Im Kino

Eine gewaltige Nervensäge

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Michael Kienzl
30.05.2017. Märtyrerinnen müssen jungfräulich bleiben in Ry Russo-Youngs "Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie". Die totale Kontrolle über den eigenen Körper gewinnen möchten in Seth Gordons Kinoversion von "Baywatch" Dwayne Johnson und Zac Efron.


Dass sich "Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie" von anderen Filmen nimmt, was er braucht, um seine Geschichte zu erzählen, wäre erst einmal kein Problem. Schon die Art, wie er das tut, sollte einem jedoch zu Denken geben. Der Filmt stellt seine aus Kommerzzusammenhängen diverser Art bekannte Mischwesenhaftigkeit mit einer Plakativität aus, die von Plakat kommt. Zielgruppengerecht ist der Film auf das hin hin konzipiert, was auf seinen Postern bzw. den späteren Heimmediencovern stehen wird: "Groundhog Day" meets "Mean Girls". Damit fangen die Probleme allerdings gerade erst an und sie setzen sich nahtlos darin fort, dass die Vorbilder beide Komödien waren, deren Geschichten - um einen zynischen Wetterfrosch, der in einer Zeitschleife hängen bleibt; beziehungsweise um eine gemeine Mädchenclique - diesmal im Mysterymodus variiert werden. Wer das für eine nicht sonderlich gute Idee hält, dem gibt der Film alsbald recht.
 
Am Anfang scheint die jugendliche Samantha Kingston (Zoey Deutch) alles, und auch noch eine ganze Menge vor sich zu haben. Sie wohnt in einer suburb für Betuchte. Mit ihren drei besten Freundinnen formt sie die populärste Clique der Schule. Nun, da ihre High School-Zeit dem Ende entgegen geht, will sie auf einer der vielen Partys, auf die die Mädchen ständig eingeladen werden, mit ihrem Freund, mit dem sie schon eine Weile zusammen ist, endlich das erste Mal erleben; und welcher Tag sollte dafür besser geeignet sein als dieser? Es ist Cupid Day, Valentinstag. Doch dann kommt alles anders. Ihr Freund ist zu betrunken, um mit ihr in die Kiste zu steigen, aber offensichtlich nüchtern genug, um sich nach anderen Frauen umzusehen. Frustriert macht sie sich mit den anderen Mädchen auf den Heimweg. Dabei kommt es zu einem fatalen Autounfall - und dennoch erwacht Sam am vermeintlichen nächsten Morgen in ihrem Bett, nur um nach und nach festzustellen, dass ihr ihr neues Heute wieder Gestern ist. Sie hängt von nun in einer Zeitschleife fest, die sie den Tag, an dessen Ende sie ihr Leben verlieren wird, immer und immer wieder erleben lässt.
 
Eigentlich fängt der vierte Langfilm, der seinen sonderbar sperrigen deutschen Titel der gleichnamigen Jugendbuchbestseller verdankt, auf dem er basiert, vielversprechend an. Die Kamera hat ein feines Gespür für die Schauplätze, den Kosmos, in dem sich die Protagonistin und ihre Clique bewegen. Von den helicopter shots der reichen suburbs zu Beginn bis hin in die Mensa, die, wie so oft im High School-Film, der Ort ist, an dem die gnadenlosen Hierarchien und Machtverhältnisse unter den SchülerInnen am Unerbittlichsten zu Tage treten. Hier wird Tratsch über die neuesten posts und Instagram-Fotos ausgetauscht und die ziemlich verwahrlost daher kommende, mit psychischen Problemen kämpfende Mitschülerin Juliet (Elena Kampouris), die sich zunächst keiner größeren Transgression schuldig macht, als durch den Raum zu gehen, per Rufen der coolen Schülerinnen an ihre Position auf der untersten Stufe der Popularitätsleiter erinnert.
 


Auch hat Russo-Young ein inszenatorisches Konzept. Wie sie die vier Mädchen in einigen Einstellungen nebeneinander im Scope-Bildkader anordnet weiß zu gefallen und unterstreicht, wie sehr sie in ihrer Machtposition larger than life sind. Den Zynismus und die Gemeinheit der Protagonistin zu Beginn nimmt der Film aber nur als Ausgangspunkt für eine so moralinsaure wie esoterische Läuterungsgeschichte. Sam durchläuft eine Entwicklung, bei der sie zunächst alles daran setzt, den Verlauf des Tages so zu verändern, dass es nicht zum Unfall kommt, was ihr schließlich auch gelingt. Als sie auch das nicht aus der Zeitschleife befreit, verzweifelt sie und wird infolgedessen noch zynischer. Wenn sie schon ihrem Zeitgefängnis nicht entkommt, dann kann sie doch zumindest mal so richtig die Sau rauslassen. Sich gegenüber ihrer Familie noch abweisender und kälter verhalten als sowieso schon in ihrer Teenagerrebellion, in einem viel zu aufreizenden Outfit zur Schule gehen, den Freundinnen mal so richtig die Meinung sagen, usw.
 
Auch das erweist sich als Irrweg. Und damit wird der Film, in dem Maße, wie seine Protagonistin immer besser wird, immer unerträglicher. Denn das, was er als das Gute erachtet, stellt sich als eine Aneinanderreihung von esoterischen und banalen Plattitüden heraus. Ihre bitchy Freundinnen darf sie eines Besseren belehren. Mehr und mehr Empathie entwickeln für die SchülerInnen, die sie früher eifrig auszugrenzen half, und auch in ihrer Familie gibt es ausführliche Versöhnungen und Versöhnlichkeiten. Zu ihrer lispelnden kleinen Schwester etwa, die für die alte Sam nichts war als eine gewaltige Nervensäge, sagt sie irgendwann: "Du bist okay so wie du bist."
 
Dass das Gute, das der Film propagiert, stinklangweilig ist und ich mir irgendwann nur noch die alte Sam zurück gewünscht habe, dass es schon eine ziemlich Tortur ist zu sehen, wie das Pathos der Form nicht in einer Szene gegen den zum Himmel schreienden Kitsch des Inhalts gewinnen kann, ist tatsächlich immer noch nicht das größte Problem des Films. Es gibt da noch ein Detail, bei dem man sich endgültig fragt, ob Russo-Young weiß, was sie tut. Am Ende nämlich verzichtet Sam, um weiter die Welt retten zu können, auch auf ihr erstes Mal, das sie natürlich jetzt mit dem richtigen Jungen haben könnte, den sie zu Beginn beflissentlich ignorierte. Der Film propagiert damit, ob er es will oder nicht, eine Philosophie der Aufopferung und des Verzichts. Müssen Märtyrerinnen also tatsächlich jungfräulich sterben?
 
Nicolai Bühnemann
 
Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie - USA 2017 - OT: Before I Fall - Regie: Ry Russo-Young - Darsteller: Zoey Deutch, Halston Sage, Logan Miller, Kian Lawley, Elena Kampouris, Cynthy Wu - Laufzeit: 98 Minuten.
 
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Es ist vor allem ein Bild, das zur Ikone der langlebigen Fernsehserie "Baywatch" wurde: Schöne, durchtrainierte Menschen laufen in Zeitlupe einen Strand entlang. Die extreme Verlangsamung der Bewegung führt dazu, dass die furchtlosen Rettungsschwimmer noch anmutiger und erhabener wirken als sie es ohnehin schon sind. "Baywatch" feierte die Makellosigkeit seiner Protagonisten - und idealisierte seine Figuren derart, dass sie in jeder Folge auch noch über ihren Beruf hinauswachsen und einen Kriminalfall lösen durften. Wenn nun der auf Komödien spezialisierte Regisseur Seth Gordon die Serie mit neuen Gesichtern zum Leben erweckt, spielen zwar die bekannten Slow-Motion-Exzesse wieder eine zentrale Rolle, aber ihr Einsatz hat sich grundlegend verändert. Was früher noch eine ironiefreie Feier des gesunden, athletischen Körpers war, ist heute ein sarkastischer Kommentar auf die Geschmacksverirrungen der 90er Jahre.
 
Wenn Dwayne Johnson gleich zu Beginn in einer übertrieben heroischen Szene einem Surfer das Leben rettet, bricht der Film zwar die Überhöhungen der Serie - indem er immer noch eins drauf setzt und am Ende sogar einen Delfin durchs Bild springen lässt; allerdings tut er das nicht, um Johnsons Figur zu diskreditieren, sondern um sie zu erden. Schon bei den Neuaufgüssen von "Starsky & Hutch" und "21 Jump Street" stand Hollywood vor dem Dilemma, dass es einer Serie Tribut zollen wollte, die in seinen Augen alles andere als vorteilhaft gealtert war. Die Strategie, die sich dabei etablierte, war ein Mittelweg. Einerseits wurde dem Originalformat ein Mindestmaß an Respekt entgegen gebracht, andererseits war man eher an einer zeitgenössischen Parodie als an einem klassischen Remake interessiert. Ursprung der Komik sind auch diesmal wieder die menschlichen Unzulänglichkeiten der Protagonisten; oder einfach die Tatsache, dass die Helden von gestern plötzlich gar nicht mehr so heldenhaft sind.
 


Zumindest mit seinem Fokus auf gestählten Leibern bleibt der Film der Serie treu. Es sind Körper von einer grotesken Perfektion. Dass sich unter den Neuanwärtern der Crew diesmal auch ein dicklicher Junge befindet, ändert daran nicht allzu viel. Denn Jon Bass als Ronnie werden zwar immer wieder Freiräume gelassen, in denen er sich als Komiker austoben darf (was mal mehr, mal weniger gelingt), in erster Linie scheint er aber dafür da zu sein, um seinen Boss Mitch Buchannon (Dwayne Johnson) und seinen Mitbewerber Matt Brody (Zach Efron) noch stärker glänzen zu lassen. Die beiden sind dann auch das eigentliche Highlight des Films. Sie beginnen als erbitterte Gegner und nähern sich einander langsam im Stil einer Buddy-Komödie an. Dabei wirken sie wie das Traumpaar eines Fitnesswahns, in dem es nicht nur um sportliche Leistungsfähigkeit geht, sondern darum, die totale Kontrolle über den eigenen Körper zu bekommen. Wenn sich die beiden am Strand ein Battle liefern, mit freiem Oberkörper Kühlschränke schleppen und sich eine Reckstange entlanghangeln, dann tauchen auf einmal ungeahnte Muskelpartien auf, die sich wie Wülste aus ihren Körpern schieben und irrealer wirken als jeder CGI-Effekt, den der Film in seinen Actionszenen auffährt. Johnson und Efron stehen für ein alternatives Modell des self-made-mans: Sie sind zwar "nur" Rettungsschwimmer - worauf sie ein verfeindeter Polizist (Yahya Abdul-Mateen II) auch regelmäßig hinweist -, aber sie versuchen dieses Berufsbild bis zu Superhelden-Dimensionen auszudehnen. Weil ihnen der amerikanische Traum in der Wirklichkeit verwehrt bleibt, leben sie ihn am eigenen Leib aus.
 
Obwohl diese massive Körperlichkeit, das Spannungsverhältnis der Künstlichkeit getunter Körper und der charmanten Hemdsärmeligkeit von Efron und Johnson die Hauptattraktion des Films ist, hält sich Gordon zunehmend mit anderem auf. Überhaupt krankt "Baywatch" daran, es jedem recht machen zu wollen. Die Actionszenen werden ebenso pflichtschuldig abgehakt wie die Slapstick-Nummer; der sentimentale Moment wird ausgekostet, nur damit man sich im Nachhinein wieder über ihn lustig machen kann. Das meiste, was Gordon tut, ist schon in Ordnung, aber insgesamt wirkt er in seiner Aufmerksamkeit zu zerstreut und in seiner Inszenierung zu brav und formelhaft. "Baywatch" wirkt, als hätte er sich das Streben seiner Figuren nach Selbstoptimierung selbst etwas zu sehr zu Herzen genommen. Richtig in Fahrt kommt er höchstens für kurze Zeit, weil er stets damit beschäftigt ist, immer und für alle zu funktionieren.
 
Schon damals hatte die ständige Neumodellierung der Serie ihre eigene Tradition. Nicht nur die Belegschaft wurde in regelmäßigen Abständen ausgetauscht, sondern auch die Schauplätze. Und mit "Baywatch Nights" entstand sogar ein Ableger, der David Hasselhoff vom Strand ins Reich der Science-Fiction verpflanzte. Gordon setzt dieses ökonomische Prinzip zwar fort, lässt dabei aber ausgerechnet die beiden Aushängeschilder der Serie auf der Strecke. Eigentlich ist der Gedanke, dass David Hasselhoff und Pamela Andersons schlichtweg zu alt für ein Franchise sind, das sich ganz der jugendlichen Fitness verschreiben hat, durchaus konsequent. Die beiden Cameos sind aber schon qualvoll verschenkt. Während Hasselhoff einen würdelosen Kurzauftritt im Hawaii-Hemd bekommt, darf Anderson noch nicht einmal einen Satz sagen. Vielleicht ist das, was Gordon ihr gewährt, im "Baywatch"-Kosmos aber auch mehr wert: Sie darf sich anmutig drehen. In Zeitlupe.
 
Michael Kienzl
 
Baywatch - USA 2017 - Regie: Seth Gordon - Darsteller: Dwayne Johnson, Zac Efron, Priyanka Chopra, Alexandra Daddario, Kelly Rohrbach, Ilfenesh Hadera, Yahya Abdul-Mateen II - Laufzeit: 116 Minuten.