihn fest als nothing but a man: als unvollkommenen Mann, der die Gewalt, die ihm widerfährt, am Ende gegen die Seinen richtet.

Es geht in Roemers Film um den Versuch einer Familiengründung unter Bedingungen, die das traditionelle Familienmodell systematisch untergraben. In seinem alkoholkranken Vater und dessen unglücklicher Geliebten, denen Duff im nahe gelegenen Birmingham einen Besuch abstattet, erblickt er sich selbst im Spiegel einer möglichen Zukunft. Und doch geht dieses Bild nicht in konservativer Didaktik oder tragischer Schicksalhaftigkeit auf. Die kaputte Vater-Sohn-Beziehung beschwört nicht einfach das Gegenbild einer heilen Familie, sondern verweist wie alle (gelungene oder gescheiterte) Intimität in diesem Film auf die Notwendigkeit von alternativen Formen der Vergemeinschaftung aus der Erfahrung gesellschaftlicher Marginalisierung.

Als Film über race relations ist "Nothing but a Man" von seltener Kompromisslosigkeit. Es gibt keine "gute" weiße Figur, die als Sympathieträger*in oder Identifikationsangebot fungiert. Die weißen Menschen, die Duffs Fluchtlinie durchkreuzen, sind keine ihrer selbst bewusste Individuen, sondern erscheinen als wandelnde Symptomatologien einer kranken Gesellschaftsordnung. In einer kleinen Nebenrolle ist der damals noch völlig unbekannte Yaphet Kotto zu sehen. Unter Duffs ehemaligen Arbeitskollegen vom Eisenbahnbau sticht er mit seiner grantigen Miene sofort heraus: Signum einer radikalen Unversöhntheit, die Roemers wichtigen, aus laufenden Kämpfen geborenen Film im Ganzen auszeichnet.

Nikolaus Perneczky

Nothing But a Man - USA 1964 - Regie: Michael Roemer - Darsteller: u.a. Ivan Dixon, Abbey Lincoln, Gloria Foster, Julius Harris, Yaphet Kotto - Laufzeit: 85 Minuten. Das Berliner Arsenal Kino zeigt "Nothing But a Man" am 3.1. und am 8.1. Mehr zum Festival "Unknown Pleasures" hier.