Post aus New York

Die Macht des N-Worts

Von Ute Thon
21.02.2002. Havard-Jurist Randall Kennedy untersucht in seinem provozierenden Buch "Nigger" die Karriere von Amerikas schlimmstem Schimpfwort.
Sechs Buchstaben, zwei Silben, ein Wort wie ein Peitschenschlag. Nigger. Kein anderer Begriff in der amerikanischen Sprache schlägt tiefere Wunden, weckt hässlichere Erinnerungen, trennt die Gesellschaft schärfer in Schwarz und Weiß. Das Wort ruft Bilder von Lynchmord und den Jim Crow-Gesetzen der Südstaaten wach. Sein achtloser Gebrauch lässt Emotionen überkochen und inkriminiert den Sprecher. Es ist, in den Worten des Journalisten Farai Chideya "die Atombombe unter den rassistischen Schimpfwörtern". Wer es in den Mund nimmt, löst automatisch eine verheerende Explosion aus.

Einen solchen Knall erzeugt in Amerika derzeit das Buch "Nigger: The Strange Career of a Troublesome Word" (Pantheon Books, 2002, 22 US-Dollar) des Juristen Randall Kennedy. Schon vor der Veröffentlichung gingen schwarze Intellektuelle auf die Barikaden. Buchhändler äußerten Bedenken, ein Buch mit solch einem anstößigem Titel in der Auslage zu präsentieren, Bibliotheken drohten mit Boykott. New Yorks überwiegend weiße Verlegerzunft hatte das Manuskript zunächst wie der Teufel das Weihwasser gemieden. Panthenon, ein Tochterunternehmen von Random House (Bertelsmann), nahm sich des Themas schließlich an, weil dort mit Erroll McDonald einer der wenigen schwarzen Cheflektoren der Branche beschäftigt ist (hier ein Porträt Mcdonalds aus der NYT).

Dabei steht der Autor, ein angesehener afro-amerikanischer Rechtsprofessor an der Eliteuniversität Harvard, keineswegs im Verdacht, rassistische Propaganda zu vertreiben. Kennedy hat sich mit Büchern wie "Race, Crime and the Law" (hier die Besprechung in der NYT) zum Thema Rassendiskriminierung im amerikanischen Rechtsystem einen Namen gemacht. In seinem neusten Buch versucht er, kulturhistorische und rechtspolitische Aspekte des Schimpfworts 'Nigger' zu beleuchten. Er beginnt seine Untersuchung mit einer Reihe von provozierenden Fragen. Ist das Wort ein Teil des amerikanischen Kulturerbes, das es zu schützen gilt? Warum löst der Gebrauch so starke Reaktionen hervor? Sollten Schwarze das Wort verwenden dürfen, während man Weißen den Gebrauch verbieten sollte? Sollte das Gesetz 'Nigger' als extreme verbale Provokation bewerten, die die Schuldfähigkeit eines Angeklagten, der darauf gewalttätig reagiert, mildern? Ist der Gebrauch des Wortes 'Nigger' am Arbeitsplatz ein Kündigungsgrund? Und wie kann man dem unseligen Wort seine destruktive Schärfe nehmen?

Ein Anzeichen, dass der Entschärfungsprozess bereits in vollem Gange ist, sieht Kennedy im Alltagsgebrauch des Wortes unter Schwarzen, besonders in der Musik- und Literaturszene. Unter jungen Afro-Amerikanern gilt die Anrede 'Nigger' schon länger als cool und kann sogar anerkennende, brüderliche Gefühle ausdrücken. Wenn der Rap-Musiker Ice-T "I'm a nigger not a colored man or a black man or a Negro or an Afro-American" singt, verkehrt er die ehemals negative Konnotation in positive Selbstbestätigung und nutzt den vorbelasteten Begriff als "Bumerang gegen Rassisten", so Kennedy.

Doch was unter Schwarzen identitätsstiftend wirkt, kann aus dem Munde eines Weißen zur unentschuldbaren Beleidigung werden. Mark Twain, ein leidenschaftlicher Rassismus-Gegner, wurde seinerzeit heftig kritisiert, weil er in seinem Roman "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" das N-Wort benutzte. Und noch heute hat so mancher Englischlehrer Probleme mit der Existenz des Tabu-Wortes im Text des Literaturklassikers. Randall Kennedy beschreibt zur Veranschaulichung des semantischen Dilemmas den aktuellen Fall eines Basketball-Trainers. Keith Dambrot, ein weißer Trainer des Teams der Central Michigan University, bemerkte, dass seine überwiegend schwarzen Sportler sich während des Spiels untereinander anerkennend mit 'Nigger' ansprechen. Dambrot bat die Mannschaft um Erlaubnis, den Begriff zur Förderung des Teamgeistes ebenfalls benutzen zu dürfen. Keiner der Spieler hatte Einwände. Doch ein Zuschauer überhörte die politisch unkorrekten Anfeuerungsreden des Trainers und beschwerte sich bei der Hochschulleitung. Dambrot wurde verwarnt und musste sich einem speziellen Sensibilitätsseminar unterziehen. Trotz seines öffentlichen Mea Culpas hielten die Proteste auf dem Campus an, und er wurde schließlich fristlos entlassen. In Kennedys Augen demonstriert der Fall eine "Orwell'sche Überreaktion" und eine Kapitulation der Hochschulbehörden vor "der schematisierten Wut beleidigter Schwarzer und der unreflektierten Gefühlsduselei wohlmeinender Weißer".

Wie sehr der Begriff das amerikanische Justizsystem beschäftigt, zeigt Kennedys Analyse von Gerichtsprozessen. Seine Recherche förderte über 4000 Gerichtsurteile zu Tage, in denen das Wort 'Nigger' eine prominente Rolle spielte. Der prominenteste darunter ist sicher der O.J.-Simpson-Prozess, in dem der schwarze Footballstar vor allem deshalb von dem blutigen Doppelmord an seiner Ex-Frau und ihrem Freund freigesprochen wurde, weil die Verteidigung einen Hauptbelastungszeugen als Rassisten outete. Mark Fuhrmann, einer der ermittelnden Polizisten, hatte in der Vergangenheit Schwarze als 'Nigger' bezeichnet. Die clevere lancierte Enthüllung unterminierte die Glaubwürdigkeit der gesamten Polizeiermittlungen und machte eine bis dahin abstruse Verteidigungsstrategie für die Juroren plausibel, nämlich dass die Polizisten belastende Beweismittel wie O.J.s blutigen Handschuh am Tatort platzierten, um dem erfolgreichen 'Nigger' eins auszuwischen. Das N-Wort als schwarze Trumpfkarte.

Nun sind Gerichtsurteile sicher kein perfekter Spiegel der sozialpolitischen Verhältnisse. Doch in einer prozesswütigen Gesellschaft wie Amerika reflektieren sie Symptome eines tieferliegenden Problems. Die Tatsache, dass ein einzelnes Wort Richter und Juroren in einem Mordprozess umstimmen kann oder als Kündigungsgrund ausreicht, verweist auf den höllischen Abgrund, die hinter den sechs Buchstaben lauert. Kennedy empfiehlt zur Teufelsaustreibung einen offeneren Umgang mit dem Wort. "Unpopuläre, abstoßende, hasserzeugende Meinungsäußerungen gegen Regierungszensur zu schützen, ist eine große Errungenschaft der amerikanischen Politikkultur", schreibt der Juraprofessor. "Wenn 'Nigger' erst einmal häufiger auseinandergenommen wird und seine Komplexität auf breiterer Ebene anerkannt wird, dann wird die Zensur seines Gebrauchs - auch in Form einer Beleidigung - schwerer werden."

Von solchen Lockerungen des politisch-korrekten Sprachkodex wollen aber vor allem schwarze Intellektuelle nichts wissen. "Damit gibt man einem Haufen von Rassisten, die das Wort sowieso benutzen, die Genehmigung, es noch mehr zu benutzen", sagt die afroamerikanische Zeitungskolumnistin Julianne Malveaux. Und Houston Baker, Englisch-Professor an der Duke University geißelt die Buchveröffentlichung als kruden Marketing-Trick. "Ich kann mir keinen anderen Grund für diesen reißerischen Titel vorstellen als Geld zu machen", schimpfte er in der New York Times. "Es ist unwürdig für einem Mann mit der Intelligenz von Professor Kennedy." Auch der New Yorker geht hart mit dem Harvard-Juristen ins Gericht. Unter der Überschrift "Mehr Schaden als Nutzen" spricht Hilton Als dem Autor zwar zu, dass er die richtigen Fragen stellt, doch "anstatt sie zu beantworten, indem er über die moralischen und psychologischen Wirkungen schreibt, die das Wort für Schwarze und Weiße hat, sammelt er nur Daten, die sich niemals zu einer Idee summieren."

Tatsächlich stößt Kennedy mit "Nigger" die Tür zur Reflektion über Amerikas Verbalrassismus, schwarze Opferkultur und weiße Toleranzheuchelei nur einen spaltweit auf. Mit 176 Seiten, plus 50 Seiten Anmerkungen, ist das Buch mehr ausgeweitetes Thesenpapier als systematische Analyse. Es bietet Einblicke in die komplexe Phänomenologie des Wortes "Nigger" und seine katalytische Wirkung im Gerichtssaal. Seine Empfehlungen zur Verbesserung der Situation bleiben dagegen ziemlich vage. Doch in einer erstickenden Situation tut manchmal schon ein bisschen Zugluft gut. So berichtet Kennedy unter anderem auch, dass in Detroit Weiße sich untereinander oft "Nigger" nennen. Die Bezeichnung ist abfällig gemeint, doch nicht rassistisch motiviert. Ein Soziologe, der das Phänomen in Interviews mit den Betroffenen ansprach, bekam von einem Mann die verblüffende Antwort: "You don't have to be black to be a nigger. Niggers come in all colors."


Hier ein Vortrag von Randall Kennedy über das Wort "Nigger" als Rechtsproblem, den er an der University of Law hielt (audio).
Und hier ein Wort zum Wort "Nigger" von Randall Kennedy in Harper's Weekly