Tagtigall

Martina Hefter

Die Lyrikkolumne.
17.08.2019. Einen Star nachmachen. Ein Star sein wollen.
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Diese Szene aus dem Film "Arizona Dream" von Emir Kusturica sah ich ursprünglich - vor ungefähr 100 Jahren - im Kino, und ich bin froh, dass sie auf youtube jederzeit zugänglich konserviert ist. Paul Leger - dargestellt von Vincent Gallo - spielt bei einer Talentshow in Tucson, Arizona, die berühmte Maisfeldszene aus Hitchcocks "North by Northwest" nach: Cary Grant (und es ist wichtig, dass es hier der Schauspieler ist, der nachgespielt wird) wartet am Rand des Maisfelds auf eine Verabredung, die nicht erscheint. Dafür aber dann das berühmte Agrarflugzeug.

Rumstehen -  auf die Armbanduhr schauen - in die Ferne der Landstraße blicken - das Flugzeug entdecken - sich auf den Boden werfen - aufstehen, davon rennen - sich wieder auf den Boden werfen... Im Film ist die Szene montiert mit Ausschnitten der originalen Maisfeld-Sequenz, aber als Betrachter*innen wissen wir, dass das Publikum der Talenteshow nur die aufs höchste reduzierten Bewegungsabläufe von Paul Leger zu sehen bekommt, natürlich auch ohne jedes Geräusch.

Paul Leger bekommt von der Jury einen von neun möglichen Punkten, was ihn zu der Äußerung veranlasst, die Jury wisse nicht, was wahre Kunst sei. Da hat er völlig recht. Abstraktion. Reduktion. Nachmachen. Einen Star nachmachen. Ein Star sein wollen. Einen Abdruck herstellen. Bezug nehmen. Größenwahn bei gleichzeitiger Bescheidenheit der Mittel - das, unter anderem, macht gelingende Kunst aus. Davon abgesehen rührt mich die Tragik von Talentwettbewerben in der Wüste und anderswo, auch wenn ich selbst nie bei einem solchen mitgemacht habe. Allerdings habe ich in einer gemeinsamen Lesung mit meinem Mann in einer Improvisation die Szene nachgespielt, wie Paul Leger Cary Grant nachspielt. Was einem Auftritt in einer Talentshow irgendwie nahe kam.

Martina Hefter