Außer Atem: Das Berlinale Blog

Unterkörperfixiert: Tea Lim Kouns 'Snake Man' (Forum)

Von Nikolaus Perneczky
16.02.2012.


Alles beginnt mit einem halbstündigen Prolog, der nach sozialem Realismus aussieht - ein trunksüchtiges Ekelpaket von einem Mann, seine geschundene, aber wunderschöne Frau und das gemeinsame Kind in einer ärmlichen Hütte am Waldesrand -, wäre da nicht die sprechende Schlange, mit der die Frau in Abwesenheit ihres brutalen Gatten eine Liebesbeziehung anfängt. Es sei zwar eine Schlange, schaltet sich an dieser Stelle ein Erzähler ein, der Sex aber allemal besser als mit ihrem Mann. Bald kommt der Gehörnte der Schlange auf die Schliche und hackt ihr den Kopf ab. Als er im Zorn dann auch seine schwangere Frau richtet, indem er ihr den Unterleib aufschneidet, quillt eine ganze Schlangenbrut aus ihrem Uterus. Nur eine von ihnen überlebt und verwandelt sich, etliche Jahre später, in den Schlangenmann.

"Mit langem Atem und ohne eine langweilige Minute", so der Katalogtext, sei Tea Lim Kouns Märchenfilm "Puos Keng Kang / The Snake Man" von 1970 erzählt. Das ist, mit Verlaub, eine Übertreibung. Zwar entfaltet der Film irgendwann tatsächlich eine Art epischer Qualität, bei seinen drei Stunden Laufzeit wäre es aber auch verwunderlich, wenn er dies nicht täte. Im Verlauf seiner mäandernden Bewegung fallen ein paar originelle Sujets und Dekors an, aber ein bisschen dichter und gleichmäßiger müssten sich die Regieeinfälle schon drängen, um die völlige Abwesenheit erzählerischer Proportionalität wettzumachen.

Immer wieder steht der Fortgang der Handlung für eine Viertelstunde still, um ausgedehnten Schauspiel- oder besser: Schaustell-Exzessen Platz zu machen, die, wiewohl anstrengend bis nervenaufreibend, mit zum Sonderbarsten gehören, was mir je im Kino untergekommen ist. Schnell ist man mit Begriffen wie der Karikatur, der Groteske oder dem Burlesken zur Hand, aber so richtig trifft es keiner. Derb, unterkörperfixiert und völlig enthemmt chargieren die Bösen und die Einfältigen in "Puos Keng Kang". Hinzu kommt, dass sie sich sehr, sehr viel Zeit lassen, um ihren Neid, ihre Geilheit, ihre Niederträchtigkeit körperlich auszuagieren. Minutenlang winden sie sich um Einrichtungsgegenstände und reiben sich an ihnen, unterstützt von nachsynchronisiertem Stöhnen, Schnaufen, Lechzen. Kaum zu ertragen, dass hier Menschen nur über ihren Körper denunziert werden, unerträglicher aber - noch vor jeder ethischen, auch ästhetischen Erwägung - das ganz unmittelbar-physische Unwohlsein, dass diese Szenen bereiten.

Ein Stück weit erlöst wird "Puos Keng Kang" aber glücklicherweise in seinen märchenhaften Set pieces: Ein Kind mit Helmfrisur aus zum Teil echten Ringelnattern, eine sprechende Vogelfamilie, die grässlichen Mutationen einer Waldhexe und nicht zuletzt der titelgebende Snake Man, der sich in eine Schlange verwandelt, die dann zu allem Überdruss auch noch zu Stein erstarrt; sie alle sind Lichtblicke in einem ansonsten enttäuschenden Film, vor allem im Vergleich zu Ly Bun Yims herausragendem "Puthisen Neang Kongrey" (Besprechung hier), der den Auftakt bildete zum sehr verdienstvollen kambodschanischen Schwerpunkt des diesjährigen Forums. Dass man letzterem seine Längen bereitwillig vergab, lag auch an der leuchtenden Cinemascope-Kopie, die unter abenteuerlichen Umständen ihren Weg nach Berlin fand. "Puos Keng Kang" dagegen ist, man muss es leider sagen, in einer minderwertigen Digitalisierung wie durch Milchglas zu sehen und zu hören.

Nikolaus Perneczky

"Puos Keng Kang - The Snake Man". Regie: Tea Lim Koun. Mit Chea Yuthorn, Dy Saveth, Peov Vicheth, Saksi Sbong, Mongdolin u.a., Kambodscha 1970, 164 Minuten. (Vorführtermine)