Abdulrazak Gurnah

Nachleben

Roman
Cover: Nachleben
Penguin Verlag, München 2022
ISBN 9783328602590
Gebunden, 384 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Eva Bonné. Ilyas ist elf, als er aus Not sein bitterarmes Zuhause an der ostafrikanischen Küste verlässt und von einem Soldaten der deutschen Kolonialtruppen zwangsrekrutiert wird. Jahre später kehrt er in sein Dorf zurück, doch seine Eltern sind tot. Ilyas macht sich auf die Suche nach seiner kleinen Schwester Afiya, die bei Verwandten untergekommen ist, wo sie wie eine Sklavin gehalten wird und niemand ihre Talente sehen will. Auch ein anderer junger Mann kehrt nach Hause zurück: Hamza war von seinen Eltern als Kind verkauft worden und hatte sich freiwillig den deutschen Truppen angeschlossen. Mit nichts als den Kleidern am Leib sucht er nun Arbeit und Sicherheit - und findet die Liebe der klugen Afiya. Während das Schicksal die drei jungen Menschen zusammenführt, während sie leben, sich verlieben und versuchen, das Vergangene zu vergessen, rückt aus Europa der nächste Weltkrieg bedrohlich näher.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.04.2023

Rezensentin Lena Bopp entdeckt viele lose Enden im jüngsten auf Deutsch erschienenen Roman des Literaturnobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah. Gurnahs angestammte Themen, vor allem die Beziehung zwischen Sklaverei, Kolonialismus und Armut, kommen laut Bopp in der Geschichte vor, die in einer ostafrikanischen Hafenstadt spielt. Dass Figuren eher beiläufig eingeführt werden und auch ebenso wieder verschwinden, scheint für Bopp akzeptabel, die ganze Willkür des Kolonialismus kann der Autor anhand der vorgeführten Schicksale dennoch erkennbar machen, findet die Rezensentin. Stilstisch ist der Text weitgehend "unaufgeregt", erklärt Bopp.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2022

Abdurazak Gurnahs Roman "Nachleben" könnte Pflichtlektüre an deutschen Schulen werden, meint Rezensent Manuel Müller, der bewegt diese an wahren Schicksalen angelehnte Geschichte verfolgt. Gurnah erzählt darin von einem jungen Tansanier, Hamza, der als Kind von seinen Eltern an einen Kaufmann verdingt wurde und sich ausgerechnet in die deutsche Schutztruppe flüchtete, um im Ersten Weltkrieg für das Kaiserreich zu kämpfen. Wie Gurnah von diesem bedrängten Leben erzählt, erscheint Müller meisterlich, da der Nobelpreisträger einerseits nah den historischen Begebenheiten bleibt, aber den Fokus auf die afrikanischen Geschehnisse gerichtet lässt. Deutschland erscheint hier sehr fern. Wenn sich Hamza dann im zweiten Teil sogar aufmacht, seinen verschollenen Schwager in Nazi-Deutschland zu suchen, dann stockt dem Rezensenten der Atem. Auch dies beruht auf einem historischen Fall.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.10.2022

Dass es erst einen Literaturnobelpreis brauchte, um Abdulrazak Gurnah in Deutschland bekannt zu machen, verrät dem Rezensenten Thomas Hummitzsch viel über die "Verdrängung der blutigen deutschen Vergangenheit". Denn Gurnahs Werk verarbeitet zahlreiche der im Namen des deutschen Kolonialismus begangenen Gräueltaten und deren bis in die Gegenwart reichenden Folgen. So auch der vorliegende Roman, der sich durchaus als Fortführung von Gurnahs "Das verlorene Paradies" von 1994 auffassen lasse und von zahlreichen Torturen handle, ohne aber diese voyeuristisch auszuschlachten. Daraus beziehe Gurnahs Prosa ihre "überwältigende Kraft", so Hummitzsch. Gurnah suche keine "einfachen Antworten", auch keine "moralischen Anklagen". Vielmehr zeichne sich dieser Roman durch seine genaue Beobachtung von "durch Zeit und Raum irrender Körper" aus. Lob geht dabei auch an die Übersetzerin Eva Bonné, die die Vielsprachigkeit des Textes "elegant" vermittle.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.09.2022

Rezensent Adam Soboczynski liest Abdulrazak Gurnahs Roman über die deutsche Kolonialvergangenheit in Ostafrika, erzählt anhand des Schicksals eines zur Zeit des Ersten Weltkriegs den Deutschen dienenden afrikanischen Soldaten, eines sogenannten Askaris, mit großer Genugtuung. Die Geschichte der Deutschen in Ostafrika "aus afrikanischer Perspektive" erscheint dem Rezensenten aufschlussreich. Die Frage einer Kontinuität zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus ist im Roman laut Soboszynski aber nur ein Thema. Weitere Themen sind die Liebe des Protagonisten zu einer jungen Frau und der Versuch, sich im Krieg eine Existenz aufzubauen, erklärt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.09.2022

Es gibt zwei Arten von Gurnah-Romanen, glaubt Rezensentin Sylvia Staude: Jene, in denen der in Sansibar geborene und in England lebende Nobelpreisträger sehr persönlich von Entwurzelung schreibt - und jene, in denen Gurnah historisch und mit bewusster Distanz auf die Kolonialzeit blickt. Ein solcher liegt mit dem 2020 im englischen Original erschienenen "Nachleben" vor, fährt die Kritikerin fort, die hier vier Lebenswegen während der Besatzung in Deutsch-Ostafrika folgt. Am Beispiel der wenig chronologisch erzählten Schicksale von Ilyas, Afiya, Khalifa und Hamza erfährt Staude von Hunger, Tod und Armut, von der Sehnsucht nach Flucht, dem Kampf ums Überleben und von Hass, aber auch Bewunderung für die Kolonialisten. Gurnahs "Nüchternheit" und Schnörkellosigkeit, sein Verzicht auf "Seelenschau und Poesie" sind die besonderen Stärken dieses Romans, schließt die Kritikerin, die dem Autor einmal mehr einen eindringlichen Blick in eine wenig aufgearbeitete Vergangenheit verdankt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 14.09.2022

Einen "Meister der Zwischentöne" sieht Rezensentin Sigrid Löffler im britisch-sansibarischen Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, dessen dritter ins Deutsche übersetzte Roman sie wieder in das Ostafrika der deutschen Kolonialherrschaft führt. In "Nachleben" erzählt Gurnah der Rezensentin zufolge eine "verstörend uneindeutige" Geschichte über zwei junge, nicht näher definierte "Ostafrikaner", die für die deutsche Schutztruppe als Askari rekrutiert werden und sich in einem komplexen Geflecht aus Unterdrückung und Anziehung verfangen. Latent schwule Untertöne hört Löffler da heraus, ohne dies näher zu deuten. Vor allem aber wie Gurnah der Erfahrung von Kolonialismus und Migration eine leise, aber unbeirrbare Stimme gibt, beeindruckt Löffler.