Im Kino

Punktuell betupft

Die Filmkolumne. Von Katrin Doerksen
21.11.2023. Immaterielles Kulturerbe, vom Aussterben bedroht: Anna Hints porträtiert in ihrem wunderschön fotografierten Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood" eine Rauchsauna, in der Frauen gemeinsam schwitzen, Erfahrungen austauschen und einen Freiraum herstellen.


Irgendwo im Süden Estlands liegt ein Laubwäldchen mit lichten Birken und einem kreisrunden See, über dem bauschige Wolken dahintreiben. Daneben steht ein Holzhäuschen mit einer rußigen Kammer, in der manchmal pralle Fleischstücke zum Räuchern aufgehangen werden. Aber meist drängen sich darin nackte, schwitzende Frauen.

Die Rauchsauna ist ein heiliger Ort, so sagen es die mit dem Brauch vertrauten Esten und Finnen, von der UNESCO inzwischen zum immateriellen Kulturerbe erklärt und aufgrund sich häufender Brände und analog dazu rigoroser werdender Sicherheitsbestimmungen im Aussterben begriffen. Ein herkömmlicher Holzofen heizt den Raum auf Betriebstemperatur, dann werden Lüftungsklappen im Dach geöffnet, damit überschüssiger Rauch abziehen kann. Man sitzt auf rußgeschwärzten Planken, klopft einander mit Laubwedeln ab und bedankt sich bei den Frauen, die das Anheizen und Wasserholen übernehmen, mit einem Lied; im Abspann von "Smoke Sauna Sisterhood" ist es zu hören.

Das ist auch schon der ganze Kontext, den Anna Hints in Gestalt einer simplen Texttafel am Ende ihres Dokumentarfilms dazugibt. Über ein Jahr hinweg begleitet sie eine Gruppe mittelalter Frauen, die sich regelmäßig in dieser Hütte zum Saunieren treffen, ohne auch nur ihre Namen oder den genauen Standort zu verraten. Sie beobachtet, lauscht ihren Gesprächen, erzeugt in der Montage den Rhythmus eines typischen Saunagangs: Ausgiebiges Schwitzen, gelegentlich unterbrochen von Eisbädern im See, von spielerischen Schlachten im Schnee, von Pinkelpausen im Unterholz, vom Liegen im Gras, von Gesang, dazu der Takt der Musik, auf weichen Bäuchen getrommelt.



Von Heiligkeit weiß ich nichts, aber ein besonderer Ort ist die Rauchsauna in jedem Fall - ein Ort, der wunderschöne sinnliche Filmbilder hervorbringt. Durch die lange Belichtungszeit in dem dunklen Raum muten die Wassertropfen, mit denen die Frauen sich Kühlung verschaffen, wie in die Länge gezogene, gleißende Lichtfunken an. Durch ein einziges Fenster nur punktuell von Tageslicht betupfte Körper schälen sich aus der Dunkelheit heraus, Tropfen auf der Haut, eingehüllt von waberndem Rauch, der irgendwann den Raum ausfüllt, bis man meint, Gesichter zu erkennen. Die "Smoke Sauna Sisterhood" wird zum eigenen kleinen Kosmos, der einen glauben macht, die Frauen existierten ausschließlich dort, in ihrer kleinen Gemeinschaft.

Was sie einander mit entwaffnender Offenheit erzählen, lässt hingegen die harsche Realität hinein. Sie sprechen über Krebserkrankungen und lachen im nächsten Moment gemeinsam über die Dickpics, die sie auf Tinder bekommen. Sie reflektieren den Mangel an offen gezeigter Zuneigung in ihren Familien und erinnern sich an ihr Coming-Out, sprechen über gesellschaftliche Erwartungen, über Perioden, Schwangerschaften, Vergewaltigungen.

Wobei es Hints weniger darum zu gehen scheint, diese Themen in "Smoke Sauna Sisterhood" zu diskutieren. Sie setzt sie, ein Kunststück in sorgfältiger Materialauswahl und feinfühligem Timing, vielmehr als Statements, die ein Spektrum weiblicher Erfahrungswelten abbilden. Als eine Art emotionales Kraftfeld dient dabei die blonde Frau, die zu Beginn des Films das Anheizen des Ofens übernimmt und mit einer Axt geradezu stoisch Löcher in die Eisdecke des Sees schlägt. Sie erzählt selbst recht wenig, ist eher aktive Zuhörerin, auf deren konzentriertem Gesicht die Kamera zur Ruhe kommt. Nicht immer ist deutlich sichtbar, wer gerade spricht. Für diese Form der Halbanonymität ist die Rauchsauna perfekt, diese vor den gierigen Augen der Welt sonst verborgene Höhle. Man ist ohnehin schon nackt, wofür sich also schämen.

Das rauchende Holzhäuschen tief im Wald, die Frauengemeinschaft, die Gesänge, das überlieferte Wissen… Anna Hints spielt in in ihrem Film bewusst mit unseren Fantasien von Hexen und Schamanismus. Aber sie lässt nicht zu, dass ein esoterischer Überbau den Blick vernebelt für den realen, greifbaren Wert, den Gemeinschaften wie jene in "Smoke Sauna Sisterhood" schaffen. Den Wert geschützter, eigens aufgebauter und ausgefüllter Räume, den Wert von Wahlfamilien, von Frauenfreundschaften.

Katrin Doerksen

Smoke Sauna Sisterhood - Estland 2023 - OT: Savvusanna sõsarad - Regie: Anna Hints - Laufzeit: 89 Minuten.