Im Kino

Vereinzelte Geschmacklosigkeiten

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl
07.11.2023. Trotz der vollen Portion Body Horror, schleimigen Käfern in Kondomen und entfesselten Trieben kann "Swallowed" sein Potenzial leider nicht ganz ausschöpfen. Als explizit schwules Genrekino mit einem Blick für Nahverhältnisse von Lust und Angst ist Carter Smiths Film dennoch sehenswert.


Shawn-Mendes-Lookalike Benjamin (Cooper Koch) und sein bester Freund Dom (Jose Colon) kommen noch einmal für eine bittersüße Abschiedsfeier zusammen. Bevor Benjamin am nächsten Tag nach L.A. zieht, um seine Karriere als Pornodarsteller auszubauen, wird sein offiziell heterosexueller Kumpel im angetrunkenen Zustand melancholisch und anschmiegsam. Während der athletische Lockenkopf sich im Takt der Musik wiegt und mit jeder vermeintlich beiläufigen Geste verrät, dass er sich seiner Attraktivität bewusst ist, nimmt ihn sein Freund mit dem Handy auf. Dass Dom von dem Video anschließend wie von einem Fetisch gebannt ist, verrät schon viel über das Verhältnis, dass der Horrorfilm "Swallowed" zu seinen Figuren hat.

Auch Regisseur Carter Smith nutzt die Kamera als Instrument voyeuristischer Verehrung. Wir befinden uns irgendwo im Hinterland von Maine, doch durch das enge 4:3-Format bekommt man kaum etwas von der Umgebung mit. Lediglich die vom Autoscheinwerfer angedeutete Provinz-Tristesse und die mit Lametta behangene Dorfbar vermitteln einen gewissen Eindruck. Die Bilder widmen sich ohnehin vor allem den Körpern der Darsteller, um die sich bald auch der ins Bedrohliche gleitende Plot dreht. Um an Geld zu kommen, will Dom schnell noch Drogen über die nahe kanadische Grenze schmuggeln. Nachdem die widerborstige Mittelsfrau Alice (Jenna Malone mit grandiosem Resting bitch face) die beiden dazu zwingt, mehrere, angeblich mit der Substanz gefüllten Kondome zu schlucken, müssen die beiden kurz darauf feststellen, dass der Inhalt in Wahrheit lebendig ist.

"Swallowed" lädt den Body Horror von Anfang an sexuell auf. Das Schlucken der Päckchen, das spätere Ausscheiden und auch der Versuch, mit präziser Handarbeit an die Schmuggelware zu gelangen, werden genüsslich ausgekostet und bleiben nicht ohne Anspielung auf Benjamins Job in der Pornoindustrie. Die exotischen, raupenähnlichen Tiere, die sich in den Kondomen befinden, sind zudem von einer samenähnlichen Flüssigkeit umgeben und lähmen ihre Opfer nicht nur per Biss, sondern stimulieren sie auch erotisch. Das Innere wird durch den Rausch nach außen gestülpt, wenn auch nur psychologisch. Als ein Päckchen in Doms Magen platzt, wird seine stets sichtbar im Bild platzierte Dauererrektion zum Elefanten im Raum, der die unausgesprochene Zuneigung zwischen den Männern sichtbar macht.



Bereits in seinem frühen, faszinierend abgründigen Kurzfilm "Bugcrush" vermengte Smith Kleinstadt-Klaustrophobie, unterdrücktes Begehren und eine Faszination für das Böse mit Body-Horror-Elementen. Er wurde damit zur Hoffnung eines explizit schwulen Genrekinos. Nach seiner an die Nieren gehenden, aber gefloppten DreamWorks-Produktion "The Ruins" (2008) über eine fiese, fleischfressende Pflanze wurden seine Projekte jedoch zunehmend kleiner. Nach dem Horrordrama "Jamie Marks is Dead" über einen ermordeten Teenager, den die Liebessehnsucht zurück ins Reich der Lebenden treibt, blieb Smith seinem düster queeren Genrekino mit einigen Kurzfilmen sowie einer Folge für die Blumhouse-Serie "Into the Dark" treu.

Dass sein erster Spielfilm nach 8 Jahren nun ein sichtlich geringes Budget hat, mag auch der Preis sein, den man für einen konsequent schwulen Genrefilm mit ausgiebigen Nacktszenen zu zahlen hat. Besonders wenn die Kamera stärker auf Distanz geht, wirkt der Film ein bisschen rumpelig und zerfahren. Sobald sich die Handlung in eine Waldhütte verlagert, wo Benjamin, der schwer lädierte Dom und die motzige Alice auf den Drogenboss warten, wird der Film mehr zum Thriller. Gerade für solche klassischeren Genremomente, in denen die Flucht aus der hoffnungslosen Situation im Vordergrund steht, ist die Spannungsdramaturgie zu unausgegoren. Immerhin theoretisch ist Smith mit Mark Patton als exaltiert tuntigem Drogenboss ein kleiner Besetzungscoup gelungen. Als Hauptdarsteller des mit allerlei schwulem Subtext angereicherten zweiten Teil der "Nightmare on Elm Street"-Reihe wurde er einst zur männlichen Scream Queen. Seine ständig zwischen Wehleidigkeit und bemühter Bösartigkeit wechselnde Performance in "Swallowed" wirkt jedoch zu skizzenhaft, um wirklich fesseln zu können.

Seinen besten Moment hat Patton bezeichnenderweise, wenn er aus nächster Nähe und in unvorteilhafter Untersicht aufgenommen wird. Auch wenn es an der Gesamtkonstruktion hapert, beweist "Swallowed" immer wieder ein gutes Gespür für Intimität, erotische Spannung und vereinzelte Geschmacklosigkeiten. Hauptdarsteller Cooper Koch ist nicht immer der nuancierteste Schauspieler, aber er weiß mit stechendem Blick und dem nötigen Selbstbewusstsein die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sehr ausgiebig tastet die Kamera seinen athletischen nackten Körper ausgerechnet in einer längeren Szene ab, in der er um sein Leben fürchten muss.

Mehrmals kommt es zu solchen Momenten, in denen Lust mit Schmerz, Angst und Tod zusammenfällt; mal durch einen angegeilten Blick in einer denkbar unpassenden Situation, mal durch einen etwas zu langen und sinnlichen Kuss mit einem Sterbenden. Gerade in Augenblicken voller perverser Widersprüchlichkeit entwickelt der Film einen gewissen Zauber. Schade nur, dass "Swallowed" angesichts seiner vielversprechenden Prämisse um schleimige Käfer, Körperöffnungen und entfesselte Triebe manchmal etwas gezähmt wirkt - besonders weil es bei einer Produktion dieser Größe auch schon egal gewesen wäre.

Michael Kienzl

Swallowed - USA 2022 - Regie: Carter Smith - Darsteller: Cooper Koch, Jena Malone, Mark Patton, Jose Colon - Laufzeit: 96 Minuten.

"Swallowed" ist beim Label Lighthouse als DVD, Blu-ray und VoD erschienen.