Abbas Khider

Der Erinnerungsfälscher

Roman
Cover: Der Erinnerungsfälscher
Carl Hanser Verlag, München 2022
ISBN 9783446272743
Gebunden, 128 Seiten, 19,00 EUR

Klappentext

Said Al-Wahid hat seinen Reisepass überall dabei, auch wenn er in Berlin-Neukölln nur in den Supermarkt geht. Als er eines Tages die Nachricht erhält, seine Mutter liege im Sterben, reist er zum ersten Mal seit Jahren in das Land seiner Herkunft. Je näher er seiner in Bagdad verbliebenen Familie kommt, desto tiefer gehen die Erinnerungen zurück, an die Jahre des Ankommens in Deutschland, an die monatelange Flucht und schließlich an die Kindheit im Irak. Welche Erinnerungen fehlen, welche sind erfunden und welche verfälscht? Said weiß es nicht. Es ist seine Rettung bis heute.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 01.03.2022

Rezensent Thomas Winkler bewundert das Spiel mit Wahrheit und Dichtung, das Abbas Khider in seinem neuen Roman über einen im Jahr 2014 nach langer Abwesenheit in seine Heimat Bagdad zurückkehrenden Mann entfaltet. Wie Khider seine Figur anlässlich der bevorstehenden Reise ans Totenbett der Mutter über Heimat und Migration und seine Erfahrungen als Flüchtling in Deutschland nachsinnen lässt und dabei sämtliche Fragen der Flüchtlingsdiskussion bei uns aufwirft, ohne allzu schnelle Antworten zu suchen, findet Winkler kunstvoll. Vor allem Khiders Sinn für die Schichten der Erinnerung und ihre Verzauberung nimmt Winkler gefangen und macht ihm die Schilderungen der brutalen Realität der irakischen Diktatur und der Flucht im Text erträglich.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.02.2022

Rezensentin Cornelia Geißler liest Abbas Khiders neuen Roman "Der Erinnerungsfälscher" zugleich als "leicht sentimentale Reise" zurück in das Land der Kindheit und Hommage an die Literatur. Der Protagonist Said Al-Wahid ist auf der Suche nach Zugehörigkeit, die er in seiner alten Heimat verlor und auch zu seinem neuen Wohnort Berlin nicht richtig aufbauen kann, zu verschiedenen sind seine Erfahrungen als Migrant von denen seiner deutschen Ehefrau, resümiert Geißler. Schließlich findet der Protagonist sich in der Literatur wieder, mit der er seine Erinnerungen überschreibt, Lücken auffüllt und allzu schmerzhaftes beschönigt. Mit einem Blick auf die ähnliche Biografie des Autors sieht die Rezensentin darin eine "Allegorie auf das autofiktionale Erzählen", in dem Wahrheiten offenbart werden auch ohne eins zu eins die Realität abzubilden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.01.2022

Rezensentin Anna Prizkau stört es, dass sich die deutsche Kritikerszene so auf Abbas Khiders gutes Aussehen und seine Vergangenheit stürzt, wo er sich mit seinem neuen Roman doch wieder als unglaublich talentierter "Universalist" beweise. Natürlich sind seine Romane nicht ohne seine Vergangenheit als Hussein-Gefangener denkbar, weiß sie - auch die Vergangenheit des Protagonisten Said, dem der Roman aus Deutschland in die irakische Heimat folgt, ist eine brutale. Trotzdem haben Khiders Geschichten auch etwas sehr Universelles, wenn es um Fehler und Sehnsüchte der Menschen geht, findet Prizkou, die sich hier an Isaac Bashevis Singer erinnert fühlt. Begeistert ist sie außerdem von Khiders geradliniger Sprache, die oft in "mitreißende" Poesie kippe. Ganz nah ist sie dem Protagonisten bei der Lektüre und muss danach erst einmal wieder in der "gemütlichen" deutschen Realität ankommen - ein schmales, aber "großes" Buch, schwärmt sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2022

Rezensent Fridtjof Küchemann kommt dem Protagonisten in Abbas Khiders neuem Roman "Der Erinnerungsfälscher" "eindrucksvoll nahe", gerade weil die Hauptfigur, Said Al-Wahid, ein so unzuverlässiger Erzähler ist. Said hat sich nach der Flucht aus dem Irak in Berlin ein neues Leben mit Frau und Kind aufgebaut und ist nach Bagdad zurückkehrt, in der Hoffnung die Mutter noch ein letztes Mal wieder zu sehen, resümiert der Rezensent. Beeindruckt hat ihn, wie der Autor hier eine "Figur mit Selbstzweifeln" vorstellt, deren Erinnerungen so schmerzhaft sind, dass sie sich neue ausdenkt, Lücken schließt bis die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 27.01.2022

Im Vergleich zu den vorangegangenen Romanen, die Abbas Khider bekannt machten, findet Rezensentin Meike Feßmann seinen neusten Band "Der Erinnerungsfälscher" nüchterner erzählt. Der 1973 in Bagdad geborenen deutsche Autor fiktionalisiert darin wieder einmal Erinnerungen an seine eigene Lebensgeschichte: Khider führt die LeserInnen in diesem Buch ariadnefadenartig zurück nach Bagdad zu seiner im Sterben liegenden Mutter im Juni 2014 und verschriftlicht zugleich die Verwurzelung seines Sohnes in Berlin, die auch eine neue Zugehörigkeit des Vaters in Deutschland ermöglicht, erklärt Feßmann. Das Buch sei zwar schmal, aber der Inhalt erscheint wie ein großer Schritt für neue, erinnerungsbefreite Geschichten Khiders, schließt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 25.01.2022

Rezensent Carsten Hueck preist die formale Schlichtheit und die tiefe Wirkung von Abbas Khiders Roman über einen Schriftsteller, den das Sterben seiner Mutter in Bagdad mit Erinnerungen an sein Herkunftsland erfüllt, mit Fragen an die Vergangenheit und an seine Gegenwart in seiner neuen deutschen Heimat, in der der Protagonist mit Rassismus und Marginalisierung zu kämpfen hat. All das schildert der Autor laut Hueck plastisch, nicht plakativ, humorvoll und verstörend zugleich. Vom Trauma der Heimatlosigkeit erzählt Khider überzeugend, ernst und gewitzt, findet der Rezensent.