9punkt - Die Debattenrundschau

Mit wem warb Schalke 04 auf seinen Trikots?

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.04.2023. Die Verhandlungen zur Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen scheinen abgebrochen zu sein, berichtet hpd.de: Sie wäre einfach zu teuer! In der taz prangert Nobelpreisträger Dmitri Muratow von der Nowaja Gaseta die jahrelange westliche Unterstützung für Wladimir Putin an. In der Welt erklärt Eren Güvercin, wie Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht, obwohl er gar nicht darf. Nun geht's auch ein paar Berufsgruppen an den Kragen, die bisher von Rationalisierung verschont blieben, fürchtet Judith Simon vom Deutschen Ethikrat in der taz mit Blick auf ChatGPT.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.04.2023 finden Sie hier

Religion

Es ist zwar Ostern. Aber "kein Segen" liegt offenbar auf den Verhandlungen zur Ablösung der Staatsleistungen für die Kirchen. Nach wie vor zahlt der Staat dreistellige Millionenbeträge pro Jahr an die Kirchen, um Bischöfe und ähnliche Würdenträger zu entlohnen. Diese Staatsleistungen, die nicht mit Kirchensteuern zu verwechseln sind, gelten offiziell als Entschädigung für Enteignungen der Kirchen unter Napoleon und sollen seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts abgeschafft werden. Die Bundesregierung war zwar guten Willens, berichtet Gisa Bodenstein in hpd.de. Aber die Gespräche scheinen abgebrochen worden zu sein. Die Bundesländer sagen, dass sie sich die Abschaffung der Staatsleistungen nicht leisten können, denn "die Juristen, welche das Bundesinnenministerium bei Beratungen im Winter hinzuzog, sind von der Notwendigkeit einer astronomischen Einmalzahlung an die Kirchen zur rechtskonformen Ablösung der vertraglichen Zahlungsverpflichtungen überzeugt. Es ginge um ein 17- oder 18-Faches der jeweiligen jährlichen Summen, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden und die Jahr für Jahr anwachsen. Zusätzlich würden die Staatsleistungen aber noch für ein paar Jahre circa in der derzeitigen Höhe weiterbezahlt." Mehr zum Thema in der Welt.
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Europa

Dmitri Muratow, der Chefredakteur der unabhängigen russischen Zeitung Nowaja Gaseta und Nobelpreisträger war auf Einladung der taz Panter Stiftung in Berlin und hat sich in der taz befragen lassen. Auf die Frage, ob es stimmt, dass die russische Bevölkerung Putin unterstütze, antwortet er sarkastisch: "Bis Februar 2022 haben die wichtigsten Politiker aus dem Westen Putins Politik unterstützt. Welches Land war federführend beim Nord-Stream-2-Deal? Mit wem warb Schalke 04 auf seinen Trikots? Verletzungen von Menschenrechten wollten die meisten nicht wahrhaben, weil Handelsabkommen wichtiger waren. Man hat sich damit abgefunden, auch viele Menschen in Russland. Sie haben keine Alternative. Bei Anti-Kriegs-Protesten wurden über 21.000 Menschen festgenommen. Die vielen Sicherheitskräfte sind bis an die Zähne bewaffnet."

Putins gnadenlose Folterpolitik gegen Regimegegner bestätigt Muratows Aussagen. Der oppositionelle Journalist Wladimir Kara-Mursa soll im Gefängnis inzwischen 17 Kilo Gewicht verloren haben, gegen ihn werden 25 Jahre Haft gefordert:

Die russische Offensive scheint erlahmt, die erwartete ukrainische Gegenoffensive könnte wieder einen Landzugang zur Krim schaffen. Und dann kommt die Zeit der Verhandlungen, weil die Kriegsparteien aus dem Patt kaum herauskommen, vermutet Stefan Kornelius in der SZ: "Tony Blinken sagte vor zwei Wochen während einer Kongress-Anhörung, dass der Grenzverlauf der Ukraine möglicherweise nicht militärisch, sondern diplomatisch bestimmt werden müsse. Ebenso verwies er in kompliziert gedrechselten Worten darauf, dass es mit großen Schmerzen verbunden sein würde, wenn der ukrainische Wunsch nach einer von Russland befreiten Krim umgesetzt werden müsse. Klartext: Finger weg von der Krim, das könnte einen Nuklearschlag Russlands provozieren."

Alexander Kloß trägt für den Tagesspiegel alle Informationen zusammen, die im Fall des amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich zu haben sind. Gershkovich ist bekanntlich der erste amerikanische Journalist seit dem Kalten Krieg, der in Russland wegen Spionage festgenommen worden ist, ein Fall von "Geiseldiplomatie". Offenbar wollen die Russen inhaftierte russische Geheimdienstleute freipressen. "Ein Name taucht besonders häufig auf: Wadim Krassikow. Der FSB-Agent wurde in Deutschland als 'Tiergarten-Mörder' bekannt, nachdem er im August 2019 in Berlin einen tschetschenisch-georgischen Offizier ermordet hatte, der in mehreren Kriegen gegen Russland kämpfte. Krassikow beging den Mord im Auftrag Russlands und sitzt in Deutschland in lebenslanger Haft."

Offiziell ist es Tayyip Erdogans Regierungspartei AKP verboten, bei Türken in Deutschland Wahlkampf zu führen. Inoffiziell kommen Dutzende AKP-Abgeordnete in aller Diskretion nach Deutschland und machen Hausbesuche oder zeigen sich im Fastenmonat Ramadan in den Ditib-Moscheen, sagt der Journalist und Aktivist Eren Güvercin im Gespräch mit Ricarda Breyton von der Welt. Die Opposition hat dagegen kaum Chancen: "Die CHP, deren Parteichef gegen Erdogan antritt, versucht in Deutschland, Veranstaltungen zu organisieren. Aber das lässt sich nicht im Ansatz mit dem Wahlkampf der AKP vergleichen. Die Opposition hat weniger Geld zur Verfügung. Vor allem kann sie nicht auf dieselben Strukturen zurückgreifen. Die Ditib und die IGMG-Moscheen fallen für den Wahlkampf weg, denn die sind ideologisch vor allem auf AKP-Linie."

"Die Union gibt sich konservativ nur in der Opposition", beschwert sich der konservative Publizist Alexander Kissler. in der NZZ, nachdem er die schwarzroten Koalitionspapiere aus Berlin gelesen hat, "kaum sitzt sie am Kabinettstisch, erteilt sie einer gesellschaftspolitischen Achsenverschiebung nach links ihr Plazet." Dem künftigen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner wirft Kissler vor, dass er "sämtliche identitätspolitischen Anliegen der SPD passieren ließ. Künftig wird es mit dem Segen der CDU in jedem der zwölf Berliner Bezirke einen 'Queer-Beauftragten' geben, 'als Vollzeitstelle'. Berlin will unter Wegner 'Regenbogenhauptstadt' bleiben und die 'lesbische Sichtbarkeit' erhöhen. Den Kampf gegen 'Antifeminismus' unterstützt die CDU ebenfalls."
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Kulturpolitik

Hans-Jürgen Hafner schreibt für die taz ein eher skeptisches Porträt des neuen Berliner Kultursenators Joe Chialo. Er wird wie alle Berliner Kulturpolitiker damit zurechtkommen müssen, "dass es in der Berliner Kulturpolitik einerseits um populäre Themen, um Ateliernot, Clubsterben, kreative Freiräume und drohende Verdrängung geht. Andererseits überlappen hier gerne mal Zuständigkeiten des Bundes mit solchen des Landes (und der Stadt). Da geht es um Administration, viel Geld, aber auch um programmatische Weitsicht und historische Verantwortung. Die seit Jahren diskutierte, durch die SPK-Führung verschleppte Reform der Preußenstiftung gehört hier ebenso dazu wie das von Beginn an verkorkste Mehrzweck-Humboldt Forum oder - andere Ecke - das Elend deutscher Filmförderung."

Außerdem: Sonja Zekri berichtet in der SZ, dass an der Viadrina ein Ukraine-Zentrum entstehen soll, das akademische Kompetenz für die Ukraine entwickeln und bündeln soll. Zugleich wird in Berlin mit Hilfe des Goethe-Instituts ein erstes ausländisches Kulturinstitut der Ukraine gegründet.
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Politik

Die iranische Schauspielerin Katajun Riahi saß schon im Gefängnis, weil sie kein Kopftuch trug. Das Bild zeigt sie bei der Beerdigung des Regisseurs Kiumars Pourahmad. Ohne Kopftuch.
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Internet

Judith Simon ist Professorin für Ethik in der Informationstechnologie und  Mitglied des Deutschen Ethikrates. Im taz-Gespräch mit Nora Belghaus zählt sie ChatGPT durchaus zu den sogenannten High-Risk-Technologien. Ein hohes risiko besteht jedenfalls für bestimmte Beurfsgruppen, die bisher von Rationalisierungen verschont waren: "Ja, davon werden sicher einige Branchen betroffen sein. Besonders jene, in denen mit standardisierten Texten gearbeitet wird, die nach klaren Mustern aufgebaut sind. So braucht man in naher Zukunft vielleicht nur noch ein paar Journalist:innen, um die von der sprachbasierten KI produzierten Texte zu überprüfen. Das gleiche gilt für Übersetzer:innen oder Grafikdesigner:innen wegen bildgenerierenden Anwendungen wie Dall-E." In einem zweiten, aus der New York Times übersetzen Artikel fragt Oliver Whang, ob man tatsächlich Maschinen mit Bewusstsein ausstatten kann.
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