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Freude am Unsinn

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
05.05.2021. Frank van der Salms Bildband "NOWHERE - Imagining the Global City" versammelt Fotos aus  fünfundzwanzig Arbeitsjahren des niederländischen Fotografen. Salm hat alle Techniken ausprobiert, und war an allen Orten, an denen man als Künstler sein musste. Auch die Bilder bezeugen eine Art Überwältigungsästhetik durch schiere Menge und Größe.
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Der kleine, aber feine Stuttgarter Verlag "Hartmann Books" veröffentlichte kürzlich einen dreihundertsechzig Seiten, zweihundertvierzig Abbildungen und acht Klapptafeln starken Band über die letzten fünfundzwanzig Arbeitsjahre (Fotografien und Video-Stills) des ungemein produktiven, 1964 in Delft geborenen Frank van der Salm: "NOWHERE - Imagining the Global City".

Van der Salms Schwerpunkt liegt in der Architektur-, Stadt- und Landschaftsfotografie. Seine bevorzugten Motive sind die seit der Jahrtausendwende rapide wachsenden Mega Cities Südostasiens und der Golfregion. Es gibt aber auch Aufnahmen von Innenräumen (Hotelzimmer, Konferenzräume, Supermärkte) und Überresten dessen, was von der weltweiten Bauwut bisher verschont geblieben ist, nicht ohne jedoch von den Folgen menschlicher Expansion heimgesucht zu sein (schmelzende Gletscher, Kohlendioxid und Russpartikel transportierender Äther).

Im Film "Predator" mit Arnold Schwarzenegger von 1987 führt Arnie einen schwer bewaffneten Trupp an, der im Dschungel Mittelamerikas eine der üblichen Schweinereien des US-Militärs ausbügeln muss. Dabei bekommen die Männer es mit einem außerirdischen Wesen zu tun, das sich unsichtbar machen kann und Jagd auf sie macht. (Wenn der perfekt an seine Umgebung angepasste Predator die Soldaten ins Visier nimmt, ist es nebenbei eine perfekte Versinnbildlichung von Sartres legendärem Satz: "Im Blick des Anderen liegt der heimliche Tod meiner Möglichkeiten.") Einmal glauben die Männer, den Predator vor sich zu haben und feuern in seine Richtung mit allem, was sie haben.

Dieses Feuern aus allen Rohren, das ist van der Salms Buch.
 
Für (fast) alle ist etwas dabei. Weitwinkel. Einsatz von Tilt-and-Shift, das Menschen auf den Straßen wie Ameisen wirken lässt, die Hochhäuser darum wie futuristische Maulwurfshügel. Spiel mit Unschärfe. Überbelichtetes, diffuses Weiß, das an die Arbeiten von Walter Niedermayr erinnert. Fotos, wie sie durch Michael Wolfs "Architecture of Density" berühmt wurden. Nächtliche, von spärlicher Beleuchtung erschaffene Atmosphären wie bei Todd Hido. Monochromie wie bei Wolfgang Tillmans. Langzeitbelichtung, bis feste Formen zu Streifen gerinnen wie bei Michael Wesely. Und natürlich Anleihen beim unvermeidlichen Düsseldorfer Kombinat Struffsky.

© Frank van der Salm, Hartmann Books 

Damit will ich nicht sagen, dass van der Salm ein Kopist ist. Er hat - von Schwarzweiß-Fotografie abgesehen - über die Jahre einfach alles aufgeschnappt und ausprobiert, was in dem Feld, in dem er sich bewegt, so im Schwange war (was ja prinzipiell nichts Schlechtes ist). Einzelne Fotos sind dabei visuell überaus ansprechend, kompositorisch gelungen, handwerklich tadellos, cool, knallig, manchmal sogar sexy, was zugleich auch bedeutet: Sie kommen aus der Tiefe der Neunziger und Nuller Jahre, einer neoliberalen Ära der Kunst und der Hochzeit von Slogans wie "big is beautiful" oder "immer feste druff".

Eine Art Überwältigungsästhetik durch schiere Menge und Größe, deren Ausläufer bis heute Bewunderer finden, ob es sich um die Berliner Sprüh-Orgie von Katharina Grosse im Hamburger Bahnhof oder um die aktuelle Überschwemmung von Olafur Eliasson in der Basler Fondation Beyeler handelt.

Eine Aufzählung jener Orte, an denen van der Salms Aufnahmen entstanden sind, gibt Auskunft über jenes internationale Jet-Setting, in dem diese Art von Kunst-Fabrikation vonstatten geht. Eine Auswahl: Albuquerque, Aberdeen, Barcelona, Berlin, Brasilia, Brüssel, Busan, Cartagena, Chicago, Dubai, Grenoble, Guangzhou, Hongkong, Lissabon, Los Angeles, Madrid, Mailand, Paris, San Diego, San Francisco, Seoul, Shanghai, Shenzhen, Tokyo, Vancouver, Wien, Yokohama, Zürich.
Die Erderwärmung lässt herzlich grüßen.

Naheliegend, dass van der Salm auch mit Star-Architekten wie Jacques Herzog und Pierre de Meuron zusammengearbeitet hat, die Berlin übrigens gerade ein ökologisch fragwürdiges und ästhetisch stumpfsinniges Bierzelt für Gegenwartskunst aufbürden und Staatsministerin Monika Grütters zur Freude von Baufirmen und Beamten darin unterstützen, unnötige Kulturbauten in Auftrag zu geben, deren Kosten dann explodieren - beim Bierzelt derzeit von einhundertneunundsiebzig auf vierhundert Millionen.

Der Verlagstext nennt die Arbeit der Buch-Designerin Irma Boom "kongenial", was allein schon deshalb problematisch ist, weil van der Salm dafür ja erst mal genial sein müsste.
Boom hat sich dafür entschieden, immer wieder Bilder auf den Kopf zu stellen. Ganz bin ich nicht dahinter gekommen, was das für das - ohnehin vage gefasste - Thema oder das Buch bringen soll. Aber gut, das kann auch an mir liegen.

Denn obwohl unendlich feinsinnige Geister zwingende Texte über die tiefe Bedeutung der Frage verfasst haben, warum Georg Baselitz ab einem bestimmten Moment seiner Laufbahn, nein: seines Seyns (das y habe ich spontan von Heidegger geborgt) Menschen (mehr oder weniger seine Frau) mit wenigen Ausnahmen auf den Kopf gestellt zu malen begonnen hat, habe ich diese Geste, vor allem aber die mit der Zeit antichambrierende Verehrung dafür nie verstanden (das unendlich Feinsinnige und Zwingende der Texte besteht darin, klarzustellen, wieviel komplexer, subversiver, existenzieller diese Geste des Malers ist als ein bloßes, banales Auf-den-Kopf-Stellen).

Falls jemand der Verschachtelung des vorangegangenen Absatzes nicht ganz folgen konnte - ich hatte beim Schreiben auch Schwierigkeiten. (Wobei es sich natürlich nicht um eine bloße, banale Verschachtelung handelt, eine stilistische Leichtfertigkeit, Unaufgeräumtheit in meinem Kopf, sondern um eine wahre Heideggersche Seinsvergessenheit, die mich beim Schreiben übermannt und kopfüber von der luftigen, abwesenden Anwesenheit des Seyns in die zerstreute Wesenheit des Seienden hinab gestoßen, mich beinah genichtet hat, während ich eben noch köstlich weste.)

© Frank van der Salm, Hartmann Books 

In der Mitte des Buches gibt es (wie auf Beipackzetteln von Medikamenten) die übliche, erläuternde Weihe durch KunsthistorikerInnen. Während Urs Stahel sich einigermaßen zurückhält (und Branchenübliches von Barthes bis Baudrillard ins Spiel bringt), geht der amerikanische Architekturkritiker Aaron Betsky voll ab: Nicht nur, dass er van der Salms coole Pics als "subversiv" und als "Meta-Fotografie" bezeichnet, die Phänomene wie "Macht", "Traum", "Kontrolle" oder "Flucht" verhandelten; nicht nur, dass er van der Salm einen Paul Klee unserer Zeit nennt; nein, die Fotos geben Betsky zufolge auch Auskunft auf existenzielle Fragen wie "Weißt Du, wo Du bist?" und "Weißt Du, wer Du bist?"

Klar, dass Sartre und Heidegger da in ihren Gräbern rotieren. Bei Nietzsche heißt es zu dieser Problematik in "Menschliches, Allzumenschliches": "Das Publikum verwechselt leicht den, welcher im Trüben fischt, mit dem, welcher aus der Tiefe schöpft".

Aber das ist in Wahrheit halb so wild, denn: "Fast überall, wo es Glück gibt, gibt es Freude am Unsinn."

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de


Frank van der Salm: NOWHERE. 360 Seiten, 24 × 32 cm, Softcover mit Banderole. Hartmann Books, Stuttgart 2021, 55 Euro.
ISBN 978-96070-064-7
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