Im Kino

Noch eine Nazi-Kehle

Die Filmkolumne. Von Jonas Nestroy
13.05.2023. Jamari Helanders Film "Sisu" könnte das dumpfe Ende des Tarantino-Epigonentums sein. Ihr Film über einen Finnen, der im Zweiten Weltkrieg Gold sucht, aber noch lieber Nazis tötet zeigt nur noch groteske Gewalt, unterlegt mit Trashhumor.


Ganz eins mit der Natur ist der Mann, mit allen vier Elementen: Erde reinigt die viel zu schweren Wunden des viel zu schwer vernarbten Körpers. Feuer kann ihm nichts anhaben: Wenn er sich selbst anzündet, weichen die ihn jagenden Schäferhunde zurück. Verbrannt wird er nicht, denn da ist das Wasser, in dem man sich vor den Nazis verstecken kann. In das man diese Volltrottel alle nacheinander locken kann, um sie in der dunklen Tiefe des Sees einen nach dem anderen zur Strecke zu bringen. Und wenn die Luft ausgeht, schneidet man einfach noch eine Nazi-Kehle durch und nimmt einen Zug daraus.

Regisseur Jamari Helander inszeniert mit "Sisu" einen spielfilmlangen Showdown zwischen dem ehemaligen finnischen Elite-Soldaten Aatami Korpi (Jorma Tommila) und den Nazi-Schergen rund um den Obersturmführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie). Im Jahr 1944, mitten in den scheinbar unendlichen Weiten Lapplands. Korpi hat sich dorthin mit seinem Hund zurückgezogen, mit dem Weltkrieg für immer abgeschlossen, wäscht sich in den Flüssen, schläft in den Steppen, gräbt nach Gold und findet eine leuchtende Ader im Boden. Das Problem: Die nächste Bank ist 563 Meilen weg und Nazis können auch etwas mit dem Zeug anfangen.

Warum Korpi das Geld braucht, wenn er doch eh mit der Zivilisation abgeschlossen hat, interessiert Helander herzlich wenig. Es geht hier ohnehin nicht um irgendwelche großen erzählerischen Konzepte, sondern darum, dass das Filmgetriebe in die Gänge kommt, dass Reibung zwischen dem archaischen Krieger und den hochtechnisierten Nazis mit ihren Landminen, Panzern, Maschinengewehren und Mercedes-LKWs entsteht. Helander zeigt sich weniger als ausklügelnder Regisseur, denn als grober Filmmechaniker. Daseinszweck des Films ist keine sinnstiftende Erzählung, sondern nur das nächste Aufeinandertreffen eines eigentlich unterlegenen Einzelnen mit den eigentlich viel zu starken Gegnern.

So baut sich der finnische Regisseur eine Spielwiese auf, auf der er sich technisch austoben darf. Auf der er zeigen kann, welche Einfälle er für den David-gegen-Goliath-Kampf vorbereitet hat, wobei die eingangs beschriebene Szene rund um Feuer, Wasser, Erde, Luft den Höhepunkt der Kreativität darstellt. Meist dominiert ein kaum origineller Trash-Humor, wenn sich mit einer Spitzhacke an ein startendes Flugzeug gehangen wird oder ein Nazi eine Landmine an den Kopf geworfen bekommt und sein Körper grotesk zersprengt. Manchmal genügt es für den Helander-Humor bereits, dass der härteste Mann der Welt einen Pudel mit sich führt.



Der Presseflyer vergleicht "Sisu" mit einer Tarantino-Inszenierung von "John Wick" und das kommt nur hin, wenn man beide Referenzen ihrer ästhetischen Tiefe entkleidet: "John Wick" ist aus diesem Blickwinkel nicht mehr als die Aneinanderreihung brutaler Kampfszenen, während es doch tatsächlich deren virtuose, fast schon tänzerische Choreographie ist, die die Schauwerte der Filmreihe ausmachen.

Ähnlich mechanisch der Bezug auf Tarantino, den Jamari Helander kaum als Phänomen eines bestimmten Moments der 90er-Jahre begreift, aus dem sich ein Stil abgeleitet hat, der in ein postmodernes Generationengefühl gepasst und sich von dort aus weiterentwickelt und verselbstständigt hat. Tarantinofilme sind für "Sisu" nicht mehr als ein Archiv von Techniken, die man sich aus dem Regal ziehen kann, um sie in die eigene Filmmaschinerie einzubauen. Also leiht man sich die Lust am Nazis töten und die groteske Gewalt, die Kapitelstruktur, die Western-Ästhetik samt passender Schriftart und den Trash-Film im Trash-Film, wenn Finnlands Rolle im zweiten Weltkrieg mit einer brennenden Landkarte und epischem voice over eingeführt wird. Helander ist dabei wenigstens so konsequent ein Tarantino-Epigone, dass sie die leise Hoffnung regt, das Tarantino-Epigonentum könnte mit "Sisu" ein dumpfes Ende gefunden haben.

Wenn es überhaupt um etwas abseits von verdinglichter Technik und Form geht, dann um das Vorführen des finnischen Konzepts "Sisu", das am Anfang (abermals wie bei Tarantino die Worte "pulp fiction") per Wörterbucheintrag vorgestellt wird. Am ehesten lässt es sich mit "Durchhaltevermögen" oder "eisernem Willen" übersetzen. Helander erhebt dieses kulturelle Konstrukt seines Heimatlandes so dermaßen zum Leitprinzip, dass seine Geschichte jegliche Spannung verlässt. In der Mitte des Films wird Korpi von den Nazis gefangen und erhängt. Nur, dass sein Sisu so stark ist, dass er sich entscheidet, einfach nicht zu sterben und von nun an als "the immortal" durch den Film berserkert. Es ist, als ginge es Helander darum, narrative Zusammenhänge mit voller Absicht vor die Wand zu fahren. Was zählt, ist, wie viele Nazi-Körper durchbohrt, zertrümmert, zersprengt, aufgeschnitten, abgestochen werden. Am Ende bleibt nur das Gold übrig und die Bank, in der man es eintauschen kann. Nicht aber um endlich in Frieden leben zu können, sondern weil Geldscheine nicht ganz so schwer zu tragen sind wie Metall. Immerhin vertritt Helander seinen hypermaterialistischen Ansatz mit genauso großem Durchhaltevermögen wie sein Protagonist.

Jonas Nestroy

Sisu - Finnland 2022 - Regie - Jalmari Helander - Darsteller: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila, Tatu Sinisalo - Laufzeit: 91 Minuten.