Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.06.2001.

TAZ, 05.06.2001

Ein paar Linktipps zur Kunstszene in Tokyo gibt Angelika Richter, denn für einen Außenstehenden scheint es nach ihrem glaubhaften Bericht sonst recht schwierig, die Galerien in der Stadt überhaupt zu finden: " Glücklicherweise gibt es das Online-Magazine 'shift' mit seinen Artikeln zu Grafik/Design, Mode, Musik oder Kunst in Tokio. Ein Projekt innerhalb des Magazins ist das 'Nama Tokyo' - als 'part of the Cultural-Arts-Research-Exchange (C-A-R-E) mission of Homer23, a space travelling computerhumanoid from Planet Darzos'. Dieser virtuelle Homer23 bespricht Ausstellungen in unbekannten off-spaces, schreibt über Seminare zum Thema 'play, create, use', die das Londoner Tomato-Kollektiv organisiert hat, oder über Arbeiten des japanischen Gegenstücks von MTV, dem Musikkanal Vibe."

Weitere Artikel: Florian Malzacher bespricht Nicolas Stemanns Spektakel "Ich und Politik" in Frankfurt. Und Jenni Zykla schreibt zum Tod von Anthony Quinn: " Er spielte nie die Rollen, in denen man das Mädchen kriegt."

Schließlich Tom.

SZ, 05.06.2001

Die Kehrseite des amerikanischen Jobwunders war ja schon bekannt ? es sind die niedrigen Löhne in den Dienstleistungsbranchen. Andrian Kreye berichtet, wie Barbara Ehrenreich, die "grande dame der amerikanischen Linken" zwei Jahre lang in solchen Jobs arbeitete, um das Buch "Nickel and Dimed ? On (Not) Getting By in America" vorzulegen, das in Deutschland bei Kunstmann erscheinen wird. "Minutiös beschreibt sie die Mechanismen der Erniedrigung. Die Aufnahmeprüfungen und Drogentests für die niedersten Arbeiten. Die tyrannischen Schichtleiter. Die Auflagen und Regeln, die ihr verbieten, während der Arbeitszeit Wasser zu trinken oder auf die Toilette zu gehen. Die Praxis bei Wal-Mart, kurze Schwätzchen zwischen Mitarbeitern als 'Zeitdiebstahl' zu ahnden. Sie erzählt von den Hautausschlägen, die sie sich von Putzmitteln zuzieht, von den Magenbeschwerden durch das hastig hinuntergeschlungene Junk Food, von Momenten der vollkommenen Erschöpfung." Um am Ende, so scheint es, eine Streikbewegung vorauszusagen.

Weitere Artikel: Fritz Göttler schreibt einen großen Nachruf auf Anthony Quinn. ("Anthony Quinn war ein Kämpfer, und er hat sich als solcher verstanden sein Leben lang. In dessen zweiter Hälfte ist es vor allem ein Kampf gegen das eigene Image gewesen. Quinn, der Naive. Der Kraftmensch.") Ulrich Hacker bereitet uns auf die Deutschlandtournee der Eagles vor. Robert Wyatt erinnert sich im Interview an seine Band Matching Mole, die Anfang der siebziger Jahre zu den Pionieren des Rockjazz gehörte (Von ihr ist bisher unveröffentlichtes Material auf CD herausgekommen.) Die Dramatikerin Kerstin Specht erzählt in der gleichnamigen Kolumne, was sie "zuletzt zum besseren Menschen" gemacht habe.

Besprochen werden Benjamin Brittens Oper "Peter Grimes" in Frankfurt, Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" am Theater Oberhausen, die Ausstellung "Zero Gravity" in Düsseldorf, der Film "Rugrats in Paris", die David Hockney-Ausstellung in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle und Doris Dörries Berliner "Cosi fan Tutte"-Inszenierung.

Verwiesen sei auch auf die Medienseite, wo Hans Leyendecker über die Frage spekuliert, ob Bertelsmann und Gruner und Jahr die Berliner Zeitung nun an die WAZ-Gruppe oder an Holtzbrinck verkauft wird. Und schließlich ein Blick auf die Berlin-Seite, die Helmut Kohl zum Kanzleramt interviewt.

FR, 05.06.2001

Christian Schlüter zeichnet eine Frankfurter Debatte zwischen Wolfgang Kraushaar und Gerd Koenen über 68 und die daraus folgende permanente Krise der Linken nach und kommt zu folgendem Resümee: "Totalitarismus und Ausnahmezustand - derlei Erklärungen treiben die Linke, wenn es sie denn noch geben sollte, dorthin zurück, wo sie eigentlich schon seit 30 Jahren ist, geradewegs in die Entpolitisierung."

Weitere Artikel: Sabine Horst schreibt zum Tod von Anthony Quinn. Besprochen werden Doris Dörries "Cosi fan tutte"-Inszenierung an der Berliner Staatsoper, Nicolas Stemanns Spektakel "Ich und Politik" am Frankfurter TAT und Brittens "Peter Grimes", ebenfalls in Frankfurt.

NZZ, 05.06.2001

Christoph Plate hat Kisangani besucht, die Stadt in Zaire, in der Conrads "Herz der Finsternis" und Naipauls "An der Biegung des großen Flusses" spielen. "Kisangani ist umschlossen von schwülem, kräftezehrendem Urwald. Seit 1997 sind Rebellen in der Stadt. Mit Hilfe ihrer Verbündeten aus Rwanda und Uganda plündern sie die Schätze draußen in den Wäldern und an den Flussläufen: Diamanten, Gold und das Edelmetall Tantalum. Wie der belgische König Leopold II. dieses Land plünderte, so tun es heute die afrikanischen Besatzer - wie 'Banditen beim Aufbrechen eines Geldschranks', schrieb Conrad vor 100 Jahren. Die Straßen verfallen. Die 700 Kilometer lange Reise an die ugandische Grenze dauerte vor 20 Jahren einen Tag. Heute braucht ein Lastwagen dafür zwei Monate. Eisenbahngeleise rosten im schwülen Urwald. Der Schiffsverkehr in die Hauptstadt Kinshasa ist eingestellt. Dort sitzt die Regierung des jungen Kabila, und gegen den führt man Krieg. Die schwimmenden Märkte auf den Flussbooten, mit denen Diesel, Seife und Schulbücher kamen, gibt es nicht mehr."

Claudia Schwartz denkt noch einmal über das Prunkstück der Berliner Republik, das Bundeskanzleramt, nach. Ernst und wuchtig sei Axel Schultes' und Charlotte Franks Bau, doch auch ironisch: "Im sogenannten östlichen Ehrenhof, wo die Staatsgäste vorfahren, bedienen sich die Architekten zwar der Würdeform der Säule, lassen sie aber organisch zerfließen und versetzen sie durch Bepflanzung mit Felsenbirnen in die profane Funktion eines Blumentrogs. Manche Stelen tanzen aus der Reihe und verweigern die staatstragende Parade, während geschwungene Grasflächen unter der eisernen Sicherheitsabschrankung hindurch in die Umgebung des Spreebogens mäandern."

Besprochen werden Rolf Liebermanns Oper "Medea" in Bern, die Austellung barocker Meisterwerke der Sammlung Dessauer im Germanischen Nationalmuseum und Doris Dörries "Cosi fan tutte"-Inszenierung. Schließlich schreibt Peter W. Jansen zum Tod von Anthony Quinn.

FAZ, 05.06.2001

Mark Siemons beschäftigt sich mit der neuen Kapitalismuskritik, wie sie von Frederic Beigbeder, Naomi Klein, Blumberg, NGOs, dem Subcommandante Marcos und Hollywood mit Verschwörungsfilmen wie Matrix en vogue gemacht wurde. Die Aufkündigung des Zynismus und der Ironie resultiert laut Siemons aus einem "Überdruss an allzu subtilen Distinktionen". Unser Autor bezweifelt allerdings, dass die Welt hinter der Markenwelt "wirklicher" ist als "die Markenwelt selbst". Denn die "wirkliche Wirklichkeit" werde "einmal als solche benannt, gleich ihrerseits wieder zur Marke". Ah, brauchen wir also mehr Zynismus in der Gen-Debatte?

Joseph Croitoru berichtet von einem neuen Internetportal, mit dem sich die israelischen Araber Gehör verschaffen wollen: www.arabs48.com. Berichtet werde vor allem über Konflikte mit dem jüdischen Staat. Aber Croitoru findet auch "Geschichtsklitterung": "Über das Massaker von Dir Jassin schreiben die Autoren, mit diesem hätten die Israelis 1948 bei den damals in Palästina lebenden Arabern Panik auslösen wollen, um sie in die Flucht zu treiben. Dass, wie Historiker auf beiden Seiten mittlerweile herausgefunden haben, der arabischen Führung selbst eine wichtige Rolle bei der Hysterisierung zukam, wird hingegen verschwiegen."

Weitere Artikel: Michael Allmaier schreibt den Nachruf auf Anthony Quinn, Wolfgang Sandner gratuliert Martha Argerich zum 60. Geburtstag, Ingeborg Harms wirft einen Blick in Literaturzeitschriften, Patrick Bahners erinnert an den verstorbenen Comiczeichner Hank Ketcham, Vater von "Dennis the Menace", Oliver Elser berichtet über zehn Jahre Berliner Stadtforum.

Besprochen werden ein Nabucco an der Wiener Staatsoper, Brittens Oper "Peter Grimes" in Frankfurt, ein "Idomeneo" in Darmstadt, die Uraufführung von Karl Otto Mühls "Das Privileg" am Schillertheater NRW, eine Ausstellung mit Epitaphen und Denkmälern von Fritz Koenig im Museum in Scheveningen, eine Ausstellung mit der Fotokollektion von Manfred Heiting im Amsterdamer Rijksmuseum, Doris Dörries "Cosi fan tussi"-Inszenierung in Berlin. Und Gerhard Stadelmaier spießt die Inszenierungen bei der "Experimenta", dem Gegentheatertreffen in Frankfurt auf ("Ein unter aller kregler Großspurig- und Popigkeit merkwürdig kleinmütiges, miespetriges, feiges Theater").

Auf der Medienseite beschreibt Michael Hanfeld die Suche nach einem neuen Chef für das ZDF, und Veran Matic berichtet über freie Medien in Serbien, die schmerzliche Bilder vom Krieg verbreiten. Schmerzlich insofern, als die Serben zum ersten Mal sehen, was sie etwa in Srebrenica angerichtet haben.