Außer Atem: Das Berlinale Blog

Irgendwann geht das Licht aus: Teresa Villaverdes 'Colo' (Wettbewerb)

Von Thomas Groh
15.02.2017.

Lissabon, Wirtschaftskrise. Eine Familie - von der Einrichtung her: weißgott keine, die man der untersten Schicht der Bevölkerung zugerechnet hätte - bekommt die Folgen eines schleichenden Wohlstandsverlusts konkret zu spüren: Die Mutter verschwindet plötzlich, taucht dann wieder auf. Dann ist der Vater verschwunden, der sich mit sinnlosen Tätigkeiten den Tag vertreibt. Das Geld für den Bus für die Tochter reicht kaum hin. Mit der Bank sei alles geregelt, sagt die Mutter einmal. Nur mit dem Strom ist es so eine Sache. Ein paar wenige Tage leuchten die Lampen zwar noch, doch begleichen kann die Familie ihre Schulden frühestens in ein paar Wochen. Zwischendurch entführt der Vater einen ehemaligen Schulkameraden, der an einer jobtechnisch relevanten Position sitzt, aufs Läppischste.

Teresa Villaverdes "Colo" ist ein Film jener Sorte, die mittlerweile recht typisch sind für den Wettbewerb der Berlinale: Im Kern ein Film um ein gesellschaftlich relevantes Thema, das seine Filmkunst-Marker auf eine Weise verteilt, so dass sichergestellt ist, dass Festival, Film und Festivalpresse unter sich sind. Vielleicht bin ich nach einer Woche Festival auch einfach zu harsch - das mag sein. Aber Filme wie "Colo" scheinen mir in erster Linie eben doch vor allem eine Art Betriebskino zu sein, das Sensibilitäten eher skizziert statt ihnen wirklich zu folgen.


Gewiss, es geht hier um Beobachtung. Dafür sprechen die sorgfältigen Kamera-Kadrierungen, die Staffelungen des Raums und wie sich Menschen darin bewegen, ob und wohin sie bewegen, oder wann sich die Kamera bewegt. Eine Familie im Übergang, Auflösung sozialer Strukturen - ja, gewiss geht es darum, in spröder Tonlage. Ist ja auch alles nicht verkehrt. Aber: Und jetzt?

Dennoch fühlt sich solches Kino im Kontext der Berlinale immer auch sonderbar diffus an. Anwesend sind Fachjournalisten aus aller Herren Länder, eingekesselt im Prunk des großen Berlinale-Palasts, draußen liegt der rote Teppich und das Personal bereitet die nächste Galavorführung vor. Vor dem nächsten Film gibt es wieder den Funkelfeuerwerk-Jingle der Berlinale. Und dann sitzen alle im Saal, zelebrieren social awareness, die allerdings niemandem wirklich etwas abverlangt. Einmal sitzt der Vater in der Badewanne und stülpt sich einen Eimer über den Kopf - halbe Filmkunst! Und alle nehmen als zentrale Erkenntnis mit nach Hause, dass bei armen Menschen irgendwann das Licht ausgeht.

Thomas Groh

Colo, Portugal 2017. Regie/Buch: Teresa Villaverde. Kamera: Acácio de Almeida. Mit: João Pedro Vaz, Alice Albergaria Borges, Beatriz Batarda, Clara Jost, Tomás Gomes, u.a. 136 Minuten (Vorführtermine)