9punkt - Die Debattenrundschau

Der Ingrimm der Georgier

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.03.2023. Die Hohenzollern geben klein bei und ziehen ihre Klagen auf Entschädigung zurück. Der Tagesspiegel sieht trotzdem keinen Grund zur Entwarnung, die SZ wartet vom Herrn Prinz noch auf ein Wort zu den Klagen, mit denen er Journalisten und Historikerinnen überzogen hat. Die Georgier haben mit ihren Protesten ihre Regierung gezwungen, das Ausländische-Agenten-Gesetz zurückzunehmen. Es dürfte nur taktischer Rückzieher sein, fürchtet der Jurist Guram Imnadse in der taz. Die Kultur in Tiflis steht zu Europa, die Politik zu Moskau, ahnt auch die NZZ. Der SZ graut es vor dem Zombie Urbanism, den die Digitalkonzerne jetzt auch nach München bringen werden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.03.2023 finden Sie hier

Kulturpolitik

Die Hohenzollern haben klein beigegeben, sie ziehen ihre Klage gegen das Land Brandenburg auf die Rückgabe von Immobilien wie Schloss Rheinsberg und Cäcilienhof zurück, weil sie vielleicht doch zu Recht enteignet wurden angesichts der Nazinähe von Kronprinz Wilhelm. Die Historikerdiskussion, zu der sie in Berlin geladen hatte, taugt nur noch für Glossen: "Preußen forscht", frotzelt Andreas Kilb in der FAZ. In der SZ bemerkt Lothar Müller allerdings: "Irgendein Wort zu den Klagen, mit denen das Haus in der Vergangenheit Historiker und Journalisten überzogen hat und die es nun bedauert, hätte der Mini-Tagung gut angestanden."

Im Tagesspiegel möchte Nikolaus Bernau keine Entwarnung geben: Die Hohenzollern erheben noch immer Anspruch auf mehrere tausend Kunstwerke. Wie steht es "um jene Kunstwerke, die diese Familie mit großer Sicherheit zwei Mal an den republikanischen Staat verkauft hat, etwa Watteaus grandioses Gemälde Ausschiffung nach Kythera? Wie um die Objekte, die als Hohenzollern-Besitz anerkannt sind, also jederzeit aus den Schlössern und Museen abgezogen werden können? Wie um die Verfügungshoheit über Tausende von Objekten, die in die Kulturgutschutzliste eingetragen wurden und damit faktisch nicht mehr verkauft werden können? Darum nämlich dreht es sich eigentlich in der Debatte: Um die Möglichkeiten für die Familie Hohenzollern, weiter Objekte und ganze Sammlungen frei verkaufen zu können. Zu all diesem sagte Herr Prinz von Preußen - nichts. Es sollte ja nur ein Buch vorgestellt werden. Wir können also sicher sein: Der Streit ist nicht vorbei, sondern vertragt." In der FR rollt Michael Hesse die Causa noch einmal auf.
Archiv: Kulturpolitik

Europa

Die georgische Regierung hat ihr geplantes Gesetz gegen die Finanzierung von NGOs durch ausländische Akteure nicht aus Einsicht zurückgezogen, sondern aus Angst vor einer Protestbewegung wie dem Kiewer Maidan, schreibt Reinhard Veser in der FAZ: "Stattdessen spielen die Machthaber auf Zeit. Ihre Ankündigung, sie wollten der Bevölkerung die 'Wahrheit' über das Gesetz erklären, wenn sich die Emotionen ein wenig gelegt haben, bedeutet im Klartext, dass sie das gleiche Ziel nun auf anderem Weg erreichen wollen. Das kann Erfolg haben. Wenn die Handlanger des eigentlichen Herrschers Georgiens, des Multimilliardärs Bidzina Iwanischwili, in Regierung und Parlament nicht so durchschaubar und überfallartig wie in den vergangenen Tagen handeln, sondern in kleinen, jeweils undramatisch wirkenden Schritten voranschreiten, wird der georgischen Zivilgesellschaft die Mobilisierung schwerer fallen. Und auch die Reaktion der EU wird dann womöglich nicht so klar ausfallen wie jetzt."

Im taz-Interview gibt auch der Jurist Guram Imnadse vom Social Justice Center nicht viel auf den Rückzieher der Regierung, die das Land immer weiter in die Arme Russlands treibe: "Selbst wenn das Parlament diesen Entwurf jetzt nicht annimmt, wird die schmutzige Propaganda gegen den zivilgesellschaftlichen Sektor und gegen westliche Partner mit Sicherheit fortgesetzt. Heute Morgen wachten wir mit Plakaten an den Wänden auf, die die Aktivisten als Verräter bezeichneten."

Die georgische Regierung wird auch verdächtigt, Moskau beim Unterlaufen der Sanktionen zu helfen, schreibt Werner Block in der NZZ mit Blick auf die vielen Limousinen, die in den Häfen des Schwarzen Meeres ankommen. Aber die Kultur spricht eine klare europäische Sprache, betont er in einem eher hintergründigen Artikel: "Der Ingrimm der Georgier ist verständlich. Die Kaukasusrepublik, deren Bevölkerungszahl etwa der Berlins entspricht, hatte 2008 aufgrund von Provokationen Moskau den Krieg erklärt und diesen katastrophal verloren. Ganze Provinzen wurden praktisch amputiert. Abchasien am Schwarzen Meer stürzen die Russen in immer engere wirtschaftliche Abhängigkeit. Und eine halbe Autostunde von Tbilissi, hinter den Bergen von Südossetien, lauern russische Panzer, bereit, das Land an seiner Hauptverkehrsader entzweizuschneiden."

Die gegenwärtige Phase des Krieges ist für die Ukraine "ungemein brutal", der Kampf um Bachmut wird erbittert geführt und erstmals auch in Kiew offen diskutiert, wie Ivo Mijnssen in der NZZ berichtet: "Für Selenski scheint die Verteidigung der Stadt inzwischen symbolisch und politisch ähnlich stark aufgeladen wie deren Eroberung für die Russen. In Kiew bestehe ein Konsens über deren militärischen Wert, erklärte der 45-Jährige. Damit meinen der Präsident und seine Unterstützer die Strategie, die Russen zu schwächen. Deren Winteroffensive ist nicht zuletzt in Bachmut arg ins Stocken geraten. Die Ukrainer behaupten, der Gegner habe sechsmal höhere Verluste, eine anonyme Quelle in der Nato sprach jüngst von einem Verhältnis von 5 zu 1. Diese Kräfte fielen für Attacken an anderen Abschnitten weg. Dennoch verliert auch Kiew jeden Tag Hunderte von Soldaten, was für spürbare Unruhe sorgt. Bemerkenswert ist, dass Berichte über Konflikte zwischen Selenski und Generalstabschef Waleri Saluschni in westlichen Medien landeten. Beim Fall von Sewerodonezk im vergangenen Jahr hatte nur die russische Propaganda entsprechende Gerüchte aufgenommen."

"Ich bin auch für Verhandlungen. Sobald sich Putin aus der Ukraine zurückgezogen hat", sagt der österreichische Kabarettist Josef Hader im großen SZ-Gespräch mit Andreas Tobler: "Wenn ein Staat einen anderen überfällt und wir dann zu verhandeln beginnen, was dieser Staat behalten darf, dann öffnen wir Tür und Tor und geben eine Errungenschaft auf, die wir seit 1945 hatten: dass Krieg als politisches Mittel in Europa nicht akzeptiert wird." Die Berichterstattung über den Krieg findet er dennoch zu wenig differenziert, zudem fordert er "Namenspflicht bei Meinungsäußerungen - auch in den sozialen Medien."
Archiv: Europa

Politik

Die Ärzte ohne Grenzen können als eine der wenigen Hilfsorganisationen noch in Afghanistan arbeiten. Von dem Verbot, Frauen zu beschäftigen, sind sie zwar ausgenommen, wie die Forschungsleiterin Françoise Duroch im NZZ-Interview erklärt, doch andere Drangsalierungen treffen auch sie: "Die Grenze zwischen Kompromiss und Kompromittierung ist bei solchen Vorschriften brüchig. In Afghanistan sind Millionen von Menschen in einer Notlage. Wenn die Alternative darin besteht, dass die humanitäre Hilfe eingestellt wird, sind Kleidungsvorschriften ein Zugeständnis, das wir machen können. Die Frage der Geschlechtertrennung ist komplizierter. Die Tatsache, dass eine Frau von einem Arzt des gleichen Geschlechts untersucht werden muss, erhöht die Komplexität unserer Arbeit. Vor allem in Notsituationen lässt sich die Vorschrift nur schwer umsetzen ... Ärzte ohne Grenzen kann sich mit lokalen Traditionen und Bräuchen arrangieren. Doch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist nicht verhandelbar."

Zu den zahlreichen Institutionen, die der türkische Präsident von seinen Parteigängern herunterwirtschaften ließ, gehört auch der Rote Halbmond, zürnt Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne und hofft, dass die Türken diesmal Erdogan nicht davon kommen lassen werden: "Von unseren Spenden und durch Unterstützung aus dem Staatshaushalt getragen, war der Rote Halbmond nicht einmal in der Lage, die betroffene Region mit Zelten zu versorgen. Nicht, dass der Organisation keine Zelte zur Verfügung gestanden hätten. Doch statt die Zelte in die Erdbebenregion zu schicken, wurden sie an die vor Ort Hilfe leistende NGO Ahbap verkauft. Mit unseren Geldern hergestellte Zelte wurden also an die wiederum durch unsere Spenden finanzierte Organisation Ahbap verkauft. Damit war der Skandal noch nicht vorüber. Auch die Fertiggerichte, die der Rote Halbmond den unter Hunger und Kälte leidenden Erdbebenopfern hätte schicken sollen, verkaufte er gegen Geld. Ebenso die Kleiderspenden der Bürger."
Archiv: Politik

Gesellschaft

In San Francisco und New York hat die Ansiedlung der Digitalkonzerne bereits zu urbanen Katastrophen geführt, München wird noch weniger Widerstandskraft gegen die Invasion der Techies aufbringen, fürchtet Andrian Kreye in der SZ: "In New York konnte man das in den Nullerjahren gut beobachten. Da landeten die Start-ups und Techkonzerne entlang der Silicon Alley, wie sie den Broadway südlich der 23. Straße nannten, wie Sternenkreuzer und saugten links und rechts alles Leben (Normalverdiener, Bühnen, Buch- und Plattenläden) auf, um dann Filialen von Khakihosen-, Designerbrillen- und Coffeeshopketten auszuspucken, in denen die Techies stumm auf ihre Schirme starrten und nebenbei die Mieten hochtrieben. New York ist nicht die einzige Stadt, die das schon hinter sich hat. Seattle, Austin und Boston sind inzwischen solche Hochburgen der digitalen Welt. Ausgewählte Platten und Bücher kann man dann beim Klamottendiscounter Urban Outfitters kaufen, dem Evil Empire der 'Fauxhemia'- und 'Zombie Urbanism'-Phänomene."

In der Welt knöpft sich Peter Huth jene Staranwälte vor, die gern Angeklagte der Organisierten Kriminaltität verteidigen, ohne zu fragen woher das Geld ihrer Mandanten stammt. Warum fallen sie nicht wie andere Berufe auch unter Geldwäsche-Regelungen? "Viele dieser Kanzleien findet man in den besten Lagen der Städte, in der Hauptstadt beispielsweise sehr gerne im Bereich um den feinen Kurfürstendamm. Die Anwälte selbst trifft man auf Vernissagen, Charity-Events oder bei der Berlinale-Eröffnung, sie schlendern sicher über das gesellschaftliche Parkett, parlieren mit Politik und Wirtschaft und sind vor allem: hervorragend ausgebildet. Sie zählen ohne Zweifel zu den besten ihres Fachs. Kurz - sie kennen alle Tricks und haben keine Skrupel, sie anzuwenden. Mein Lieblingsbeispiel ist nach wie vor ein presserechtlicher Prozess, der gegen die Berliner B.Z. angestrengt wurde, deren Chefredakteur ich war. Es ging darum, dass wir einen Zuhälter eben als Zuhälter bezeichnet hatten. Das Verfahren ging für uns verloren. Die Anwältin des Clanmitglieds konnte das Gericht davon überzeugen, dass ihr Klient keineswegs als 'Zuhälter' bezeichnet werden dürfe, sondern lediglich als jemand, der Berliner Bürgersteige an Prostituierte vermiete. Dass das Gericht dieser Einlassung folgte, bleibt hier unkommentiert."
Archiv: Gesellschaft
Stichwörter: Staranwälte, Technokratie