9punkt - Die Debattenrundschau

Das linksbürgerliche Verdrängen

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.10.2023. Unter anderem die taz würdigt den heroischen Einsatz der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi für die Demokratie im Iran. Die Welt fragt, ob Elon Musk mit seiner Twitter-Übernahme einem rechtsextremen und antisemitischen Szenario folgt. Es ging im bayerischen Wahlkampf um fast nichts, aber dafür in immer schärferer Polarisierung, beobachtet die FAZ. Die SZ porträtiert den Medienmanager Mark Thompson, der CNN ins Streaming-Zeitalter bugsieren soll. Mit Faschismus-Vergleichen kommt man nicht weiter, schreibt Hedwig Richter ebenfalls in der SZ mit Blick auf den neuen Rechtsextremismus.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.10.2023 finden Sie hier

Politik

Spiegel online titelt: "Hamas startet neue 'Militäroperation' gegen Israel." Dutzende Raketen seien heute früh aus dem Gaza-Streifen abgefeuert worden. "Bewaffnete Palästinenser überwinden offenbar die schwer geschützte Grenze: Die Hamas beginnt einen Überraschungsangriff auf Israel. Reservisten werden mobilisiert, die Luftwaffe fliegt Einsätze", heißt es im Liveblog des Spiegel.

Buch in der Debatte

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi bekommt den Friedensnobelpreis. Für die taz schreibt Daniela Sepehri die Würdigung. "Für die 'Frau, Leben, Freiheit*-Bewegung in Iran ist Narges Mohammadi essenziell, selbst aus dem Gefängnis heraus verschafft sie sich Gehör. Ihre Stimme verleiht nicht nur anderen politischen Gefangenen eine internationale Plattform, sondern deckt auch Missstände in den Gefängnissen auf. Im vergangenen Dezember schmuggelte Mohammadi einen Bericht aus dem Evin-Gefängnis heraus, der später von der New York Times veröffentlicht wurde. Darin enthüllte sie das Ausmaß des Einsatzes von Vergewaltigung als Waffe, als Foltermethode und als Mittel zur Einschüchterung insbesondere von jungen Frauen." Hier Gilda Sahebis taz-Kommentar zu der Auszeichnung. Mohammadis Buch "Frau, Leben, Freiheit", in dem sie Interviews mit im Iran inhaftierten Frauen publiziert, ist im Rowohlt Verlag erschienen, der in diesem Jahr doppelt profitiert, denn auch Jon Fosse ist bei Rowohlt.
Archiv: Politik

Internet

Hannes Stein fragt sich in der Welt, ob der neue Twitter-Eigner Elon Musk einem rechtsextemen und antisemitischen Drehbuch folgt: "Er hat die Accounts von bekannten amerikanischen Neonazis reaktiviert, judenfeindliche Memes verbreitet, Linksliberale daran gehindert, sich zu äußern, und zur Treibjagd auf einzelne Accounts aufgefordert, die ihm lästig wurden; natürlich hat er sich auch (ein Klassiker des Antisemitismus!) als Opfer der Juden dargestellt. Derzeit ruft er massiv dazu auf, die 'Anti-Defamation League' zu verbieten. (...) Kurz und schlecht, Musk erinnert immer mehr an Henry Ford, den genialen Autobauer, der die 'Protokolle der Weisen von Zion' - eine perfide antisemitische Fälschung - in Amerika importierte."
Archiv: Internet
Stichwörter: Twitter, Musk, Elon

Europa

Putins neuestes Kriegsverbrechen,  der Raketenangriff auf das ukrainische Dorf Hroza, schaffte es in den deutschen Medien kaum noch in die Meldungen. Juri Larin schickt für die taz eine Reportage aus dem Dorf bei Charkiw: "Ein großer Mann schafft es gerade noch bis zu dem fast zerstörten Zaun des Cafés, lehnt sich daran und bleibt fast eine Viertelstunde regungslos dort stehen. Der Mann lehnt jede Hilfe ab, will weder Tee noch Wasser. Als ich ihn anspreche, beginnt er zu schluchzen und versucht mühsam, die Tränen zurückzuhalten. Das Schrecklichste an der ganzen Situation ist, dass neben den meisten Leichensäcken keine Angehörigen oder Freunde stehen. Tatjana Lukaschowa erklärt, dass hier ganze Familien umgekommen sind, ganze Häuser entlang der Dorfstraße sind jetzt leer. Der Polizeichef des Gebietes Charkiw, Wolodymyr Tymoschko, sagt, dass bis zum Donnerstagmorgen 330 Menschen in Hroza gelebt haben. Eine einzige Rakete habe auf einen Schlag 51 von ihnen getötet."

Boris Kagarlizki ist der "wohl bekannteste linke Dissident Russlands", heißt es in der taz, wo Jan Schroeder seine Tochter Xenia interviewt, denn Kagarlizki ist, wie es sich für russische Dissidenten gehört, im Gefängnis. Auf die Frage, ob Putins Methoden sie an die Sojetunion erinnere, antwortet sie: "Seine Methoden sind anders. Es ist nicht mehr so schlimm wie unter Stalin, andererseits hatte Stalin nicht die modernen Technologien, die Putin zur Verfügung stehen. Heute sind in Russland alle Großstädte videoüberwacht. Wenn man an einem Protest teilnimmt, wird man mit Glück vielleicht nicht direkt festgenommen, aber dann holen sie einen anschließend von zu Hause ab. Die Angst wächst. Darum geht es in Putins Diktatur."

Ab übermorgen wird der Rest der deutschen Bevölkerung endlich mit den Bayern in Ruhe gelassen (die Hessen wählen auch, haben folkloristisch aber weniger Farbe). Es ging im bayerischen Wahlkampf um fast nichts, aber dafür in scharfer Polarisierung, meint Claudius Seidl in der FAZ. Er hofft, dass die bayerische Spitzenindustrie, die anderweitig doch eher für ihr Kuschen vor den Autokraten bekannt ist, dem Provinzialismus den Garaus macht: "Seit der verdrucksten Reaktion Hubert Aiwangers auf die Geschichte mit dem Flugblatt in seinem Ranzen ist es ohnehin unwahrscheinlich, dass sich die Chefs Münchner Weltkonzerne mit diesem Wirtschaftsminister noch einmal fotografieren lassen." Über Hessen schreibt im FAZ-Feuilleton Matthias Alexander.

Auch die Historikerin Hedwig Richter hat jetzt offenbar eine Kolumne in der SZ. Sie attackiert heute das "linksbürgerliche Verdrängen", das im Blick auf AfD und Co. mit Faschismus-Vergleichen kommt, während man den eigenen Anteil an der Klimakatastrophe verdrängt. "Die Weimarer Republik und ihr Untergang sind 90 Jahre entfernt, die Klimakrise erst zehn. Die Nazis damals hatten andere Teufeleien im Sack und die Wähler andere Gründe für ihre Wahl. In Weimar herrschten absolute Armut, Hunger, Mord und Totschlag. Auch die Ideologie ist anders. Giorgia Meloni schindet Minderheiten, aber sie wird keinen Führerinnen-Staat errichten. Neu ist: Die Rechtsextremen werden nicht zuletzt deswegen immer attraktiver, weil sie die aktuellen Krisen leugnen, ganz offen auch den Klimawandel, und die Notwendigkeit, radikal zu handeln."

Außerdem: Georg Mascolo macht in der SZ auf die Absurdität aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Millionenstrafe an die EU zahlen muss, weil sie es nicht schafft, eine verbindliche Vorgabe der EU zum Schutz von Whistleblowern zu erfüllen.

Das ist an Absurdität wirklich nicht zu überbieten. Die postkommunistische Postille Junge Welt darf Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz eine Frage stellen und präsentiert stolz Putins Antwort, in der dieser die AfD zu Antifaschisten erklärt. Rotbrauner Sumpf in action.

Archiv: Europa

Medien

Fabian Heckenberger und Hannes Vollmuth porträtieren in der SZ den Medienmanager Mark Thompson, der ab Montag den arg lädierten Nachrichtensnder CNN sanieren soll, der in den letzten Jahren nur noch durch einst lukrative Trump-Fixierung und interne Skandale auf sich aufmerksam machte. Von Thompson wird erwartet, dass er CNN ins Streaming-Zeitalter bugsiert. Vorher sanierte er die New York Times und gilt als Erfinder des Abomodells, mit dem die Zeitung vor allem durch Dumping-Preise die internatioale Konkurrenz schädigt. Übrigens werden noch andere Erneuerungen mit ihm assoziiert: "Die folgenden Jahre bei der New York Times sind heute Mediengeschichte: Umbau der in die Jahre gekommenen 'old gray lady', in eine sehr digitale Medien-Lifestyle-Marke, die inzwischen teilweise häufiger mit Rezepten, Produkttests und Rätseln assoziiert wird als mit Investigativ-Recherchen."

Einen kleinen Moment der Wahrheit hat FAZ-Redakteur Simon Strauss in Markus Lanz' Talkshow erlebt. Er hatte den Autor Dirk Oschmann zu Gast, der bekanntlich die Lage der Ostdeutschen beklagt und der in seinem Buch dem ehemaligen Bundespräsidenten Gauck vorwirft, er habe das Wort "Dunkeldeutschland" für die neuen Länder geprägt. Nur hatte Gauck dieses Wort keineswegs so verstanden, sondern damit eine drohende gesamtdeutsche Ausländerfeindlichkeit ansprechen wollen, wies Lanz nach. "Das Wort Ostdeutschland fällt in diesem Zusammenhang nicht. Aber im öffentlichen Raum sei das doch dann auf den Osten bezogen worden, versucht Oschmann noch eine halbherzige Verteidigung. Aber die lässt Lanz ihm nicht durchgehen: 'Entschuldigen Sie, aber er hat das Wort nicht auf den Osten bezogen. Es bezieht sich auf ganz Deutschland.' Und dann tut der Professor das, was ihm am besten zu Gesicht steht. Er akzeptiert den gelungenen Treffer und flüchtet sich nicht mehr in aussichtslose Paraden. Er nickt und schweigt und gesteht damit die fälschliche Unterstellung zu." Hier ab Minute 33.30.
Archiv: Medien

Kulturpolitik

Das Goethe-Institut war immer ein Faktor in der weichen deutschen Außenpolitilk, der es vor allem um die Flankierung der deutschen Wirtschaftserfolge ging. Das Institut solle nun ein Zehntel seiner Kosten einsparen, Opfer sind Repräsentanzen in Frankreich, aber auch Italien, berichten Birgit Holzer und Andrea Dernbach im Tagesspiegel: "Mit dem Aus für Genua, Turin und dem Schlusspunkt unter dem schon seit Jahren unbesetzten Institut in Triest ist es wohl nicht getan. Auch das Goethe-Institut in Neapel, das in der Liste der geschlossenen Institute nicht erscheint, dürfte ab nächstem Jahr nur noch dem Namen nach existieren."
Archiv: Kulturpolitik
Stichwörter: Goethe Institut