Magazinrundschau

Ein Zuckerbergsches Pornoversum

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
03.05.2022. Rest of World lernt, wie man das Internet abschaltet - und es kostet nur 6000 Dollar! Harper's sieht in Las Vegas unsere sexuelle Zukunft. Der Guardian lässt sich erklären, warum Igbo gewissermaßen traditionell jüdisch sind. In Atlantic denkt Peter Pomerantsev über eine demokratische Reeducation der Russen nach. Im Merkur erklärt Steffen Martus, was richtig schlechte Laune macht: Moral ohne Arbeit. Die LRB erkundet die Realität der Landwirtschaft. GQ besucht einen Stamm der digitalen Nomaden auf Madeira.

Rest of World (USA), 26.04.2022

Am 28. Januar 2011, auf dem Höhepunkt der von den sozialen Netzwerken befeuerten ägyptischen Revolution, als alles möglich schien, wurde das Netz einfach abgeschaltet. Es war das erste Mal, das dies in einem ganzen Land geschah - volle fünf Tage lang ging nichts mehr. Seitdem wurde dieser Vorgang vielfach kopiert, berichtet Peter Guest in seiner lesenswerten Reportage. Die Bürgerrechtsorganisaton "Access Now hat seit 2016 mindestens 935 vollständige oder teilweise Internetabschaltungen in mehr als 60 Ländern erfasst." In einigen Ländern, in denen es nur wenige Knotenpunkte gibt, die die Regierung beherrscht (China oder Burma zum Beispiel), ist das einfach. In anderen, wie Russland, wo es hunderte von Internetprovidern gibt, ist das schon schwieriger. Dabei hilft eine Technologie namens Deep Packet Inspection (DPI). DPI kann den Datenverkehr von einer bestimmten Website oder einem bestimmten Dienst in eine Sackgasse umleiten und so verlangsamen, dass der Dienst unbrauchbar wird, so Guest. "Die Drosselung einzelner Dienste und Websites ist schwieriger zu erkennen als eine direkte Sperrung und ein Verbot und kann dazu verwendet werden, die Zensur als technischen Fehler oder lokalen Ausfall zu verschleiern. ... 'In den letzten fünf Jahren hat die russische Regierung ihr Modell der so genannten Cyber-Souveränität verfolgt und versucht, digitale Grenzen für das Internet zu errichten, damit der Staat kontrollieren kann, was online ist und was nicht', sagte Allie Funk, leitende Forschungsanalystin für Technologie und Demokratie bei Freedom House. 'Und zu sehen, wie sich das alles bewährt hat, war wirklich erstaunlich mit anzusehen.' Der Erfolg des russischen Ansatzes zeigt, dass es heute möglich ist, die Kontrolle über ein komplexes, robustes Netzwerk zu erlangen, ohne große Summen auszugeben. Das Modell ist aufgrund der zahlreichen Unternehmen, die DPI-Technologie verkaufen, immer leichter zu kopieren. DPI ist billig und leicht zugänglich geworden, da die Geräte von kommerziellen Anbietern [wie dem kanadischen Sandvine] jeweils nur 6.000 Dollar kosten." In Ägypten versucht eine zensierte Journalistin jetzt "herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gibt, das Sandvine in Kanada oder den USA zu verklagen. Sie verglich den Verkauf von Zensurtechnologie mit dem Verkauf von Waffen. 'Man kann doch auch keine Waffen an Länder verkaufen, die sie gegen Zivilisten einsetzen, oder? Warum passiert das nicht bei der Technologie?', fragte sie."
Archiv: Rest of World

Harper's Magazine (USA), 01.05.2022

Sam Lipsyte findet in Las Vegas die Zukunft der sexuellen Erfüllung - sie nennt sich "Digisexualität" und gegenüber dem, was uns da blüht, wirkt der Boom der Online-Pornografie in den letzten 20 Jahren in etwa so beschaulich wie heute Erotikheftchen aus den 60ern: Sex mit Robotern, Eintauchen in die erotischen Sphären der Virtual-Reality im Ganzkörperanzug - J.G. Ballard und David Cronenberg hätten es sich nicht schöner ausdenken können. Für Menschen, denen aus verschiedensten Gründen ein aktives sexuelles Leben verwehrt bleibt, könnte dies zwar einer Erlösung gleichkommen, schreibt Lipsyte in seiner launigen Reportage. Aber aus der Utopie könnte rasch eine Dystopie werden:  "Ich werde diese dunkle Vorahnung einfach nicht los, wenn ich mir ein Zuckerbergsches Pornoversum vorstelle. Die großen Social-Media- und Tech-Firmen haben bereits erheblichen Anteil daran, den öffentlichen Diskurs zu pervertieren, den allgemeinen Grundkonsens zu erschüttern und die Vernunft zu strangulieren. Wartet bloß ab, was erst geschieht, wenn die auf Sex abfahren. Abgeschottet in unseren Helmen und beim Kuscheln mit den Bots - so werden wir leichte Ziele für alle möglichen Arten von Manipulation. Und selbst wenn wir den Eindruck haben, dass unsere exquisitesten individuellen Sehnsüchte mit der Präzision einer lernenden Maschine erfüllt werden, werden wir doch einsamer sein als je zuvor."

Guardian (UK), 26.04.2022

Die jüdische Diaspora im Norden und Süden Afrikas ist bekannt, doch auch in vorwiegend christlich und muslimisch geprägten Ländern Afrikas wie Nigeria haben sich in den vergangenen Jahren Gemeinden gebildet, die in ihrer Tradition Gemeinsamkeiten mit dem Judentum sehen, was sie aus ihrer Sicht als Israeliten legitimiert, berichtet Samanth Subramanian, der einige dieser Gemeinden besucht hat. Israel erkennt sie nicht an, liberalere Rabbiner aus den USA sehen in ihnen jedoch eine Chance für das Judentum, sich vielfältiger weiterzuentwickeln und zu verbreiten: "Neun von zehn nigerianischen Juden sind Igbo, fragt man sie nach dieser fast schon totalen Übereinstimmung, geben alle die gleiche Antwort: Laut ihrer traditionellen Erzählung stammen die Igbo von Gad ab, einem der Söhne Jakobs und Anführer von einem der zehn verlorenen Stämme Israels. Als Beweis verweisen sie auch auf die Bräuche der Igbo, die jene der Tora widerspiegelten: die Beschneidung eines männlichen Kindes acht Tage nach der Geburt, zum Beispiel, oder die Regelungen, wann eine menstruierende Frau als 'rein' oder 'unrein' gilt. Ein Mann, den ich in Abuja traf, hatte eine Liste mit hunderten Igbo-Wörtern zusammengestellt, die ähnlich wie ihre hebräischen Synonyme klangen. Ein anderer zeigte mir ein Video eines traditionellen Igbo-Tanzes, in dem ein Mann einen blau-weiß karierten Umhang trug - die gleichen Farben wie der jüdische Gebetsmantel. Ben Avraham, dessen Bart an schwarze Stahlwolle erinnert und der seine Schläfenlocken bis über den Kiefer trägt, ist auch ein Igbo. Als seine Unzufriedenheit mit der Kirche wuchs, glaubte er, der Judaismus könnte sich ungehindert mit seiner Igbo-Identität verweben. Doch er musste noch herausfinden, wie das Judentum praktiziert wird, dafür war sein Timing perfekt. In den 1990er und 2000er Jahren verkleinerte sich die Welt so stark und schnell, dass Igbo-Juden mit Hilfe ferner Ratschläge und dem Internet in der Lage waren, sich selbst ihren erwählten Glauben beizubringen. Während Ben Avraham lernte, jüdische Websites studierte, E-Mails an Rabbis im Ausland sendete und sich mit jüdischen Besuchern in Port Harcourt befreundete, um sie nach Informationen auszufragen, fühlte er sich mehr und mehr zu Hause. Jüdisch werden, sagte er, ist für die Igbo 'keine Entdeckung. Es ist eine Rückkehr'."
Archiv: Guardian

The Atlantic (USA), 01.05.2022

Peter Pomerantsev hat neulich schon einen der klügsten Essays zum Ukraine-Krieg vorgelegt - da fragte er sich, welchen Namen Putins Verbrechen eigentlich tragen sollte (unser Resümee). Nun legt er einen ebenso faszinierenden Text vor, der letztlich von einer kommenden demokratischen Reeducation der Russen handelt. Wie genau sollen die Russen dereinst verstehen, dass sie in der größten je gemessenen Blase gelebt haben? Pomerantsev erzählt von einer ukrainischen Familie, die unfreiwillig über Wochen fünf russische Soldaten beherbergte - und vom Lernprozess dieser Soldaten. Es handelte sich um eine Art Ausnüchterung. Eine gute Sache gibt es dabei, so Pomerantsev: "Bei Putins berühmtem Propagandasystem ging es schon immer weniger darum, Begeisterung, sondern eher Zweifel und Unsicherheit zu schüren, und so viele Versionen der 'Wahrheit' zu verbreiten, dass die Menschen sich verloren fühlen und unter die Fittiche eines autoritären Führers kriechen." Pomerantsev schlägt für eine künftige pädagogische Arbeit mit den Russen das Gegenteil dieser Art von Propaganda vor: "So etwas wie Online-Rathaus-Versammlungen, an denen gewöhnliche Russen teilnehmen und in denen westliche Prominente mit großer russischer Fangemeinde wie Arnold Schwarzenegger (dessen jüngster Video-Appell an seine russischen Fans millionenfach angesehen wurde) ein anderes Russland ausmalen. Stellen Sie sich interaktive Medien vor, in denen die Russen nach Einzelheiten über die Geschehnisse an der Front fragen können und faktengestützte Antworten erhalten."
Archiv: The Atlantic

Merkur (Deutschland), 01.05.2022

Um sich die Aggressionsbereitschaft und die Lust an der schlechten Laune bei den Querdenkern zu erklären (wobei man beides heute auch bei vielen linken Gruppen findet), blickt der Literaturwissenschaftler Steffen Martus zurück auf die neunziger Jahre, als Christian Kracht und Botho Strauß, die Politik ästhetisierten und "das Sich-irgendwie-grundsätzlich-schlecht-Fühlen" zum Fundament einer politischen Radikalopposition machten, wie Martus schreibt: "Im 18. Jahrhundert war die 'Ästhetik' als Wissenschaft vom 'Grund der Seele' etabliert worden, jener Zone also, wo aus unbedachten Kleinigkeiten und unscheinbaren Anzeichen folgenreiche Handlungen erwachsen und die daher kultiviert werden muss. Wo Argumente nicht verfangen, weil dazu keine Disposition bestand und weil man keinen Geschmack an einem bestimmten Denkstil und seinen Voreinstellungen fand, da sollten nicht zuletzt die Künste für entsprechende Neigungen sorgen. Weil es um untergründige Strömungen ging, schlug auch für Strauß die Stunde der wahren Poesie als Schöpfung desjenigen, der den 'Mut zur Sezession' aufbringt. Er interessierte sich dezidiert nicht dafür, wie man demokratische Prozesse konkret etwa vor jenem Wählerstimmenmonopoly bewahren könnte, das bei der Planung der ersten Bundestagswahl im wiedervereinigten Deutschland einen schalen Geschmack hinterließ. Stattdessen handelte er vom 'Demokratismus' als allgemeiner Befindlichkeit der Massengesellschaft. Er grübelte nicht darüber, wie sich politische Entscheidungen mit wirtschaftlichen Gegebenheiten so harmonisieren lassen, dass die damals gerade laufende Arbeit der 'Treuhandanstalt' nicht so verheerend wirkte; ihn beschäftigte der 'Ökonomismus' als Zeitgeistphänomen. Und die Gestaltung einer humanen Einwanderungspolitik war ihm ebenso egal wie die Frage, wie sich Moral und Politik ohne Selbstüberforderung oder -überschätzung verbinden lassen. Oder wie man politische Mehrheiten für den Klimaschutz gewinnt. Strauß zielte stattdessen andeutungsreich aufs Große und Ganze, und dort steht man gewöhnlich vor Entwicklungen, die sich wie Naturereignisse jeder systeminternen Gegenmaßnahme entziehen und daher harten, umfassenden Protest verdienen."

Außerdem: Jana Volkmann wirft angesichts der jahrhundertelangen Ausbeutung von Tieren die Frage auf, ob sich marxistische Arbeitstheorien auch auf diese geschundenen Kreaturen anwenden ließen.
Archiv: Merkur

London Review of Books (UK), 02.05.2022

Christopher de Bellaigue, einst Reporter im Mittleren Osten, erkundet die Verzweiflung der britischen Landwirte, die James Rebanks in "English Pastoral" und Bella Bathurst in "Field Work" beschreiben. Wenn Bathurst Abdecker, Apfelbauern und Ministerialbeamte trifft, dann lernt de Bellaigue, wie groß das Unwissen der Städter und Beamte mittlerweile geworden sei: "Während Bathaurst einem Tierarzt namens Dan dabei hilft, Kühe auf Tuberkulose zu testen, erfährt sie, dass der Trend zum Double-Muscling - der Zucht von Rindern, die doppelt so viele magere Muskeln haben wie von Natur aus - dazu führt, dass die Kälber bestimmter Rassen nur noch per Kaiserschnitt geboren werden können. Das macht Dans Leben gefährlicher - kürzlich wurde er doppelläufig (also von zwei Hufen) quer durch einen Stall geschleudert und entging nur knapp einem Genickbruch. Von Bathursts Tag auf dem Hereford Tiermarkt erfahren wir, dass britische Muslime die Schafzucht am Leben halten, während der Rest des Landes zu Nuggets verarbeitete Hühner aus Watte bevorzugt. Sie beschreibt den ständigen Kampf der Landwirte gegen Krankheiten. Für die britische Stadtbevölkerung fiel Covid als Jahrhundertereignis wie ein Meteorit vom Himmel. Für die Landbevölkerung, die an aufeinanderfolgenden Wellen von Tuberkulose, BSE und Maul- und Klauenseuche gewöhnt war, war es nur eine weitere notwendige Anpassung auf der langen Liste für Anpassungen'. Und, so hätte Bathurst hinzufügen können, ein weiterer Beitrag zur Kluft im Verständnis zwischen den Stadtbewohnern und der winzigen Zahl derer, die weiterhin auf dem Land leben."

Eurozine (Österreich), 29.04.2022

Javor Siderow erzählt vom schweren Kampf der neuen bulgarischen Regierung unter Kiril Petkow gegen die Korruption im Lande. Lange Zeit litt das Land unter dem Regime Bojko Borissows, der wie Viktor Orban ein Liebling der Europäischen Volkspartei war. Der russische Einfluss im Land ist drückend. Aber immerhin: "Die Regierung Petkow war bei der Verringerung der russischen Energieabhängigkeit wesentlich entschlossener als die Regierung Borissow. Eine Pipeline nach Griechenland, die den Zugang zu billigem Gas aus Aserbaidschan ermöglichen und damit die Schlinge um Gazprom lockern soll, wird eilig fertiggestellt. Vor der russischen Invasion in der Ukraine erklärte der stellvertretende Premierminister und Finanzminister Asen Vassilev, dass Bulgarien in die Kernenergie investieren werde, und das Land unterstützte den französischen Antrag, Kernenergie im Hinblick auf den bevorstehenden Green Deal der EU für 'grün' zu erklären. Laufende Verträge werden eingehalten, aber es werden keine neuen Geschäfte mit Gazprom abgeschlossen, bis der Krieg in der Ukraine beendet ist."
Archiv: Eurozine

En attendant Nadeau (Frankreich), 27.04.2022

"Es scheint mir, dass ich keine Romane mehr schreiben werde", sagt Ljudmila Ulitzkaja (französisch: Oulitskaïa) mit melancholischer Beiläufigkeit in einem Gespräch, das ihrem neuen, ins Französische übersetzen Erzählband "Le corps de l'âme" gewidmet ist: "Ich denke, dass in unserer Zeit das Genre der Kurzgeschichte die Romanform verdrängt hat. Heutzutage ist alles sehr konzentriert, die Menschen haben wenig Zeit zum Lesen und jeder möchte Mitteilungen, auch literarische, in kürzerer Form erhalten." Sie erklärt auch, warum Frauen in ihren Romanen eine so große Rolle spielen, und hier erhält das von Gabrielle Napoli geführte Gespräch zwanglos Aktualität: Die Frauen, sagt Ulitzkaja, seien in Russland generell von höherer Qualität. Sie seien es, die mit der Zukunft, der Kindererziehung befasst sind, während die Männer durch den Wegfall der Sowjetunion ihr Selbstbild verloren haben. Außerdem gebe es einfach viel mehr Frauen: "Dafür gibt es viele Gründe, darunter auch rein demografische. Die Dominanz der Frauen in der Bevölkerung ist auf drei Faktoren zurückzuführen: kleine und große Kriege, die vor allem Männern das Leben kosten; Gefängnis, wo sich viele Männer im zeugungsfähigen Alter befinden; und Alkoholismus, der ebenfalls nicht gerade förderlich für die Fortpflanzung ist. So dass Frauen immer häufiger Aufgaben übernehmen, die früher von Männern wahrgenommen wurden."
Stichwörter: Ulitzkaja, Ljudmila, Russland

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.04.2022

Die Literaturhistorikerin und Russistin Zsuzsa Hetényi (ELTE Budapest) spricht im Interview mit Benedek Várkonyi u.a. über die veränderte Bedeutung der Slawistik in den westlichen Ländern, auch in Deutschland, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. "Die westliche Welt hat kaum einen Schimmer davon, was in Russland passiert und ein eindeutiger Beweis dafür ist die Sprache der Verhandlungen und der Gedankengang der Abmachungen. Als ich jung war, in den siebziger und achtziger Jahren, existierten große Slawistik-Lehrstühle, es gab ernsthafte Forschung zum Kreml und der Sowjetunion, mit Wissenschaftlern, die über die russische Kultur und ihrer Geschichte Bescheid wussten. Sie konnten die aktuellen Ereignisse ihrer Zeit begreifen. Nach der Wende wurden viele dieser Lehrstühle eingespart. In Deutschland, wo es ja Geld für die Wissenschaft gibt, wurden Slawistik-Lehrstühle zusammengelegt, die Anzahl der Wissenschaftler drastisch gesenkt. Die postsowjetischen Emigranten, die massenhaft anfingen an diesen Institutionen zu arbeiten, sind nicht im Stande, das heimische System von Außen zu betrachten. Der späte Sozialismus und die Zeit der Wende verstärkten lediglich die Ansicht, dass ein Literaturhistoriker oder ein Historiker sich weder mit gesellschaftlichen noch mit aktuellen Fragen beschäftigen muss."
Stichwörter: Hetenyi, Zsuzsa, Slawistik

Gentlemen's Quarterly (USA), 27.04.2022

Corona war für viele Unternehmen ein herber Schlag. Aber einige Unternehmer witterten auch neue Geschäftsideen. David Kushner erzählt von einer im schönen Ponta do Sol, einem antiken Dorf auf der subtropischen Insel Madeira. Hier versammeln sich jeden Tag eine handvoll digitale Nomaden und begrüßen den Morgen mit einer Runde Yoga. "Sie sitzen auf einer steinernen Terrasse, einige hundert Meter über dem Atlantik, der lautstark gegen die Lavafelsen unter ihnen prallt. Rosa-orangefarbenes Licht breitet sich über den weiten blauen Horizont aus, weit hinter den grünen, terrassenförmig angelegten Bergen und den kaskadenförmigen Wasserfällen. Aber das sind keine Trust-Funder auf Urlaub. Es sind internationale Auswanderer der Profiklasse, die während der Pandemie hierher gezogen sind, um zu leben und zu arbeiten. ... Während Länder von Aruba bis Georgien versuchen, Nomaden anzulocken, um ihre von einer Pandemie geplagten Volkswirtschaften anzukurbeln, geht diese winzige Insel vor der Küste Nordwestafrikas mit gutem Beispiel voran. Barrett und die anderen Besucher hier sind Teil von Digital Nomads Madeira, einem einzigartigen Programm, das auf ihre Bedürfnisse eingeht: Es hilft ihnen bei der Suche nach Mietwohnungen, stattet sie mit einem hochmodernen Coworking Space im Stadtzentrum aus und organisiert über einen privaten Slack-Kanal soziale Veranstaltungen, wie die heutige Yoga-Session. Dies ist die Vision des ehrgeizigen Gründers des Programms, Gonçalo Hall. Der stämmige, gesellige 34-Jährige aus Lissabon, der 'immer in Badeshorts' unterwegs ist, wie er mir erzählt, ist einer der führenden Evangelisten für die aufstrebende Nomadennation. Mit einer Investition von gerade einmal 35.000 Dollar von der lokalen Regierung gründete er im Februar letzten Jahres Digital Nomads Madeira, nachdem die Tourismuswirtschaft der Insel stark zurückgegangen war. Innerhalb von sechs Monaten hatten die Nomaden eine lebendige, nachhaltige Gemeinschaft geschaffen - und der lokalen Wirtschaft zu einem Neustart verholfen. Micaela Vieira, Projektleiterin von Startup Madeira, einem mit staatlicher Unterstützung betriebenen Gründerzentrum, sagt, dass die Nomaden schätzungsweise 1,5 Millionen Euro pro Monat erwirtschaftet haben. 'Sie haben enorm geholfen', sagt sie."